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Merkel in Bedrängnis - Ist das der Anfang vom Ende?

Merkels Flüchtlingspolitik droht zur Zerreißprobe zu werden: Horst Seehofer glaubt an einen Abwärtssog und hat sich mit der CSU von ihrer Politik demonstrativ abgewandt. Fraglich, wie Merkel wieder an Auftrieb gewinnen kann

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Man muss nur die richtigen Zeitschriften lesen, um zu wissen, was wirklich läuft. Eine recht bunte Gazette namens „Prima Freizeit“ zeigt auf ihrem aktuellen Titelblatt eine sympathisch lächelnde Kanzlerin in Rot nebst Ehemann im Hintergrund.

Darunter die nicht ganz zu Merkels Gesichtsausdruck passende Zeile: „Sie ist am Ende!“ Drunter die Unterzeile: „Jetzt bleibt ihr als letzter Ausweg nur noch der Rücktritt". Als reichte das alles noch nicht, prangt auf Brusthöhe wie ein Anstecker schwarz auf gelb: „Schlimme Schmerzen".

Boulevardjournalismus hat seine eigenen Gesetze und Regeln, und das sind andere als jene unseres Magazins. Was an dem reißerischen Titelblatt aber stimmt: Angela Merkel durchlebt in der Flüchtlingskrise die härtesten Wochen ihrer bald zehnjährigen Amtszeit.

Der größte Fehler der Kanzlerin
 

Sie selbst hat bei der Vorstellung einer Biografie über ihren Vorgänger vergangene Woche die Laudatio gehalten und befunden: Der größte Fehler Gerhard Schröders sei es gewesen, seinerzeit den Parteivorsitz abgegeben zu haben. Damit hat sie recht. Das war der Anfang vom Ende seiner Kanzlerschaft.

Die Frage ist: Erleben wir jetzt nach Merkels Schwenk in der Flüchtlingspolitik - weg vom „Wir schaffen das nicht“ gegenüber einem Flüchtlingsmädchen in Rostock hin zum „Wir schaffen das!“ - den Anfang vom Ende ihrer Kanzlerschaft? Ist das ihr größter Fehler gewesen?

Die CSU sieht das so und hat sich von Merkel abgewandt. Bisher war der Marschbefehl der Münchener Schwester der: Eng an Merkel bleiben, damit sie 2017 die Bundestagwahl gewinnt, die Thermik dieses Wahlerfolgs ausnutzen und 2018 in einen Wahlsieg mit absoluter Mehrheit ummünzen.

Seehofer glaubt an Abwärtssog
 

Horst Seehofer glaubt an diese Merkel-Thermik nicht mehr. Sondern an einen Abwärtssog. Deshalb flanscht er sich und die CSU vom Schicksal Merkels ab. Die ersten CDUler fangen ebenso an, ihren Widerspruch von Merkels Kurs öffentlich zu artikulieren.

Erst der Jungstar Jens Spahn, jetzt auch der Preusse Thomas de Maizière, der lange braucht, um illoyal zu werden. Wenn sich aber sogar der Innenminister von Merkels Kurs lossagt, hat das eine neue Dimension.

In der Flüchtlingsfrage tut sich Gewaltiges. Praktisch in den Heimen und Kommunen und politisch in Berlin. Die Merkelei, also die Engsten und Interpreten der Kanzlerin, versuchen es mit einer Erzählung, die so geht: Merkel möchte mit ihrer Flüchtlingspolitk Deutschland einen Crashkurs in Sachen Globalisierung verabreichen und das Land aus seiner Selbstgefälligkeit reißen.

Diese Erzählung ist, mit Verlaub, armselig. Eine Technologieoffensive der Digitalwüste Deutschland, eine digitale Agenda 2025, wäre da sinnvoller, um das Land globalisierungsfest zu machen.

War Seehofers Instinkt der richtige?
 

Am 22. November dieses Jahres wird es zehn Jahre her sein, dass Angela Merkel im Bundestag zum achten Regierungschef und ersten Kanzlerin dieses Landes gewählt wurde. Bis dahin werden die Seismografen der Meinungsforschung anzeigen, ob Merkel und die CDU an Thermik verlieren. Und dann wird sich zeigen, ob Seehofers Instinkt der richtige ist.

Bis dahin hilft nur: kundige Gazetten lesen. Die Geschichte in dem bunten Blättchen erweist sich leider als recht dünn: Sie handelt nur von Schlafmangel und zu wenig Zeit für ihren Mann. Und von „schlimmen Schmerzen“, die das Cover hinausbrüllte, stand da gar nichts.

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