Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Männermode - Der Doppelreiher kehrt zurück

Die Stilfrage: Wer Zweireiher trug, galt über Jahrzehnte als altbacken und zugeknöpft. Jetzt ist der doppelreihige Anzug wieder in – und kleidet den Mann urban, lässig und souverän

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Seit Jahren wird in der Modebranche, in einschlägigen Modejournalen und -blogs die Rückkehr des Zweireihers ausgerufen. Doch bisher: Fehlanzeige. Zwar laufen immer wieder männliche Models in doppelt geknöpften Anzügen über die Laufstege der Modewelt, aber so richtig durchgesetzt hat sich der zweireihige Anzug nie.

Doch das ist jetzt vorbei. Der Doppelreiher ist zurück! Erstmals tragen ihn nicht nur ein paar überkandidelte Fashion-Victims, sondern auch modisch ambitionierte Büromenschen an der morgendlichen Bushaltestelle. Das ist ein sicheres Zeichen.

Dass sich der Zweireiher lange Jahre so schwer tat, hat natürlich historische Gründe. Die sind allerdings schwer zu durchschauen. Denn als sich der Herrenanzug nach der französischen Revolution als Kleidungsstück durchzusetzen begann, fand man zunächst beides fröhlich nebeneinander: einreihig und zweireihig geknöpfte Westen, Jacketts und Gehröcke. Und das gilt mehr oder minder für das gesamte 19. Jahrhundert, vom Biedermeier bis zum Fin de Siècle.

Bevorzugte Optik des Braunauer Zollbeamtensohnes


Das änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg. Da setzte sich nämlich der moderne, legere Straßenanzug durch. Und der war in den 20er Jahren vor allem zweireihig, tailliert und hatte ein spitzes Revers. Der Grund dafür ist einfach: Zweireiher können problemlos ohne Weste getragen werden. Sie galten daher als sportlicher und versinnbildlichten ein modernes, fortschrittliches Lebensgefühl. Man betrachte nur Modemagazine aus dieser Zeit.

Bis in die 30er Jahre blieb das so. Dann kam der Weltkrieg, und danach galt der Zweireiher als unmodern. Er erinnerte zu sehr an die Vorkriegszeit. Und vor allem in Deutschland erweckte er ungute Assoziationen an Offiziersmäntel und die bevorzugte Optik des Braunauer Zollbeamtensohnes.

So taucht der zweireihige Anzug in den 50er Jahren vor allem im amerikanischen Kontext auf, doch der „Mann im grauen Flanell“ trägt auch hier selbstverständlich: Einreiher. Das wirkte bodenständiger, solider und passte besser zu dem Bild des treusorgenden Familienvaters in der heilen Welt dieser Jahre.

Dem Doppelreiher hingegen haftete lange Zeit etwas Halbseidenes an, etwas hochgradig Unseriöses. Das lag sicher auch daran, dass er in Nadelstreifen, mit Borsalino und Nelke im Knopfloch zum Standardkostüm in Hollywoods Gangsterfilmen wurde.

So ganz aus der Luft gegriffen war diese Kostümierung allerdings nicht: Zwar trug der wirkliche Al Capone – ganz solider Geschäftsmann – auch Einreiher mit Weste, doch der doppelreihige Anzug wirkt aufgrund seiner V-Form, seines zumeist steigenden Revers, den ausstehenden Knöpfen und der geschlossenen Front maskuliner und zupackender als sein zahmer einreihiger Verwandter.

Zweireiher wirken heute sportlich


Aufgrund seiner typischen Silhouette passte der Zweireiher allerdings überhaupt nicht in die Optik der 60er Jahre. Und als er dann in den 70ern und 80ern wieder auftauchte, war er gezähmt zur spießigen Uniform von Vertretern, Autohausverkäufern und Oberlippenbartträgern – gerne fliederfarben und als Kombination zur grauen Bundfaltenhose.

Den absoluten Tiefpunkt in Sachen Doppelreiher markierte aber sein Auftritt als Umhüllung von Günter Strack alias Dr. Renz beziehungsweise von Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler. Merke: Doppelreihige Anzüge sollten ausschließlich von halbwegs schlanken Männern getragen werden.

Kein Wunder also, dass Zweireiher lange Zeit tabu waren: zu bieder, zu altbacken. Doch wie gesagt: Seit einigen Jahren wird verkündet, der Zweireiher sei zurück. Und dieses Jahr hat man nun den Eindruck, es könnte tatsächlich so weit sein.

Denn siehe da: Nix Dr. Renz, nix Dr. Kohl. Die neuen Zweireiher kommen sportlich daher, akzentuiert tailliert und in der zurzeit so angesagten Kurz- und Slimoptik. Die verhindert, dass man darin aussieht wie ein Faschingsmafioso oder ein Versicherungsmakler.

Die neuen Zweireiher wirken urban, lässig und souverän. Das liegt daran, dass sie den sportlichen Grundgedanken dieses Schnittes wieder aufnehmen, aber daran erinnern, dass unsere Vorstellung von Sportlichkeit sich in den letzten 90 Jahren etwas geändert hat.

Doch ein Problem ist geblieben: Auch die neuen Doppelreiher kann man nur geschlossen tragen. Daher eignen sie sich eigentlich nur für eine Vernissage, eine Stehparty oder ähnliches. Macht aber nichts. Denn dann sind sie wirklich klasse.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.