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Schleichwerbung - Kuscheln mit der Waffenlobby

Der journalistische Anstand ist ein Opfer der Medienkrise - vor allem dann, wenn die Grenze zwischen redaktionellem Inhalt und bezahlter Anzeige verschwimmt. Wenn sich Medienhäuser dann auch noch von Waffenlobbyisten einwickeln lassen, wird es ganz gefährlich

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Auf den ersten Blick sieht die Artikel-Anzeigen-Kombination im Foreign Policy Journal harmlos aus. Auf der linken, roten Seite sind ein paar Kugelschreiber kreisförmig um die Überschrift gruppiert. Auf der rechten Seite prangt ein anthrazitfarbener Globus; die Kontinente sind netzartig miteinander verbunden, zu einem pulsierenden Planeten.

Was hier so poetisch und kosmopolitisch daherkommt, hat es in sich. Die Illustration links zeigt keine Kulis, sondern 15 Atomsprengköpfe. Und die Anzeige rechts ist keine Werbung für einen Telekommunikationsanbieter, sondern für einen Atomwaffenhersteller.

In dem Aufsatz „Think again: American Nuclear Disarmament“ plädiert der Außenpolitik-Experte Matthew Kroenig von der Georgetown University für eine nukleare Aufrüstung der USA. Barack Obamas Vision einer atomwaffenfreien Welt kontert der Stratege wie folgt: „Man nimmt kein Messer zu einer Schießerei mit, und Amerika sollte nicht mit einem verkrüppelten Atomwaffenarsenal ins zweite nukleare Zeitalter gehen.“

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Wie praktisch, dass das Foreign Policy Journal auch gleich den möglichen Partner für diese machtpolitische Zäsur benennt: Lockheed Martin International, laut Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri der weltgrößte Rüstungskonzern. Der Firmenslogan, in hübscher Alliteration: „Partnering for Protection and Prosperity“, auf Deutsch „Ihr Parter für Schutz und Wohlstand“. Im Jahr 2011 verkaufte Lockheed Martin Kriegsgerät im Wert von 36,3 Milliarden US-Dollar. Darunter natürlich auch Atomwaffen. Der Gesamtumsatz lag bei 46,5 Milliarden US-Dollar.

Die Trennung von Werbung und Redaktion ist ein journalistisches Gebot


Wenn zu hoffen ist, dass Matthew Kroenig mit seinen kruden neorealistischen Thesen irrt, so ist es doch nicht falsch, die USA auch im politisch-publizistischen Komplex als Trendsetter und Ideenschmiede zu bezeichnen. Die Doppelseite, die sich in der FPJ-Ausgabe September/Oktober fand, ist dabei weniger wegen ihres erschreckenden Inhalts bemerkenswert und möglicherweise beispielgebend. Sondern wegen ihrer publizistischen Kaltschnäuzigkeit.

In den Werberichtlinien listet das Foreign Policy Journal nicht einfach nur die Anzeigenpreise auf. Das Magazin, so heißt es, biete auch andere Vereinbarungen, darunter „maßgeschneiderte Platzierung“ oder „gesponserte Überschriften“. Mit anderen Worten: Es ist wohl kein Zufall, dass sich Kriegstreiber und Waffenanbieter Seite an Seite im FPJ wiederfinden. Da wurde inhaltlich ein lukratives „Anzeigenumfeld“ geschaffen. Militaristische Machtpolitik trifft ökonomisches Kalkül.

Mit ein bisschen Fantasie könnte man sich auch ausmalen, dass es bei dem US-Journal Texte, die Anzeigenkunden besonders gefällig sind, auch bevorzugt ins Blatt schaffen. Aber das ist, wie gesagt, reine Fantasie. Und außerdem: Beim FPJ handelt es sich eher um ein wissenschaftliches und nicht um ein journalistisches Magazin. Das Gebot der Trennung von Werbung und Redaktion ist ja vor allem erst einmal ein journalistisches (wobei die Wissenschaft zu solchen Praktiken sicher auch ein Wörtchen zu sagen hätte).

 

Doch es steht zu befürchten: So wie Obama sich schrittweise von seiner Friedenspolitik verabschiedet, so schwindet auch im Mediensektor der Anstand. Wo Gewinn und Umsatz dahinschmelzen, suchen Verlage immer neue Wege, Geld zu machen. Gerne auch mal unmoralische. Auch in Deutschland.

So sei das Handelsblatt der Werbeindustrie jüngst „gefährlich nahe“ gekommen, kritisierte der Schweizer Wirtschaftsjournalist. Der US-Konzern General Electric habe ein ganzes Paket von Kommunikationsmaßnahmen bei der Verlagsgruppe eingekauft. Im Gegenzug habe das Handelblatt Firmenchef Jeffrey Immelt als Ehrengast zu einem Galadinner eingeladen. Außerdem durfte Immelt im entsprechenden Zeitungsbericht über das Event für das umstrittene Fracking in Deutschland werben: „Innovation komme durch ständige Verbesserung voran, nicht durch ständige Angst“, zitierte ihn der Bericht da. General Electric will im hiesigen Markt wachsen – und fand im Handelsblatt einen bereitwilligen Partner für seinen PR-Feldzug.

Derartige Kooperationen scheinen in der Verlagsgruppe allerdings gar nicht so unüblich zu sein. Im Februar erschien eine Sonderausgabe der Wirtschaftswoche zum Hauptthema des Bundestagswahlkampfes: „Wie gerecht ist Deutschland?“ Sponsor des 7,50 Euro teuren Blattes: die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), hinter der die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie stehen.

Allein zehn Beiträge in dem Heft basierten auf Studien der INSM. Und, wenig überraschend: Der Mindestlohn, auf den sich Union und SPD nun im Grundsatz geeinigt haben, wurde in der WiWo-Sonderausgabe attackiert. „Das falsche Instrument“, urteilte ein Artikel basierend auf einer Studie des ebenfalls arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft.

Werbung muss sauber gekennzeichnet sein


In dem Heft findet sich auf 114 Seiten zeitlose neoliberale Propaganda – bis hin zu der Behauptung, der Hunger in der dritten Welt habe nichts mit Finanzmarktspekulationen zu tun. Entwicklungsorganisationen, die derartige Börsengeschäfte kritisierten, seien „erschreckend schlecht informiert“, behauptete da ein Wirtschaftsethiker.

Wie viele derartige Grenzgänge finden sich noch in deutschen Verlagen und Rundfunkanstalten? Wie viele Fälle von Schleichwerbung, von offener oder halb-verdeckter Kooperation?

Werbung ist für die Finanzierung von Medien existenziell. Doch sie muss sauber gekennzeichnet und von den redaktionellen Inhalten getrennt werden. „Journalisten müssen unkorrumpierbar sein“, schreibt der frühere Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo in der Dezember-Ausgabe des Cicero. „Halbseidenen Deals mit Anzeigenkunden“ sollten sie sich widersetzen, fordert er. „Ein guter Geschäftsführer mutet ihnen solche Deals erst gar nicht zu.“

Immerhin gibt es eine derartige Nähe zwischen publizistischem und militärischem Komplex, wie sie in den USA droht, in Deutschland nicht. Andererseits sollte man wissen: General Electric ist auch ein Rüstungskonzern. Auf der Stockholmer Sipri-Liste landete das Unternehmen auf Platz 20 der weltgrößten Waffenschmieden.

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall wiederum, der den INSM-Thinktank sponsert, vertritt auch deutsche Rüstungsbetriebe. Deren Anteil an der Exportwirtschaft ist beachtlich. 2011 erwirtschaftete die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie 28,3 Milliarden Euro und sicherte über 316.000 Arbeitsplätze in Deutschland, wie die WifOR-Wirtschaftsforschung im Auftrag der TU Berlin ermittelte.

Wer sich fragt, ob es ein publizistisch-militärisches Konglomerat bald auch in Europa geben könnte, braucht übrigens nicht lange nach einer Antwort zu suchen: Ja, es gibt ihn. In unserem Nachbarland. Die französische Unternehmensgruppe Lagardère besitzt nicht nur eine Verlagssparte, sondern hält auch 15 Prozent der Anteile am Luft- und Raumfahrthersteller EADS. Lagardère beherrscht einen Großteil des Medienmarktes in Frankreich: Radio- und Fernsehsender, Buchverlage, rund 50 Magazine, darunter die Illustrierte Paris Match, die als erste den Münchner Nazikunst-Sammler Cornelius Gurlitt aufgespürt hatte. Der deutsch-französische Konzern EADS ist wiederum die siebtgrößte Waffenschmiede der Welt. Rüstungsumsatz 2011: 16,4 Milliarden US-Dollar.

Nicht zuletzt war es auf Druck der französischen Medien, dass Ex-Präsident Nicolas Sarkozy erst dem Einsatz in Libyen zustimmte und sich dann für eine Syrien-Intervention stark machte. Auch, wenn sich daraus noch kein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang ergibt: Dass die Waffenlobby die Nähe zu Verlagen und Rundfunkhäusern sucht, ist nicht verwunderlich. Die Medien berichten über bewaffnete Konflikte in aller Welt, sie bringen uns allabendlich den Krieg in die Wohnstuben. Sie ordnen das weltpolitische Chaos, sie verfügen über eine Deutungshoheit.

Die Philosophin Hannah Arendt nannte es die Macht der öffentlichen Meinung. Und Macht, schrieb sie, ist nichts anderes als die Macht der Worte.

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