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RTL 2

Kuppelshows - Die neue Prüderie

Kolumne: Stilfrage. Rumgezicke als Quotengarant: In Datingshows wie „Kiss or Cash“ geht es weder um die Liebe noch um Erotik. Vielmehr sorgen diese Formate dafür, dass sich Wünsche und Gefühle in der Mediengesellschaft immer mehr angleichen. Das ist zutiefst prüde

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Kira und Jana sind voll sauer. Und zwar auf Vanessa. Denn Vanessa hat sich unter einem Vorwand in Andrés Zimmer reingeschmuggelt. Und da André gerade aus der Dusche kam, hat sie beherzt die Chance ergriffen, ihm den Rücken einzucremen. Jana findet, Vanessa sei „eine miese Schlampe“. Kira hält sie einfach nur für „hinterlistig“. Dass Vanessa André am Vortag geküsst hat, ist auch nicht geeignet, die Situation zu entschärfen. Kira: „Du bist so billig, ganz ehrlich.“ Jana: „Du bist ’ne richtige Schlampe!“ – Willkommen bei „Kiss or Cash“.

„Kiss or Cash“ ist eines der unzähligen Dating-Formate, die derzeit über die deutschen Flachbildschirme flackern. Produziert wird die Kuppelshow von RTL2. „Ein Mann, sechs Frauen und die Frage: Liebe oder Geld?“, fasst der Kölner Sender den Inhalt des Formats zusammen.

Voll fies, dieses Format


Die Pointe dabei: Jeden Abend verteilt der Mann vier Diamantanhänger an seine aktuellen Favoritinnen und schickt eine Kandidatin nach Hause. Unter den drei verbliebenen Schönheiten wählt er dann am letzten Abend seine Traumfrau – oder das geringste Übel, je nach dem. Die Siegerin kann ihm jedoch die kalte Schulter zeigen und ihre gesammelten Anhänger für 50 Euro pro Stück in Bargeld umtauschen. Voll fies.

Die erste Staffel präsentierte André aus Düsseldorf, seines Zeichens Fitnessmodell – was auch nicht zu übersehen war. Für ihn ist bei einer Frau ganz wichtig, „dass sie ehrlich ist, treu ist, ein gesundes Selbstbewusstsein besitzt.“ Da kann man nichts sagen. Hört sich vernünftig an. Überhaupt: André ist eigentlich ein ganz sympathischer Kumpel.

Allerdings ist auch der stärkste Mann mitunter überfordert. Etwa wenn ein handfester Zickenkrieg ausbricht. Da kann man leicht ins Stottern geraten: „Mädels, was geht denn jetzt bei euch ab? Meint ihr irgendwie, so, wir sind hier im Zoo, oder was? Weil, ich fühl mich hier wie in so ’nem Affenkäfig. Das ist ja total primitiv hier. Was soll das?“

Sexualisiertes Buhlen


Immerhin: André hat den Durchblick. Die Sache ist in der Tat primitiv. Allerdings nicht nur der inszenierte Streit der Ladys, sondern das gesamte Format. Man braucht kein Feminist zu sein (zur Not reicht auch eine gute Kinderstube), um das sexualisierte Buhlen von sechs Frauen um einen Mann abstoßend zu finden.

Einfältig sind jedoch nicht nur die präsentierten Geschlechterrollen, sondern auch die Klischees, mit denen sie inszeniert werden: Hier das tapsige Männlein mit den Muckis, dort die zickigen Weibchen, die sich an der Pole-Dance-Stange räkeln, Rücken eincremen und ihre weiblichen Vorzüge in knappen Bikinis und bei neckischen Spielchen präsentieren. Oh weh.

„Kiss or Catch“ ist allerdings kein Ausrutscher. Ebenfalls bei RTL2 läuft in diesem Sommer „Next, please!“. Immerhin: Hier dürfen nicht nur drei Weibchen um ein Männchen, sondern auch drei Herren um eine Dame balzen. Das sorgt für eine gewisse Gerechtigkeit und unterbindet enervierendes Rumgezicke. Allein: Das macht die Sache nicht besser.

Man sehnt sich fast nach Miesepetern


Nach Senderselbstauskunft bietet „Next, please!“ „Sommer, Sonne, Strand und heiße Flirts.“ Ok, Sommer, Sonne und Strand sind tatsächlich zu sehen, aber statt heißer Flirts gibt es eher gähnend langweilige Spielchen, garniert mit plumper Anmache und krampfiger Kerzenscheinromantik. Allerdings ist schwer zu entscheiden, ob das an den – verständlicherweise – hilflosen Kandidaten liegt oder an dusseligen Scripts.

91 Folgen von „Next, please“ wurden bis Freitag ausgestrahlt. Die Anzahl der Kandidaten kann man sich leicht ausrechnen (allerdings treten manche zwei Mal an – gibt es da Nachschubprobleme?). Doch von Vielfalt keine Spur. Und das bei einem Format, bei dem sich die Kandidaten möglichst individuell präsentieren wollen.

Die Vorstellungen von Individualität sind bei den meisten Mitspielern allerdings ziemlich normiert. Das beginnt bei Äußerlichkeiten, geht über das Bild vom jeweiligen Traumpartner und endet bei der Einschätzung der eigenen Stärken. Der ideale Partner – also der „Traumtyp“ oder das „Traumgirl“ – muss lustig sein, spontan, für alles offen, und man muss mit ihm Pferde stehlen können. An sich selber schätzen die Kandidaten, dass sie – richtig geraten – lustig sind, spontan, für alles offen und dass man mit ihnen Pferde stehlen kann. Spätestens nach dreidutzend lustigen und spontanen Teilnehmern sehnt man sich geradezu nach einem bornierten Miesepeter.

Aber der ist nicht in Sicht. Alle sind „gut drauf“ und sehen ihren Lebenssinn darin, „Party zu machen“ und „Fun zu haben“. Das Phrasenhafte dieser Sehnsüchte lässt allerdings weniger auf echte Bedürfnisse schließen, sondern auf konfektionierte Glücksvorstellungen.

Da wundert es dann auch nicht mehr, dass die Inszenierungen der jeweiligen „Dates“ wie aus der Konservendose anmuten: vom Jachtausflug bis zum Candlelight-Dinner am Strand ist alles dabei.

Die tiefere Ursache für diese öde Inszenierung standardisierter Sehnsüchte und biederer Erotik liegt in der Selbstbezüglichkeit des Medialen: Was Glück ist, Romantik und Erotik, das lernt der Mensch der Medienmoderne in den elektronischen Massenmedien. Wird er dann selbst für ein paar Minuten zum Fernsehstar, reproduziert er den erlernten medialen Kitsch als eigene Wünsche – und wird umgehend selbst Teil dieser Normierungsindustrie.

Deren Botschaft ist nur vordergründig lasziv und sexualisiert. Zwar sind die Jungs zumeist überdurchschnittlich muskelbepackt und die Mädels lassen kaum eine Gelegenheit aus, ihre Reize der Kamera zu präsentieren. Von Erotik oder gar Pornoisierung ist die aufgesetzte Selbstinszenierung der Kandidaten jedoch meilenweit entfernt.

Es geht weder um Erotik noch um Gefühle


Im Gegenteil: Die abgespulten Erotik-Formeln sind Ausdruck einer neuen Prüderie. Die gibt sich nach außen zwar sexualisiert, im Grunde aber fehlt ihr alles, was Sinnlichkeit und Erotik ausmacht: Individualität, das Nichtnormierte, das Persönliche.

„Kiss or Cash“ ist daher konsequent. Im Grunde behauptet es gar nicht, dass es um Erotik geht oder gar um Gefühle. Vielmehr geht es ums Geld. Und das können die Frauen gewinnen, wenn sie dem Mann eine hübsche Show bieten. Das ist reaktionär und abgeschmackt, aber realistisch.

Übrigens: André aus „Kiss or Cash“ ging leer aus. Kira wählte das Geld. André fand das „Krass!“ Und wurde dann nachdenklich: „Ich hab gedacht, die Kira meint das irgendwie ernst. Kam so ’rüber bis jetzt, und das sie dann irgendwie das Geld nimmt, ist ja…“

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