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WM-Begeisterung - Es gibt keinen Fußballpatriotismus

Kisslers Konter: Wer angesichts des schwarz-rot-goldenen Jubels deutscher Fans bei der Weltmeisterschaft 2014 ein erwachendes Nationalbewusststein wähnt, der irrt: Die Fußballbegeisterung hat nichts mit Patriotismus zu tun

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Na bitte, die alten Reflexe funktionieren: Die Linken geben sich als Spaßbremsen (worin sie Übung haben), die Rechten schlagen die Hacken zusammen und applaudieren (was sie verlernt hatten). Doch weder die Dauerbesorgten noch die Spontaneuphoriker haben Recht. Wenn seit dem Beginn der Fußballweltmeisterschaft Kleinwägen zu Flaggenhaltern werden, wenn Balkone schwarz-rot-gold erglühen, Schankkneipen einen „Deutschland“-Schal über den Tresen hängen und das weibliche Jungvolk sich die Wangen in den Nationalfarben schminkt, dann bricht sich hier kein Chauvinismus Bahn, kehrt kein Patriotismus zurück. Denn Fußballpatriotismus gibt es nicht.

Es ist schwer zu sagen, welche der beiden Deutungsversuche lächerlicher ist. Was geht in Köpfen vor, die aus dem harmlosen Schwenken der bundesrepublikanischen Farben, ohne rot zu werden und Luft zu holen, auf den Gassenhauer schließen vom Schoß, der noch fruchtbar sei? Die allen Ernstes wie eine arg derangierte „Grüne Jugend“ Aufkleber drucken lassen mit der Aufschrift „Patriotismus, nein danke“ und damit Laternenpfosten und Stromkästen verschandeln? Ist eine Fußball-WM, wie die „Linksjugend“ argwöhnt, wirklich der richtige Anlass, vor der „Konstruktion nationaler Identitäten“ zu warnen, weil diese zu Rassismus führe? Dabei sind es nicht zuletzt die Zugewanderten und Hiergebliebenen, die sich bester Laune in die Schar der Feiernden einreihen und zum Deutschland-Accessoire greifen. Auch sie wollen sich einen Jux machen.

Patriotismus sucht man am Tag der Deutschen Einheit vergeblich


Und was treibt die Kaste der gewohnheitsmäßig zerknirschten Hauptberufspatrioten an, die jetzt Strichlisten führen und jedes Mal innere Einkehr halten, wenn sie die drei ominösen Farben, in welch schiefem Zustand auch immer, im öffentlichen Raum erblicken? Die eine nationale Entkrampfung wetterleuchten sehen, die eine feierliche Rückkehr ins Einst wähnen? Die also im schwenkenden, schwankenden Staatsbürger allen Ernstes den Boten einer endlich wieder selbstbewussten Zukunft erblicken? Auch sie irren kolossal.

Fußballpatriotismus kann es nämlich nicht geben. Beide Gruppen sind Opfer ihrer eigenen Weltanschauung. Die teutonischen Anfeuerungsrufe gelten nicht Deutschland, dem Staat, oder gar dem Deutschen als Prinzip, sondern einzig und allein den Herren Auswahlspieler. Das Deutschland, das sie meinen, ist ein Fußballverein, nichts mehr, nichts weniger. Es ist der für wenige Tage in den Blickpunkt des gesellschaftlichen Interesses gerückte Elitekader des Deutschen Fußballbundes, ist das aus sonst konkurrierenden Fußballvereinen zusammengesetzte Ensemble kickender Jungmillionäre. Nächste Woche wird diese Auswahl Geschichte sein und mit ihr der Anfeuerungsorkan für den FC Deutschland. Was wäre das auch für ein seltsamer Patriotismus, zu dessen Aktivierung es im Zwei-Jahres-Rhythmus der Rahmenspielpläne von UEFA und FIFA bedürfte?

Man schaue nur am 3. Oktober in dieselben Vorgärten, in denen nun schwarz-rot-goldene Zwerge um die Wette grinsen, und suche nach dem an diesem Tag angemessenen Fahnenrequisit. Man wird es nicht finden, auch nicht in Jahren von Welt- oder Europameisterschaft. Kein Grund also zur Beunruhigung, kein Anlass zur Freude. Was hier zyklisch wiederkehrt und rasch verschwindet, ist nur die Schnittmenge von Fußballbegeisterung und Amüsierbedürfnis. So sind sie halt, die alles in allem doch sehr entspannten spätmodernen Deutschen.

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