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Wulff und Trierweiler - Moralische Bauernopfer des medialen Intrigantenstadls

Kolumne: Stilfrage. Das Publikum liebt den Verrat nach shakespeareschem Grundmuster, an dessen Anfang die geordnete Welt steht, die dann von einer Zerstörerin aus den Angeln gehoben wird. Früher hieß sie Macbeth, heute Bettina Wulff oder Valérie Trierweiler. Sie sind das moralische Bauernopfer, das wir erbringen, um uns nicht selbst verantwortlich fühlen zu müssen

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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„Nought's had, all's spent, Where our desire is got without content“, lässt Shakespeare seine Lady Macbeth sagen.

Nun, es ist bekannt, wie die Geschichte ausgeht. Am Ende steht die Lady nicht nur „mit unzufriedenem Sinn“ da, wie Dorothea Tieck übersetzte. Es kommt viel schlimmer. Sie verfällt dem Wahnsinn. Dann richtet sie sich selbst. Lady Macbeth ist der literarische Prototyp der hinterlistigen, niederträchtigen und geltungssüchtigen Frau im Hintergrund: von Ehrgeiz zerfressen, eiskalt, skrupellos. Und am Ende: verlassen, orientierungslos, verzweifelt. Wir lieben ihn, den Untergang der Hinterlistigen und Intriganten. Und wir lieben die Hinterlist und die Intrige. Shakespeare wusste das. Zahllose Dramatiker haben es von ihm gelernt. Und Heerscharen von Drehbuchautoren halten sich eisern an diesen Grundsatz.

Intrigen zur Vergegenwärtigung sozialer Werte?


Bleibt die nahe liegende Frage, weshalb wir uns so sehr für Lüge, Täuschung und Arglist begeistern. Heimliche Sehnsüchte? Würden wir im Innersten unseres dunklen Herzens am liebsten diese ganze spießige Moral über Bord werfen, die aufgesetzte Nächstenliebe und scheinheiligen Solidaritätsbekundungen? Endlich mal eine Lady Macbeth sein oder ein Jago und der Welt in ihr bescheuertes, wohlerzogenes Milchgesicht lachen?

Oder ist es umgekehrt? Erbauen wir uns am Untergang der Sünder? An der Wiederherstellung der Ordnung? Brauchen wir die Ränkeschmieder und Intrigenspinner, um uns unserer sozialen Werte zu versichern? Klopfen wir uns innerlich selbst auf die Schulter, wenn Lady Macbeth sich richtet?

Vielleicht ist es aber auch viel banaler und wir sind alle einfach billige Voyeure, die ihre Freude haben am Aufstieg und Fall der Mächtigen, Schönen und Reichen. Sind wir nicht eigentlich das Publikum in einem medialen Circus Maximus und unsere Prominenten die Gladiatoren, über die wir den Daumen senken oder heben – je nachdem, ob sie uns gut oder schlecht unterhalten haben?

Das Shakespearesche bei Bettina Wulff und Valérie Trierweiler


Das Publikum liebt den Verrat, nicht aber den Verräter. Denn ohne Verrat, ohne die kleine oder große Indiskretion hätte das große Theater kein Material. Der Verräter jedoch – oder die Verräterin – ist das moralische Bauernopfer, das wir erbringen, um uns nicht selbst verantwortlich fühlen zu müssen für den Intrigantenstadl. Dementsprechend gibt es keine Gnade. Wie wir gerade bei Valérie Trierweiler beobachten durften. Oder bei Bettina Wulff, geborene Körner, mit der Trierweiler in Deutschland gerne verglichen wird.

Und tatsächlich gibt es bei beiden Geschichten erhebliche Gemeinsamkeiten. Es ist das shakespearesche Grundmuster: Am Anfang steht die vielleicht nicht perfekte, doch immerhin geordnete Welt: Christian und seine Christiane, François und seine Ségolène. Dann kommen sie, die Zerstörerinnen – Bettina und Valérie. Mit Ausdauer und Hartnäckigkeit gelingt es ihnen, die Frau an seiner Seite zu werden. Und nicht nur das: Tatsächlich steigen sie zur Gattin des Staatsoberhauptes auf, zur Première Dame.

Doch bald brodelt es hinter den Kulissen: Missachtung, Zurücksetzung, Überdruss. Und so beginnen beide systematisch, ihre Ehe zu demontieren – der Anfang vom Ende. Hinzu kommen schwache Männer, die nach außen den Eindruck erwecken, von der Frau im Hintergrund manipuliert und in ihr Unglück getrieben zu werden.

Selbstmitleid verzeiht unsere Gesellschaft nicht


Das Resultat ist die Trennung, der Verlust von Reputation und Ansehen. Es beginnt der freie soziale Fall. Panik kommt auf. Und mit ihr wächst zugleich das Bedürfnis, sich zu erklären, sich zu verteidigen und zu rechtfertigen.

Das ist menschlich, führt aber zu einem schlimmen Fehler: beide Damen schreiben ein Buch, das um Verständnis werben soll und um Mitgefühl. Doch das Gegenteil tritt ein. Auf Trennung und Statusverlust folgen nun auch noch Häme und offene Verachtung. Vom „Wimmern der verjagten Petzen“ schrieb ein Kollege von der Süddeutschen Zeitung.

Unsere Gesellschaft verzeiht fast alles, früher oder später: Diebstahl, Betrug, Amtsmissbrauch, Mord und Totschlag. Nur eine Sache verzeiht sie nicht: Selbstmitleid. Da erweist sich unsere angeblich so relativistische, pluralistische und postmoderne Gesellschaft als erstaunlich altmodisch.

Haltung ist gefragt im medialen Fegefeuer. Und die demonstriert man durch Einsicht und dadurch, dass man Schuld auf sich nimmt. Reuige Sünder will man sehen. Das honoriert das Medienmassenpublikum – und ist bei guten Haltungsnoten durchaus geneigt, den fast schon gesenkten Daumen wieder zu heben.

Doch wehe der Sünder bekennt sich für nicht schuldig und beginnt die Verantwortung bei anderen zu suchen: bei den Umständen, den Medien, den Anforderungen des Amtes, der Öffentlichkeit. Dann wird er für Jahre ausgestoßen und verbannt aus der glitzernden Welt des Showbusiness.

Französische Kultur: Lust an den Liebschaften der Mächtigen


Zumindest in Deutschland. Denn die Fälle Wulff und Trierweiler offenbaren auch tiefe kulturelle Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland. Und die machen sich schon an den Verkaufszahlen fest: Tierweilers Buch ist ein echter Bestseller. Wie lang der Erfolg anhält, wird sich zeigen. Doch vorerst steht Trierweilers Werk „Merci pour ce moment“ auf Platz 1 der französischen Bestsellerlisten, die Startauflage von 200.000 ist ausverkauft, die Buchregale leergefegt, Amazon konnte tagelang nicht liefern.

Dieser Erfolg blieb Bettina Wulff verwehrt. Zwar war auch hierzulande die Aufregung groß und im Netz ergoss sich Kübelweise Häme und Verachtung über die Autorin, doch ihr Buch „Jenseits des Protokolls“ erweist sich vergleichsweise als Flop.

Wie das? Es könnte natürlich sein, dass der deutsche Leser gefestigter ist als der französische und literarisch anspruchsvoller. Aber seien wir ehrlich: das ist eher unwahrscheinlich. Möglich auch, dass sich hier eine gute alte französische Tradition Bahn bricht, die – Republik hin, Republik her – seit dem Ancien Régime nie abgebrochen ist: die Lust an den Liebschaften der Mächtigen.

Allerdings verrät das Interesse der französischen Leserschaft, bei allem Voyeurismus, auch die Bereitschaft, zuzuhören. Sicher: Die Leser sind angeekelt vom Charakter der Protagonisten und abgestoßen von der hysterischen Selbstinszenierung der Autorin. Doch die Verkaufszahlen belegen auch die Bereitschaft, mildernde Umstände zur Kenntnis zu nehmen – das menschlich Allzumenschliche nämlich.

Anders in Deutschland. Hier regiert selbstgerechte Eiseskälte. Empathie, der Versuch zu verstehen, auch wenn es noch so mühsam, quälend und peinlich ist? Fehlanzeige. Dabei lässt sich selbst aus solchen Elaboraten etwas lernen. Denn auch das hat Shakespeare gewusst: „Und lass mich, Herr, in fremden Sünden nicht eigne Sünde, lass mich Besserung finden!“

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