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(cc sa 3 / viHannes) Raumstation unter Berlin Mitte

Berliner Hackerspace - Wo die Weltraumpiraten wohnen

Berlin gehört zu den wichtigsten Standorten der Hackerszene weltweit. Ob Piratenpartei, Wikileaks, Chaos Computer Club oder Google – ein unter Berlin begrabenes Raumschiff ist das Heiligtum der Nerds und Software-Entwickler aller Couleur. Eine Reportage

Überall falsche Rohre und Kabelstränge. Im Habitat der lichtempfindlichen Hacker sind die Fenster sorgfältig verrammelt, es bleibt das grünliche Lichtspiel alter Röhrenbildschirme zwischen Stahl und Aluminiumfolie. In der Mitte des Raumes steht Max*. Nach Feierabend ist der junge Informatikstudent Touristenführer auf einer Raumstation. Der Sage nach vor vielen tausend Jahren abgestürzt, schlummerte sie unbemerkt unter Berlin Mitte. Imperien zerbrachen, ein paar Meter Erdreich weiter bauten die Menschen Mauern. Dann legten Max und seine Leute in einem Gewerbegebiet am Spreeufer einen Zugang frei. Im düsteren Hauptraum erklärt er nun ein paar schaulustigen Erdbewohnern mit ernster Miene: „Wir befinden uns im äußeren Ring der Station, hier treffen sich allerlei Kohlenstoffeinheiten und tauschen Informationen aus.“ 

Kohlenstoffeinheiten, das sind die Hacker, Nerds und Bastler der Hauptstadt. Max gehört zum Personal des wohl bekanntesten Hackerspace der Welt, der „c-base“. Spätestens seit dem steilen Erfolg der Piratenpartei wird aus den futuristischen Veranstaltungsräumen nahe der Jannowitzbrücke heraus die Politik der digitalen Gesellschaft gestaltet. 2006 hielten die Piraten in der „Base“ ihre konstituierende Sitzung ab, der einflussreiche Chaos Computer Club hat hier seine zweite Heimat und auch die Wikileaks-Gründer Julian Assange und Daniel Domscheit-Berg sollen sich hier begegnet sein.

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Angefangen hat alles mit der Idee eines Vereins für Hacker. Seit es Rechner gibt, werden sie von den Nutzern verändert, zerlegt, umgebaut und programmiert. Hackerspaces sind die Wallfahrtsorte dieser digitalen Selbstermächtigung, in der Regel wenig mehr als notdürftige Spielzimmer für Feierabendvereine aus der IT-Szene. Aschfahle Gesichter im Licht der Neonröhre, Computerteile, vielleicht ein pausierender Wischmob zwischen den Stühlen, die liebevolle Erinnerung an die Vorschule. In der „Base“ ist das anders. Sie ist ein Gesamtkunstwerk. Ein Blinken und Piepen als hätte ein junger Szenenbildner die Sau rausgelassen. Das Klo heißt hier Entsorgungskabine, die Garderobe Enthäutungskabine, Neuankömmlinge sind Aliens. Ventilatoren und technische Maschinerie ergeben ein dichtes Grundraunen.

Max weist auf einen technischen Querschnitt des interstellaren Flugkörpers an der Wand. Auf der Abbildung ist der Hackerspace nur ein winziger Bereich, trotz Datenleitung zum Kernbereich müsse die riesige Raumstation erst noch erschlossen werden, sagt Max. Die Station reicht bis weit über den Alexanderplatz hinaus, ihre große Funkantenne durchbohrt die Erdoberfläche und tritt als Berliner Fernsehturm zu Tage. Eine Tarnung der Deutschen Demokratischen Republik, damit die ausserirdische Technologie nicht den Amerikanern in die Hände fiele. Ein Zuhörer wendet ein, dass dies an die Verschwörung um die Stadt Bielefeld erinnere. Erschaffen, um Konspirationstheorien ad absurdum zu führen. Aber der Reiseleiter Max meint es ziemlich ernst damit, schaut den Zwischenrufer verständnislos an. Eine Discokugel legt ihm dabei Muster auf das Gesicht.

Gegründet im Herbst 1995, war die Base wenig mehr als ein Wohnzimmer in der Oranienburger Straße. Hardy Krause, Rufname Captain, ist das Vereinsmitglied Nummer eins. Im Brachland von Berlin Mitte, wo heute die Kulturstandorte für Shoppingmalls an den Wurzeln ausgerissen werden, feiern die jungen Wendegewinner das digitale Zeitalter bis zum Exzess. Ein paar Mal steht Krause „mit einem Bein im Knast“. Seminare zu technischen Themenkomplexen erfüllen den Leitgedanken des Informationsaustauschs und die Mitglieder können surfen ohne Ende. Damals war das furchtbar attraktiv. Der Spiegel feiert in den Räumen. Trotzdem steht die „Base“ immer wieder vor dem Bankrott. Krause, mittlerweile Vater von zwei „Sternenlichtern mit hoher Spektralfähigkeit“, gibt das Kommando ab. Nach dem großen Umzug an die Spree ist die die Existenz der „Base“ heute über die Beiträge von rund 400 Mitgliedern gesichert. 

Max bugsiert seine Aliens an diversen Spielautomaten vorbei zum Replikator. Auf gleich mehreren Wahlschaltern spuckt der umgebaute Getränkeautomat die Koffeinbrause Club Mate aus, das Lieblingsgetränk der Hacker. Dann doch lieber an die Bar. Keine lahmen Sprüche auf die Bierfrage, wie andernorts in der Hauptstadt. Laut eines Aufnähers an der Lederjacke ist der Barmensch mit den wilden Haaren „gegen Raumnazis“, er nennt sich „Elektropunk“. Hinter dem Tresen wird diskutiert. Soll der alte Vodka durch den neuen von Lidl ersetzt werden?

Bevor im Hauptraum der Stammtisch für App-Entwickler beginnt, zeigt uns Max noch den Mitgliederbereich. Über eine Wendeltreppe geht es in die Tiefe einer Bibliothek. „Ist ne gesunde Mischung aus Sciene-Fiction und Handbüchern“, meint Max. Gesellschaftsspiele stapeln sich bis unter die Decke, ein paar umgedreht aufgehangene Pissoirs sehen aus wie die Helme von Raumanzügen. Dann eine massive Tür mit Zahlenschloß. Max drückt einen Schalter. Es plärrt eine laute Warnung über die Bordanlage: „Achtung Aliens“. Abtauchen in den düsteren Maschinenraum, das schnelle Anschlagsgeräusch auf Tastaturen ist zu hören. Sie hacken.

Draußen am Spreeufer grillen Männer mit Vereinslogos der Station auf der Kleidung. Einer doziert über die Vorteile von mechanikfreien Massenspeichern. Am Besten in Südkorea kaufen. Das Nachbargrundstück, eine Unternehmensberatung, ist mit einem hohen Zaun abgetrennt. Bei Wurst und Bier diskutieren ein paar Entwickler die anstehende Tagung für das mobile Betriebssystem von Google in Berlin. Einer witzelt darüber, wie die Teilnehmer ihre Geräte unauffällig erscheinen lassen können. „Ohne Porno sind wir gleich verdächtig“. Allgemeine Heiterkeit. Das diesjährige Sponsoring der Tagung durch Microsoft hingegen passt den Verfechtern von quelloffener Software nicht. Google hat den Nimbus des freien Netzes auf seiner Seite, ist sogar offizieller Partner der „Base“.

Im Hinterhof vor dem Hackerspace spielen ein paar Studenten im letzten Sonnenlicht. Als der Ball entgleist und auf ein Auto knallt, rufen sie: „Achtung Leute, gleich kommt der Anwalt runter!“ Aus dem Hintergrund die Entwarnung: „Nee, der wohnt hier nicht mehr.“ Während Berlin Mitte im Leidensdruck der Gentrifizierung ertrinkt und das Spreeufer von BMW-finanzierten Zukunftslaboren heimgesucht wird, bleiben die Hacker in ihrem Mikrokosmos unangetastet. Das orange-gelbe Haus an der Spree gehört einer Genossenschaft. Vielfältige Interessengruppen docken an, um die digitale Gesellschaft nicht aus den Augen zu verlieren.

Auf dem Weg zurück in die alte Welt steht an den Hauswänden eine linke Losung aus längst vergangenen Tagen. „Unter dem Pflaster liegt der Strand“. An vergrabene Raumschiffe hat damals niemand gedacht.

*Name von der Redaktion geändert

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