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Low-Carb - Der Kampf wider das Mehl

Die Welt der Ess-Mode hat einen neuen Aussätzigen gefunden: Kohlenhydrate. Im Kampf wider das Mehl geht es den Low-Carb-Jüngern und Nudel-Gegnern vor allem um eines: den Status der Haute Cuisine

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Julius Grützke ist Autor und Gastronomiekritiker. Er lebt in Berlin

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Die ausgewogene Ernährung ist aus der Mode gekommen. Früher rieten Experten zu einer gesunden Mischung aus den Grundbausteinen des Lebens. Proteine, Fette und Kohlenhydrate sollten in einem harmonischen Verhältnis die Basis für die Speisen jedes Tages bilden. Doch diese Vision einer kompletten Idealmahlzeit hat sich überholt: Die einzelnen Bestandteile der Nahrung sind Gegenstand von Debatten geworden. Stärke, Eiweiß und Fett haben Fürsprecher und Gegner gefunden, die sich gegenseitig mit Argumenten auf den Leib rücken.

Fett - der Underdog


Dabei gibt es stets einen Underdog. Eine lange währende Kampagne richtete sich seit den sechziger Jahren gegen das Fett. Zunächst wurde die Butter verdächtigt, das Herz zu schädigen. Mit der Zeit traf es auch die anderen Öle, die allesamt als schädliche Dickmacher galten. Fettreduzierte Lightprodukte fanden reißenden Absatz und boten der Industrie die Möglichkeit, bewussten Essern synthetische Zubereitungen schmackhaft zu machen. Allein die Wirksamkeit der auf dem Fettverzicht beruhenden Diäten ließ zu wünschen übrig. Das sorgte für Unmut, der sich schließlich in ein neues Feindbild kanalisierte.

Zurzeit geben die Kohlenhydrate das schwarze Schaf. War es zunächst nur der raffinierte Schurke Zucker, der verteufelt wurde, trifft es inzwischen alle Produkte aus Mehl und Stärke. Man lässt nicht allein wegen der schlanken Linie die sogenannten Sättigungsbeilagen weg, sondern glaubt zugleich, das allgemeine Wohlbefinden zu steigern, indem man sich des Ballasts der Getreideerzeugnisse entledigt.

Das beschränkt sich längst nicht mehr auf den Rahmen von Privathaushalten und Abnehmcamps, sondern hat auch in der Hochküche Einzug gehalten. Ein bekannter Sternekoch zum Beispiel brüstet sich damit, in seinem Restaurant auf Reis, Nudeln und Kartoffeln zu verzichten. Nicht einmal das übliche Brot wird dem Gast auf den Tisch gestellt. Dass eine solche radikale Maßgabe in einem vom Michelin mit Sternen dekorierten Lokal der obersten Preiskategorie den Gästen zugemutet werden kann, zeigt allerdings auch, was es mit solchen rigiden Speiseregeln auf sich hat.

Stärke-Verschmäher haben eine Schwäche für Exklusivität


Für den größten Teil der Menschheit ist Ernährung keine Modeerscheinung, sondern überlebenswichtige Energiezufuhr. Dabei spielen die Kohlenhydrate eine ähnliche Rolle wie das Öl als Kraftquelle der globalen Ökonomie. Der Getreideanbau sichert das Überleben der Mehrheit der Erdbevölkerung – Fette und Proteine können nur mit erheblich größerem Aufwand produziert werden. Wer also demonstrativ die Stärke verschmäht, hat eine Schwäche für das Statussymbol einer Exklusivität, die sich nur wenige leisten können. Sollen doch die anderen das vulgäre Schrot verzehren, scheinen die Proponenten der Low-Carb-Bewegung zu sagen, wir halten uns an wertvollere Nahrungsbestandteile – wie einst der Adel, der den Bauern das Fleisch nahm und ihnen nur die Grütze ließ.

Der Klassenaspekt dieser Ideologie kann auch daran ermessen werden, dass das Brot und seine Mitstreiter gar nicht aus geschmacklichen Gründen verfemt werden. Es ist vielmehr ein diätetischer Vorbehalt: Getreide schwächen die Elite. Solche Erwägungen sind nicht neu. Schon der Futurist und Protofaschist Marinetti verdammte einst die kohlenhydratreiche Pasta, weil sie die Italiener träge und kriegsscheu machte.

Das nächste Opfer: Eiweiß


Eine Mobilmachung haben wir allerdings nicht zu befürchten. Es ist eine grundlegende Eigenschaft von Essvorschriften, dass sie unterlaufen werden. Gegen die Reinheit der Lehre steht die Korruption des Körpers, die üblicherweise obsiegt. Die fettarm Lebenden schleichen nachts zum Kühlschrank, um sich hemmungslos am Sahneeis zu laben und der Low-Carb-Jünger feiert heimliche Nudelorgien. Das macht Diäten wirkungslos und diskreditiert die Experten. Neue Lehren treten auf den Plan und verteufeln andere Nahrungsbestandteile.

Man kann vermuten, dass es als Nächstes den Eiweißen an den Kragen geht. Der Kampf gegen das Gluten, ein Protein im Weizen, mag da ein Vorzeichen eines neuen Trends sein.

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