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Weihnachten - Unsere Geschenkekultur ist deformiert

Kolumne Stadt, Land, Flucht: Die Menschen hetzen, stressen und müllen sich gegenseitig mit Weihnachtsgeschenken zu. Die Jagd nach den Präsenten geht zu weit, findet Marie Amrhein. Sie warnt vor dem „Konsumterrorregime des 21. Jahrhunderts“

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Haltet ein! Denkt doch mal nach. Das ist doch alles völlig verrückt. Geschenke. Jedes Jahr dasselbe Spiel: Alle machen sich einen Heidenstress, stöhnen, sind genervt, wandeln am Rande des Burnouts und verfluchen das heilige Fest. Wenn alles gut geht, stehen sie dann unter dem Baum und packen Geschenke aus, die sie sich vorher gewünscht haben und eigentlich mit ein paar Klicks selbst hätten kaufen können.

Wenn es einen Sinn gibt am Geschenkeverschenken, dann doch den, dass sich das Gegenüber eigene Gedanken gemacht hat. Über die Person, die Wünsche, über Dinge, die der andere noch nicht hat. Wir erinnern uns noch, wie wir uns als Kinder fühlten, wenn wir beschenkt wurden. Als wir keine Ahnung hatten von den Möglichkeiten des Internets, kein Gefühl für Preise, keine Idee vom Weihnachtsgeld. Als alles noch Illusion war.

Wir sind überladen, satt


Es gibt eine Karikatur des „Nichtlustig“-Comiczeichners Joscha Sauer. Darauf ist der Weihnachtsmann in einem Selbstbeherrschungstest zu sehen: Er soll versuchen, eine Zeit lang niemandem ein Geschenk zu machen. Doch Santa Claus scheitert in Sekundenschnelle an seiner Aufgabe.

Ich schätze, in uns allen steckt ein therapiebedürftiger Weihnachtsmann. Wer profitiert denn vom Schenken? Ich meine nicht vor 70 Jahren, als Güter knapp waren und sich die Menschen diebisch über ein Paar neue Schuhe freuten. So richtig freuten, weil sie es endlich warm hatten an den Füßen. Die Wahrheit ist, niemand freut sich heute so sehr beim Geschenkeauspacken wie der Schenkende selbst. Und deswegen bin ich es leid, meine eigenen Geschenke auch noch selber aussuchen zu müssen. Von überallher kommen die Fragen: Was ich mir denn wünsche. Und was die drei Kinder? Und der Ehemann?

Unsere Geschenkekultur ist deformiert. Wir selbst sind völlig überladen. Satt. Kennen Sie das Gefühl von echtem Durst? Manchmal hat man das ja. Wahnsinnige Sehnsucht nach kaltem, klarem Wasser. Nach einem kleinen Rinnsal, das zum ersten Mal aus der Erde gluckert, über sauber gespülte Steine und tiefgrünes Moos. Das vermittelt etwas Reines. Und es ist das Gegenteil von dem, was wir gerade erleben.

Konsumterrorregime des 21. Jahrhunderts


Nach dem Weihnachtsfest, diesem Tornado der Präsente, bleiben wir zugemüllt liegen. Braute er sich früher noch sichtbar in überfüllten Kaufhäusern und auf Adventsmärkten zusammen, sammelt er seine Kraft heute in digitalen Clouds, es wird gegoogelt, per Sofortklick erstanden oder ersteigert. Und wir Unglücklichen können, ja müssen uns all das leisten, weil es ja alles immer billigerbilligerbilliger gibt – im Konsumterrorregime des 21. Jahrhunderts.

Der sogenannte Online-Marktplatz Rakuten stellte gerade die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage vor. Darin beschweren sich 20 Prozent der weltweit Befragten darüber, dass es ihnen „nur unter Anstrengung“ möglich sei, ein geeignetes Geschenk für ihren Nächsten zu finden. Ja bitte, was denn sonst? Wie einfach soll das Geldausgeben noch werden, wenn wir nicht einmal mehr unseren Hintern vom Sofa erheben müssen, um die zugemailten Wunschlisten der Lieben bei Amazon abzuarbeiten?

Wer es – aus welchen Gründen auch immer – nicht schafft, ein schönes Geschenk zu besorgen, der kann es wirklich gleich sein lassen. Dann würde aus der Vielzahl der Präsente vielleicht wieder ein kleiner reiner Quell der Freude.

Das einzige, was ich mir übrigens wirklich wünsche, ist ein bisschen mehr Zeit. Und die gibt’s nicht zu kaufen. Leider.

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