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Gin and Tonic - Es wird wieder gradliniger getrunken

Seit langem gilt der klassische Gin Tonic als englisches Nationalgetränk. Nun bringen immer mehr deutsche Anbieter bemerkenswerte Kreationen auf den Markt. Queen Mum allerdings hätte vermutlich nur gütig gelächelt. Die Stilkolumne

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Prinz Harry gilt sehr zu Recht als ausgewiesener Fachmann für eine heitere und kurzweilige Feier. Während sein Bruder eher den Eindruck einer etwas drögen Spaßbremse vermittelt und Papa gerne mit Blumen plaudert, fällt der junge Prince of Wales immer wieder durch fröhliche und ausgelassene Partys auf. Einer der unbestrittenen Höhepunkte seines an bemerkenswerten Einfällen nicht armen Partylebens war ohne Zweifel seine spaßige Idee, Wodka durch die Nase zu konsumieren. Dabei spricht nichts gegen die Nase. Wirklich schockierend war jedoch die Wahl der Spirituose.

Wodka mischen Teenager in koffeinhaltige Gummibärchenbrause, um sich so richtig die Kante zu geben. Und Russen verwenden ihn als Tafelwasser. Für zivilisierte Westeuropäer über 18 ist Wodka jedoch nur eine vollkommen sinnlose Form der Alkoholzufuhr. Prinz Harry hätte sich bei der Wahl des richtigen Partygetränks einfach auf die unbestreitbare Kompetenz seiner Urgroßmutter verlassen sollen. Für Queen Mum gab es stets nur ein adäquates Mittel für den kleinen Schwips – Gin, am besten in Verbindung mit Tonic Water.

Dabei ist Gin ursprünglich gar kein britisches Getränk. Sein Vorläufer, das Genever, stammt aus den Niederlanden. Als „Erfinder“ des Gins gilt gemeinhin der Alchemist Sylvius de Bouve, der Ende des 16. Jahrhunderts an der Universität Leiden lehrte und dort Getreidedestillat Wacholderöl zusetzte – als Mittel gegen Blasenschwäche.

In den 1830ern entstand der „London Dry Gin"
 

Mit englischen Soldaten wanderte das Genever über den Kanal, wurde dort zum Gin und erfreute sich bald größter Beliebtheit. Als Queen Anne 1702 schließlich die Herstellung von Gin ohne Lizenz erlaubte, schossen überall im Land Destillerien aus dem Boden. Der Billigfusel, den sie herstellten, muss grauenvoll geschmeckt haben. Erst ab den 1830er Jahren machten sauberere und mehrfache Destillationsverfahren einen weicheren und runden Geschmack möglich, das war die Geburtsstunde des klassischen „London Dry Gin“.

Es waren dann britische Kolonialoffiziere, die dem Gin einen kongenialen Partner zur Seite stellten, indem sie ihn in mit Chinin versetzte Zitronenlimonade kippten: das war die Erfindung der Gin and Tonic. Und mit dem Siegeszug der American Bar seit der Weltausstellung in Paris 1889 kam schließlich eine weitere Verwendung dieser wunderbaren Spirituose ins Spiel – der Cocktail, insbesondere in Gestalt des Martini.

Bis in die 1960er Jahre galt Gin als die klassische Barspirituose schlechthin. Was wäre eine American Bar ohne Fizzes und Gimlets, ohne White Lady oder Tom Collins? Dann kamen die 70er und 80er Jahre. Die Drinks wurden exotischer, pompöser und bunter, der Tiki-Style feierte eine fröhliche Renaissance, und man steckte Unmengen Früchte mit Lamettapuscheln auf die Gläser. Schlichte, elegante Gindrinks waren, wie alle Klassiker, mehr als out.

Das hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Es wird wieder gradliniger getrunken und pointierter. Damit einher geht eine Rückbesinnung auf die klassischen Cocktails der 20er Jahre, auf Sours, Gimlets und Old Fashioneds. Und auf Gin.

Besonders überraschende Ergebnisse hat der Gin-Boom der letzten Jahre in Deutschland hervorgebracht, getragen durch Enthusiasten und kleine, unabhängige Produzenten.

Begonnen hat alles im Jahr 2005. Da erweckten Ulf Stahl, Professor für Mikrobiologie an der Technischen Universität Berlin, und der Gastronom Gerald Schroff die Berliner „Preußische Spirituosen Manufaktur“ zu neuem Leben und legten den „Adler Gin“ auf.

2007 dann gründeten die Studenten Daniel Schönecker und Maximilian Schauerte in der Münchner Maxvorstadt eine Gin-Destillerie und nannten das Produkt „The Duke“ – nach dem Gründer der Stadt, Herzog Heinrich dem Löwen. Aromatisiert wird der Herzog unter anderem mit Wacholderbeeren, Ingwer, Koriander, Lavendel, Zimt, Zitronenschalen, Orangenblüten, Pfeffer und – als Reminiszenz an die bayerische Herkunft – mit Hopfen und Malz. Der Erfolg war überwältigend. Das Produkt auch.

Nur wenige Jahre später kam der „Monkey 47“ auf den Markt. Hinter dem stehen Alexander Stein, Spross einer bedeutenden Brennerfamilie, und Christoph Keller, Verleger, Kurator und Professor für Typografie. Für den Affen aus dem Schwarzwald werden 47 Botanicals verwendet, darunter Fichtennadelspitzen und lokale Kräuter. Das Ergebnis ist sensationell, aromatisch, mild, vollmundig. Ein Gin zum pur trinken, ein Erlebnis im Gin and Tonic. Kein Wunder, dass der Monkey in den letzten Jahren mit Preisen überhäuft wurde.

Adler, Herzog und Affe waren die Vorreiter. Dann ging es Schlag auf Schlag: Für die gleichnamige Bar im Stammhaus des Café Einstein in Berlin wurde der „Lebensstern“ aufgelegt, ein harmonischer und körperreicher Gin, hergestellt durch die Destillerie Freihof in Vorarlberg.

„The Bitter Truth“, seit 2006 auf dem Markt und ursprünglich auf Bitters spezialisiert, brachte einen Schlehen- und einen Pink Gin heraus, letzteren mit hauseigenen Bitters aromatisiert.

Die Twist Skybar in Dresden präsentierte ihren „Twist Gin“, produziert in Sachsen, ein sehr kräftiges und eher zitroniges Produkt, ebenso wie der „Omen Gin“ des Hamburger Quereinsteigers Lucas Krauße.

Aus einem Traditionshaus kommt hingegen der „Black Gin“ der Gansloser Destillerie J.G. Frey aus Bad Ditzenbach, ein weicher, beinah cremiger Gin mit einem traditionellem, aber fein nuancierten Aromaspektrum.

Und dann ist da noch Hubertus Vallendar, vielfach ausgezeichneter und renommierter Brennmeister aus Rheinland-Pfalz, der unter seiner Marke „The Secret Treasures“ einen herrlichen, leicht gesüßten Old Tom Gin vorlegt – der allerdings streng limitiert abgefüllt wird.

Queen Mum hätte gütig gelächelt
 

Mehr als genug Auswahl, könnte man meinen, zumal das nur ein kleiner Querschnitt war und auch der internationale Markt, neben den britischen Traditionsmarken, mit einer fast unüberschaubaren Vielfalt neuer Produkte aufwartet. Allein die Xixbar in Barcelona, die als Auslöser des Gin-Booms gilt, hat über 130 Gins im Angebot – und ein Dutzend Tonic Water. Doch der Gin-Enthusiasmus kennt keine Grenzen, und so experimentieren ambitionierte Bartender mit Infusionen, lagern Gin auf Tees, Blüten oder Kräuter aller Art.

Kein Wunder also, dass der Infusions-Hype auch die deutschen Brenner erfasst hat. Da ist zum Beispiel „Ferdinand’s Saar Dry Gin“, dem, je nach Weincharge, 1 – 5% Riesling des saarländischen Spitzenweingutes Geltz-Zilliken beigegeben werden. Oder der „Madame Geneva Rouge“ der Brennerei Kreuzritter aus dem niedersächsischen Mühlen, angereichert mit apulischem Primitivo.

Die selige Queen Mum hätte über diese teutonischen Kompositionen wahrscheinlich gütig gelächelt und zu ihrem geliebten „Booth Gin“ gegriffen. Cheers und – lang lebe die Königin!

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