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Authentizität vs. Männermode - Große Jungs im Karnevalskostüm

Verzweifelt irren Männer im Vintage-Stil eines Proletariers des vergangenen Jahrhunderts umher - auf Suche nach Authentizität. Dieses rückwärtsgewandte Männerbild ist jedoch karnevaleske Selbstinszenierung. Denn ein Mensch ist authentisch, wenn Persönlichkeit, Kleidung und soziale Situation eine Einheit ergeben

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Mode ist das Gegenteil von Authentizität. Mode ist künstlich, Mode ist unecht, Mode ist Schein. Das ist ja das Tolle an ihr. Zumindest an der Damenmode. Denn nur die Damenmode ist Mode. Die Herrenmode hat sich im Grunde seit dem frühen 19. Jahrhundert kaum verändert. Der Mann trägt Anzug oder Kombination, mal weiter geschnitten und mal enger, mit längerer Jacke oder kürzerer, mit breitem Revers oder schmalem, doppel- oder einreihig. Das war es dann aber auch schon.

Männermode soll Kontinuität, Frauenkleidung Innovation signalisieren


Die Kleidung des Mannes soll Kontinuität signalisieren, Verlässlichkeit und Seriosität. Deshalb verändert sie weder sich noch die Gesellschaft, sondern passt sich gesellschaftlichen Konventionen an. Das Polohemd zum Beispiel gibt es seit hundert Jahren. Nur wurde es anfangs – wie der Name schon sagt – zum Polospielen getragen. Auf die Idee, es außerhalb des Sportplatzes anzuziehen, kam man erst in den 60ern.

Mode für Frauen hingegen will innovativ sein, unkonventionell, anders und überraschend. Männermode ist im Kern konservativ. Sie setzt keine Normen, sie orientiert sich an ihnen. Die nahe liegende Frage, was uns das über Männer und was uns das über Frauen sagt, sparen wir uns an dieser Stelle.

Da Männermode eher von der Kontinuität lebt als vom Wandel, hat sie mitunter einen Zug ins Nostalgische. Das wirkt schnell unfreiwillig komisch: Die rahmengenähten Schuhe, der maßgefertigte Anzug, das Hemd aus der Jeremy Street, darüber einen Chesterfield – vieles, was in einschlägigen Stilratgebern oder entsprechenden Modeblogs als Ausdruck gehobener Kleidungskultur propagiert wird, schrammt hart an der Verkleidung vorbei.

Richtig fragwürdig wird es allerdings, wenn die männliche Sehnsucht nach dem Echten, Wahren und Unverstellten zum Selbstzweck wird. Dann wird der konservative Grundzug der Männermode im Namen angeblich zeitloser Werte ins Reaktionäre uminterpretiert. Das Ergebnis ist weder originell noch geschmackssicher, geschweige denn männlich, sondern eine Karikatur.

Die Sehnsucht nach Authentizität ist ein Missverständnis


Die seit Jahren in der Männermode um sich greifende Sehnsucht nach Authentizität ist ein großes Missverständnis, dass in ihrer Manufactumisierung mündet – Kleidung als Spielzeug für große Jungs, die sich dafür begeistern, dass ihr Pulli aus japanischer Baumwolle auf einer Tsuri-Maschine hergestellt, ihre schottische Strickjacke in Seamless-Technologie gestrickt und das von walisischen Rindern stammende Leder ihrer Aktentasche in Fischtran und Birkenrindenteer gewalkt und gefettet wurde.

Um nicht missverstanden zu werden: nichts spricht gegen Handwerkskunst. Natürlich sind ordentlich hergestellte Schuhe der Massenware vorzuziehen. Selbstverständlich hat eine handgefertigte Canvastasche von Chapman tausendmal mehr Charme als ein ähnliches Massenprodukt aus Fernost. Und gegen hochwertig gewebte Tücher für Anzüge, Jacketts und Hosen spricht schon mal gar nichts.

Wichtig ist allerdings, was man daraus macht. Und das sieht bei den Jüngern des Wahren, Kernigen und Echten eher drollig aus.

Der moderne, auf authentisch machende Mann hat klumpige Stiefel von Red Wing oder Wesco an den Füßen, trägt verbeulte Hosen von Bergfabel, ein schlabberiges Hemd von Hansen und ein formloses Jackett von Haversack, in dessen Taschen sich vermutlich ein japanisches Mcusta Klappmesser befindet – das rundet die ungezähmte Männlichkeit erst so richtig ab, zumal es in 32 Stahllagen handgeschmiedet wurde.

Die ganze Inszenierung soll Individualismus ausstrahlen, Eigensinn und Prinzipientreue. Das geht allerdings gründlich schief, was vor allem daran liegt, dass das Männerbild, das hier transportiert wird, an Einfalt kaum zu überbieten ist. Denn eine Männlichkeit, die sich Sorgen um ihre Männlichkeit macht, und der in ihrer Hilflosigkeit nichts Besseres einfällt, als abgegriffene Stereotypen künstlich wiederzubeleben, ist alles andere nur eben nicht männlich. Vollkommen abgesehen davon, dass die Überzeugung, Haltung, Gradlinigkeit und Charakterfestigkeit seien männliche Monopole, nicht besonders maskulin ist, sondern allenfalls einfältig. Angstbesetzte Exaltiertheit ist das Gegenteil von Männlichkeit. Doch das nur nebenbei.

Der neue Archaik-Look


Die Sehnsucht nach Authentizität proklamiert eine neue Archaik, die sich in ihrer Formsprache an der Kleidung der Arbeiter, Bauern und Soldaten Anfang des letzten Jahrhunderts orientiert. Das Ergebnis ist ein gekünstelt wirkender Edel-Design-Retro-Proletarier in handvernähten Worker Boots und putziger Datschkapp von Stetson auf dem Kopf.

Gleichzeitig hat Mode natürlich viel mit Authentizität zu tun. Modische Authentizität darf jedoch nicht mit historischer Rückwärtsgewandtheit verwechselt werden und mit überholten Geschlechterbildern schon mal gar nicht. Sie betrifft vielmehr das gesamte Erscheinungsbild einer Person und ihr Verhältnis zur Umwelt. Gut, modisch und geschmackvoll sind derjenigen gekleidet – und das gilt für Männlein wie für Weiblein –, bei denen Persönlichkeit, Kleidung und soziale Situation eine Einheit ergeben, der Mensch also echt wirkt, authentisch, wenn man will.

Große Jungs verwechseln Eskapismus mit Haltung


Dabei stellen sich natürlich Fragen. Etwa, weshalb wir Männlichkeit und Weiblichkeit mit komplett unterschiedlichen Inszenierungsstrategien verbinden. Weshalb wird weibliche Authentizität mit Mitteln der Kurzlebigkeit erzeugt, männliche hingegen mit dem suggerieren von Zeitlosigkeit? Sind Frauen der progressivere Teil der Menschheit? Oder gerade nicht?

Wie dem auch sei: Der alberne Edel-Vintage-Rugged-Worker-Style ist so authentisch wie ein Karnevalskostüm. Er ist die Verkleidung großer Jungs, die Eskapismus mit Haltung verwechseln.

Doch es gibt kein richtiges Leben im Falschen – in der Mode schon mal gar nicht.

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