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Männer - Kenner, Bildungsspießer, Kostverächter

Männer haben das Bedürfnis, Fachmann für irgendetwas zu sein. Viele jedoch kompensieren ihren Mangel an Genussfähigkeit mit technokratischem Wissen.

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Männer sind mitunter eigenartige Wesen. Das sag ich jetzt mal als Mann. Zu den befremdlichsten Eigenschaften des männlichen Hälfte der Gattung Homo Sapiens gehört die Lust am Rumbasteln, die Faszination für technische Daten und die Begeisterung für alle Finessen von Produktions- und Herstellungsprozessen.

Aus diesem Grund stürmen Männer Baumärkte, kaufen absurde Fachzeitschriften, in denen sich über Elektrolytkondensatoren oder Nockenwellensensoren ausgelassen wird, und vertiefen sich mit Hingabe in die Schaltpläne ihrer High-End-Anlage und die Konstruktionszeichnungen von Vergasern.

Wie gesagt: Das alles ist äußerst seltsam. Doch immerhin kann man dieses absonderliche Treiben als Ausdruck des heroischen Wunsches sehen, die Welt schraubend, lötend und schweißend besser und effizienter zu machen.

Noch etwas abstruser wird es, wenn Männer sich mit Leidenschaft und letzter Hingabe Wissen aneignen, das selbst mit größter Phantasie weder unter der Rubrik „Bildung“ verbucht werden kann noch irgendeinen entfernten Nutzen darstellt: die Geschichte von Spielzeuglokomotiven etwa.

Vermutlich zeigt sich in dieser Neigung das tiefe Bedürfnis des Mannes, Fachmann für irgendetwas zu sein. Aus diesem Grund können Männer die Aufstellung der Schalker Meistermannschaft von 1958 auswendig herbeten oder jederzeit ein philatelistischen Vortrag über die Besonderheiten von Flugzeug-Briefmarken der 60er Jahre halten.

Solange dieses männliche Streben nach Expertentum als liebenswürdige Marotte daher kommt, ist ja alles in Ordnung. Etwas penetrant wird es allerdings, wenn das damit verbundene Wissen als kulturell enorm wertvoll verkauft wird: dann haben wir es mit der Schreckgestalt aller harmloser Genießer und dem sicheren Tod spaßiger Konversation zu tun: dem Kenner.

Die Lieblingsthemen, die der Kenner mit seiner Kennerschaft traktiert, lassen sich grob in zwei Fachgebiete einteilen: das Kulturleben und die Kulinarik. Komischerweise kapriziert sich der Kenner dabei mit größtem Vergnügen auf Gebiete, bei denen für den naiven Betrachter der – altertümlich ausgedrückt – sinnliche Genuss im Mittelpunkt steht: Oper, Konzerte, Essen, Wein, Spirituosen.

In der Oper macht sich der Kenner regelmäßig durch lautes und deutliches Bekunden seiner Missgunst bemerkbar. Die richtet sich dabei nicht so sehr gegen die grausame Regietheaterinszenierung. Das wäre dem Kenner zu primitiv. Nein, sein Zorn richtet sich gegen die Sängerin der Titelrolle, die der großen Arie im 2. Akt stimmlich leider überhaupt nicht gewachsen war – was außer dem Kenner allerdings kaum jemand aufgefallen ist.

Nun bringen es Kulturveranstaltungen mit sich, dass einschlägige ambitionierte Zeitgenossen ihre Kenntnisse erst dann zu besten geben können, wenn die Sache gelaufen und der Vorhang gefallen ist – etwa wenn man eingepfercht zwischen den zur Garderobe drängenden Massen und ohne jede Möglichkeit zur Flucht, ihren Ausführungen über die Leistungen der Celli während des Allegrettos im 3. Satz lauschen darf.

Ganz anders bei kulinarischen Veranstaltungen. Hier hat der Kenner unmittelbar die Möglichkeit, seine Umwelt an seiner feinen Sensorik und seinem umfassenden Wissen teilhaben zu lassen.

Was der Motte das Licht, das sind dem Kenner Proben und Verkostungen aller Art. Sein Eldorado ist die Messe, insbesondere die Weinmesse. Dort fühlt sich der Kenner in seinem Element, trifft er hier doch auf leidensfähiges Fußvolk, das kaum eine Chance hat, seinen Ausführungen zu entkommen. Getrübt wird dieses Erlebnis bestenfalls durch den Feind aller Kenner – den anderen Kenner.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Nichts, aber auch gar nichts spricht gegen ein gutes Gehör, gegen musikalisches Gespür, einen feinen, geschulten Geruchssinn oder önologisches Wissen. Das ist alles ganz wunderbar und kann einem helfen, schöne oder auch wohlschmeckende Dinge noch mehr zu genießen.

Genau das aber ist der springende Punkt. Der Kenner ist kein Genießer. Um das Schöne, das Sinnliche geht es ihm nicht. Er behandelt sein Wissen über Musik, Weine oder Essen wie der Hobbyschrauber seine Kenntnisse von Flanschnormen.

Letztere sind unerlässlich, wenn man an einem Motor herumschraubt oder die Rohrleitungen eines Haus renoviert, sonst endet die Geschichte im Desaster. Flanschnormen sind eine wichtige Sache. Ästhetisches Wissen jedoch ist erst einmal nutzlos. Es hat nur einen Sinn: den ästhetischen Genuss zu erhöhen. Wissen über Musik, Wein oder Whiskey hat keinen praktischen Wert, zumindest solang man nicht Winzer oder Brenner ist oder es sich in den Kopf gesetzt hat, eine Oper zu komponieren.

Ästhetisches Wissen versetzt einen jedoch in die Lage, Dinge zu hören, zu sehen oder zu schmecken, die ungeschulte Gemüter nicht ohne weiteres wahrnehmen. Auch das muss natürlich nicht sein. Man kann sich in einem Konzert oder mit einer guten Flasche Wein auch ohne jede Vorbildung wunderbar amüsieren – keine Frage. Ein bisschen Wissen über das, was man da konsumiert, macht die Sache mitunter aber doch kurzweiliger und lustiger.

Der Kenner hingegen ist im Grunde ein freudloser und unsinnlicher Asket. Ihm geht es nicht um den Genuss, sondern um Daten und Fakten. Seine tiefe Verachtung gilt all jenen aus seiner Sicht schlicht gestrickten Zeitgenossen, denen ein Wein einfach schmeckt und die der Wirkung des Alkohols durchaus positiv gegenüberstehen.

Da der Kenner in der Tiefe seines Herzens ein Kostverächter ist, seziert er an jedem sinnlichen Eindruck solang herum, bis er alle Facetten eines Klang- oder Geschmackbildes aufgedröselt hat. Das ist nicht nur unendlich freudlos, es lenkt auch noch von dem Wesentlichen ab. Wein ist eben Wein und keine Mixtur aus gelben Früchten, Zitrusaromen und Kräuternoten. Dann könnten wir nämlich auch Multivitaminsaft trinken und dabei versuchen, seine Ingredienzien zu erraten.

Das wäre für den Kenner natürlich genauso absurd, wie detailliertes Wissen über die musikalische Entwicklung von Dieter Bohlen. Deshalb ist der Kenner auch nie ein Fan, sondern ein Bildungsspießer, der seinen Mangel an Genussfähigkeit mit technokratischem Wissen kompensiert. Da ist natürlich irgendwie traurig. Aber muss man deshalb gleich seiner gesamten Umwelt den Spaß verderben? Bitte nicht!

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