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Apple Pay - Die Verweltlichung des Mysteriums Geld

Kolumne: Stilfrage. Zahlen hat immer auch etwas mit Scham zu tun. Das wird Apple Pay ändern, indem es die Verbindung von Käufer und Verkäufer kappt und auf ein lustiges Piepsen verkürzt. Der Kauf wird so zu einem autistischen Akt

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Die gute Nachricht gleich am Anfang: Ihr gesamter Besitz ist komplett wertlos. Ihre Wohnung, ihr Auto, der Computer, auf den sie gerade starren, Omas Meissner Porzellan im Wohnzimmerschrank: alles vollkommen wertlos.

Das Schöne daran: Ihrem Nachbarn geht es nicht besser. Und nicht nur ihrem Nachbarn. Im Grund ist erst einmal alles auf dieser Welt wertlos – egal ob natürlicher Gegenstand oder Artefakt.

Einen Wert bekommen Dinge nur dadurch, dass Menschen sie als wertvoll erachten. Das machen sie zumeist dann, wenn die fraglichen Gegenstände irgendwie nützlich sind: mit Faustkeilen etwa kann man hacken, schneiden und schaben, Felle wärmen, und bunte Steinchen schmücken. Deshalb besitzen diese Dinge einen Gebrauchswert.

Wenn man nun ein besonders eifriger Produzent von Faustkeilen ist, deshalb aber keine Zeit mehr findet, bunte Steinchen zu sammeln, kann man die einen gegen die anderen tauschen: etwa zwei Faustkeile gegen dreißig Steinchen. So bekommen Dinge ihren Tauschwert.

Der allerdings ist abhängig von Angebot und Nachfrage. Wer sich nicht für bunte Steinchen interessiert, wird seine wertvollen Faustkeile kaum gegen sie eintauschen. Hier ergibt sich ein Problem.

Seine Lösung: ein Zahlungsmittel. Mit Hilfe des Zahlungsmittels kann unser Steinchensammler nämlich problemlos seine Faustkeile beim Faustkeilproduzenten kaufen – etwa weil ihm der Schafzüchter zuvor ganz viele bunte Steinchen abgekauft hat.

Geldsegen


Zahlungsmittel dieser Art haben jedoch nicht nur den Vorteil, dass der potentielle Kunde dem Verkäufer nicht seinerseits ein spannendes Produkt anbieten muss. Sie bieten auch andere Vorzüge. Muscheln oder Glasperlen als Währung sind etwa bequemer zu transportieren als Schafe oder Schweinhälften. Zudem halten sie länger und sind leichter zu teilen. Das macht das Leben einfacher.

Kurz: Die Erfindung des Geldes war ein Segen. Aber irgendwie war es den Menschen immer auch unheimlich. Grund dafür waren seine offensichtlichen Vorzüge: das es teilbar ist, leicht zu transportieren und für etwas anderes steht. Diese Eigenschaften sind zwar banal – für eher spirituell veranlagte Gemüter hatten sie jedoch schon immer etwas Magisches.

Darüber hinaus hat Geld auch eine soziale Funktion. Und die ist nicht immer angenehm. Es stellt nämlich für wenige Augenblicke eine Verbindung zwischen zwei Menschen her: Käufer und Verkäufer. Diese Verbindung ist zeitlich ziemlich limitiert. Sie beschränkt sich auf die wenigen Sekunden des Austausches von Geld und Ware. Aber gerade das macht sie auch so unangenehm.

So explizit ist das erstmals dem Soziologen Georg Simmel aufgefallen. Geld initiiert ein Schuldverhältnis zwischen zwei Menschen. Und sei es für Augenblicke. Deshalb fangen Leute an der Kasse an, hektisch in ihren Taschen zu kramen. Deshalb werden sie rot, wenn sie nicht schnell genug den passenden Betrag finden: sie wollen das Schuldverhältnis möglichst schnell beseitigen.

Doch Rettung naht. Denn nun geht es – glaubt man den Auguren der schönen neuen digitalen Glitzerwelt – dem Papiergeld ebenso an den Kragen wie der Kreditkarte. Die Ursache dafür hat einen Namen: Apple.

Mit seinem neuen iPhone 6 und dem integrierten Service Apple Pay möchte der Technologiekonzern aus Cupertino schaffen, was selbst der Kreditkarte nicht vergönnt war: die Entmaterialisierung des Kaufvorgangs.

Nun ist die penetrante Apple-Marketingshow tatsächlich überaus peinlich und die Anbiederung der angeblich unabhängigen Medien an den vermeintlichen Trendsetter ärgerlich und unangenehm. Doch gerade aufgrund der Medienpräsenz des Unternehmens und der tumben Bereitschaft seiner Anhänger zur bedingungslosen Gefolgschaft ist nicht auszuschließen, dass Apples Angriff auf das Bargeld nicht gänzlich erfolglos sein wird.

Als Apple-CEO Tim Cook am 9. September das neue Bezahlsystem Apple Pay präsentierte, zeigte er dem devot jubelnden Publikum zunächst eine zerschlissene Brieftasche, aus der Dollarnoten und Kreditkarten hervorlugten. Jeder verstand: Ein Produkt von gestern, nicht unähnlich dem mittelalterlichen Lederbeutel. Und für die besonders Begriffsstutzingen erläuterte der Apple-Chef: „Our vision is to replace this“.

Apple hat das Bezahlen verstanden


Und dann präsentierte Cook eines seiner vielen Werbefilmchen. Es zeigt einen sehr alltäglichen Vorgang: den Kauf eines Kleidungsstücks mit einer Kreditkarte. Umständlich kramt die Käuferin ihr Portemonnaie aus ihrer Handtasche und wählt zögerlich zwischen ihren Kreditkarten. Dann verlangt die Verkäuferin einen Ausweis. Das Gesicht der Kundin zeigt ihr Unbehagen und das Peinliche dieser Situation. Dann zieht die Verkäuferin die Kreditkarte durch das Lesegerät. Doch die Karte kann nicht gelesen werden. Das Ganze wird immer unangenehmer. Dann, endlich, funktioniert alles, und erleichtert bekommt die Kundin ihre Karte zurück.

Wie anders der Zahlvorgang mit Apple Pay: Man hält sein iPhone vor das Lesegerät, es piepst lustig, alle strahlen. Cook euphorisch: „That’s it, that’s it“.

Das ist es. In der Tat. Apple hat verstanden, was Bezahlen im Kern ist: Ein zutiefst unangenehmer Vorgang. Schon das Tauschen mit Muscheln war wahrscheinlich hochnotpeinlich. Und die Erfindung des Bargeldes hat daran ebenso wenig geändert wie die Kreditkarte.

Das wird Apple Pay ändern. Indem es die Verbindung von Käufer und Verkäufer kappt und auf ein lustiges Piepsen verkürzt. Der Einkauf mit Bargeld oder Kreditkarte war im Kern noch ein Tauschgeschäft, symbolisiert durch die Übergabe von buntem Papier oder farbigem Plastik.

Damit wird es bald vorbei sein. Der Kauf wird zu einem autistischen Akt. Der Kassierer agiert nur noch als Überbringer der Ware. Der Einkauf in einem Geschäft beginnt sich dem im Online-Handel anzunähern.

Das kann man allerdings auch als Zivilisationsfortschritt werten. Die Vergöttlichung des Geldes, die Simmel noch beklagte, ist verweltlicht zu einem kurzen Piepsen eines handlichen Mobilcomputers. Eine größere Entweihung des Mysteriums Geld ist eigentlich kaum vorstellbar. Dass wir sie ausgerechnet Apple zu verdanken haben, macht die Sache besonders komisch.

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