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ZDF / Manuel Graubner

Wild Germany - Porno, Piercing, Pädophilie

Die Dokureihe „Wild Germany“ zeigt gesellschaftliche Randphänomene: Porno und islamischen Rap, die Ultra-Szene, Schamanismus, Schlager. Im Interview erzählt Moderator Manuel Möglich, welche Themen nicht zustande gekommen sind – und verteidigt die umstrittene Pädophilie-Folge der aktuellen Staffel

Autoreninfo

Christophe Braun hat Philosophie in Mainz und St Andrews studiert.

So erreichen Sie Christophe Braun:

Herr Möglich, wodurch wird ein Thema Wild-Germany-tauglich?
Im Prinzip kommt alles infrage. Es ist unser journalistischer Ansatz, der die Themen „wild“ macht.

Wie beschreiben Sie diesen Ansatz?
Eigentlich machen wir ganz unsauberen Journalismus: Wir wahren keine Distanz, und ich äußere meine subjektive Sicht. Aber dadurch sind wir näher an den Zuschauern. Die teilen dann entweder meine Meinung oder nicht – aber sie bleiben nicht neutral.

„Wild Germany”-Reporter Manuel Möglich (Foto: M. Westphal)Lässt das ZDF Ihnen bei der Themenwahl eigentlich freie Hand?
Grundsätzlich ja. Bisher ist nur einmal ein Thema abgelehnt worden: Sodomie.

Sex mit Tieren?
Genau. Wir wollten mit Leuten sprechen, die mit ihrem Haustier eine Liebesbeziehung führen. Das war ja durch die Gesetzesänderung im Winter gerade wieder aktuell. Das wollte das ZDF nicht.

Sie gehen häufig abseitigen Themen nach. Haben Sie schon Recherchen abbrechen müssen, weil die vermeintlichen Themen sich in Luft aufgelöst haben?
Ja, ein paar Mal haben wir gemerkt, dass ein Thema keine halbe Stunde trägt. Wir wollten zum Beispiel mal eine Art Fight-Club-Geschichte machen. Das hat nicht funktioniert, weil die Leute nicht bereit waren, mit uns zu reden.

Auffällig ist: Sie äußern in der Sendung zwar Ihre Gedanken und Gefühle – aber Sie bewerten nicht.
Ich denke, es ist wichtig, dass man möglichst neugierig und objektiv an ein Thema herangeht. Im Idealfall kann man mit Leuten, die krasse Meinungen vertreten, ganz normal reden, und irgendwann enttarnen sie sich selbst. Das ist uns in der Folge zur Deutschen Reichsregierung ganz gut gelungen.

Als „Deutsche Reichsregierung im Exil“ bezeichnet sich eine Gruppe, die leugnet, dass die Bundesrepublik der legale Nachfolger des Deutschen Reiches ist – und darum behauptet, das Deutsche Reich habe nie aufgehört zu existieren. In den Gesprächen entlarven sich die Mitglieder als rechtsextreme Verschwörungstheoretiker. Hier funktioniert der Ansatz, unvoreingenommene Gespräche zu führen.

Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass Sie bestimmten Gruppen eine Plattform bieten. Sehr umstritten ist zum Beispiel die vor zwei Wochen ausgestrahlte Pädophilie-Folge. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat Ihnen vorgeworfen, darin dem Pädophilie-Aktivisten Dieter Gieseking die Möglichkeit gegeben zu haben, ein indiskutables Thema – die sexuelle Unversehrtheit von Kindern – zur Debatte zu stellen.
Die Kritik kenne ich natürlich. Klar hätte ich sagen können: Was Sie da sagen, widert mich an. Klar hätte ich ihn sitzen lassen können.

Warum haben Sie es nicht getan?
In dem Zusammenhang fanden wir es gerechtfertigt, zu zeigen, was im Kopf dieses Mannes vorgeht. Er spricht ja nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere – das behauptet er jedenfalls. Aber ich finde nicht, dass wir ihm eine Bühne geboten haben. Außerdem widerspreche ich ihm ja.

Gab es einen Moment, in dem er sich selbst entlarvt hat?
An einer Stelle räumt er ein, dass praktisch alle seine erwachsenen Freunde pädophil sind. Das finde ziemlich krass.

Sie stehen zu dem Gespräch?
Ja. Es gehört zu unserer Herangehensweise, dass man auch mit so jemandem einen Moment sitzen bleibt und schaut, was er erzählt.

Gieseking behauptet mittlerweile, er sei von Ihnen „arglistig getäuscht“ worden.
Ich sehe das nicht so. Zugegeben: In den Mails, die wir zuerst geschrieben haben, haben wir alles ein bisschen blumiger beschrieben. Aber Herr Gieseking unterschlägt die Telefonate, die später noch stattgefunden haben. Und an dem Tag, an dem wir das Interview geführt haben, wurde nochmal ganz klar gesagt, was unsere Idee ist. Es stimmt, dass wir die – ich sage mal: politischen – Aspekte, die er einbauen wollte, nicht berücksichtigt haben. Das lag erstens daran, dass wir ihm eben keine Bühne geben wollten. Zweitens hat er schon vor dem Interview die ganze Situation auf eine widerliche sexuelle Ebene gehoben. Im Laufe der Dreharbeiten ist uns zudem bewusst geworden, dass es bei Pädophilie um keine Gesinnung geht, wie Herr Gieseking behauptet, sondern um eine Störung.

Was heißt das genau?
Zuerst wollte er auf einem Spielplatz voller Kinder interviewt werden. Das haben wir natürlich abgelehnt. Wir sind dann mit ihm in ein Waldstück gegangen, zu einer Bank. Zehn Minuten vorher liefen dort zwei vielleicht neunjährige Jungen mit einem Hund vorbei. Gieseking hat laut und deutlich kommentiert: „Ach, da sind ja schon die Objekte!“ Dadurch war es, noch bevor es richtig losging, mit der Objektivität eigentlich vorbei. Wenn solche Sachen rauskommen, finde ich es schon wichtig, dass man das auch zeigt.

Im Film zeigen Sie auch andere Pädophile.
Wir zeigen auch Nils – einen Pädophilen, der wahnsinnig unter seiner Neigung leidet und Hilfe sucht. Nils und Gieseking, das ist vielleicht so ein Abbild des Status Quo in Deutschland. Manche brauchen Hilfe. Andere stehen zu ihrer Neigung, genießen es förmlich und wollen keine Hilfe.

Im angelsächsischen Raum hat die subjektive Reportage eine lange Tradition, die auf Hunter S. Thompson zurückgeht. In Deutschland war das journalistische „Ich“ lange Zeit verpönt.
Ja, aber es wird gerade mehr. Sowohl in miesen Sendungen, die bei den Privaten laufen, als auch bei gelungenen Formaten – den Sendungen von Dennis Gastmann zum Beispiel oder ZDF Zoom.

Sie bezeichnen den britisch-amerikanischen Fernsehjournalisten Louis Theroux als Vorbild. Im Gegensatz zu Ihnen kritisiert Theroux seine Interviewpartner, fällt ihnen ins Wort, streitet sich mit ihnen.
Ich frage mich teilweise, ob ich das machen sollte oder nicht. Häufig wäre es Quatsch – ich streite mich nicht mit einem Bodybuilder über Steroide, das wäre ja lächerlich. Aber bei der Deutschen Reichsregierung oder beim Thema Pädophilie macht es schon Sinn, Widerworte zu geben.

Theroux hat unter anderem für einen Film wochenlang das Leben amerikanischer Neonazis dokumentiert. Wäre so etwas bei Wild Germany denkbar?
Ich glaube nicht. Die rechte Szene in Deutschland – so, wie ich sie aus den Medien kenne – ist so medienfeindlich, das würde nicht funktionieren. Wir sind auf ein minimales Maß an Kooperation angewiesen. Bei den Hell’s Angels oder bei den Bandidos wäre das wohl ähnlich schwierig.

Wird es eine fünfte Staffel von Wild Germany geben?
Das wissen wir noch nicht. Themen gäbe es jedenfalls noch.

Herr Möglich, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch führte Christophe Braun.

Die nächsten Folgen auf ZDF Neo: „Waffen“ (07.03., 23 Uhr 30); „Alltagsdrogen“ (14.03., 23 Uhr 30); „Furry und Fetisch“ (21.03., 0 Uhr 10)

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