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(picture alliance) Manche Rezepte sind für die Ewigkeit

Eurokrise - Vom antiken Athen lernen, heißt siegen lernen

Freie Marktwirtschaft? Für die westliche Welt immer unattraktiver. Grund? Klar, die Finanzkrise! Vielleicht hilft ein Blick in die Attische Demokratie, um unsere Probleme in der Gegenwart zu lösen

Die Deutschen hatten schon immer ein ambivalentes Verhältnis zur Freiheit, zur freien Marktwirtschaft erst recht. Amerikaner dagegen lassen sich in ihrem Vertrauen auf die segensreiche Wirkung des Kapitalismus für ihr individuelles Streben nach Glück so schnell durch nichts erschüttern. So lautet jedenfalls die fromme Legende über die angeblichen Mentalitätsunterschiede zwischen Alter und Neuer Welt. Und sie wird immer noch gern erzählt – insbesondere von jenen, die den deutschen Sozialstaat mit seinen vermeintlich überbordenden Umverteilungsmechanismen und seiner schier unersättlichen Gier nach Steuereinnahmen als geradezu gesellschaftszersetzend, weil leistungsfeindlich brandmarken wollen.

Die jüngst veröffentlichte Studie des „Pew Research Center“ (wohlgemerkt handelt es sich bei diesem nach einem amerikanischen Ölbaron benannten Forschungsinstitut um keine sozialistische Vorfeldorganisation) zeichnet allerdings ein ganz anderes Bild. Demzufolge glauben immerhin 69 Prozent der Deutschen, dass freie Märkte am besten für das Wohlergehen der Menschen sorgen. In den Vereinigten Staaten sind es indes nur noch 67 Prozent, Tendenz seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise vor vier Jahren stetig sinkend. Und während die Musterschüler des Kapitalismus offenbar von einer Sinnkrise erfasst sind, profiliert sich ausgerechnet die Bevölkerung des kommunistisch regierten China mit einer Zustimmungsquote von 74 Prozent als neue Avantgarde der freien Marktwirtschaft.

Verkehrte Welt? Ganz im Gegenteil. Die Abnutzungserscheinungen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in ihrem angloamerikanischen Stammesgebiet – in Großbritannien sprachen sich sogar nur 61 Prozent der Befragten für sie aus – folgen einem Muster, das bis in die Antike zurückreicht. Plutarch etwa hatte über das Athen des Jahres 594 v. Chr. Folgendes zu berichten: „Da nun damals die Ungleichheit zwischen Arm und Reich gleichsam den Gipfel erreichte, so befand sich die Stadt in einer höchst kritischen Lage, und es sah so aus, als ob sie allein durch Errichten einer Tyrannis würde aus den Wirren heraus zur Ruhe kommen können.“

Tatsächlich, so schreibt das amerikanische Historikerpaar Will und Ariel Durant in seinem 1968 erschienenen Buch „The Lessons of History“, sei schon bei den alten Griechen die Schere zwischen Vermögenden und Habenichtsen immer weiter auseinandergegangen: „Die Armen (…) begannen von gewaltsamer Auflehnung zu sprechen. Die Reichen, die um ihren Besitz zitterten, beschlossen, sich mit Waffengewalt zu verteidigen.“ Schließlich habe aber die Vernunft gesiegt, als gemäßigte Gruppen die Wahl Solons, eines Geschäftsmanns von aristokratischer Herkunft, zum obersten Regierungsbeamten durchsetzten.

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Und was tat Solon als rechtschaffener antiker Technokrat? Er senkte den Münzfuß (was man heute mit „Inflation“ übersetzen würde) und gab damit armen Schuldnern die Möglichkeit, einen Teil ihrer Schulden abzuschütteln; er schaffte die Verzugszinsen für Steuern und Grundpfandschulden ab und führte ein neues, gestaffeltes Besteuerungsverfahren ein, aufgrund dessen die Reichen das Zwölffache der von den Armen geforderten Steuern zu zahlen hatten. Nicht zuletzt startete er eine Bildungs­offensive, indem er dafür sorgte, dass die Söhne von Bürgern, die im Krieg für Athen gefallen waren, auf Staatskosten erzogen und geschult wurden. Dass das alles nicht reibungslos verlief, kann man sich denken: „Die Reichen jammerten über die hohen Steuern, die Radikalen schalten ihn, weil er den Grundbesitz nicht neu verteilt hatte“, so Will und Ariel Durant in „The Lessons of History“. Aber „innerhalb einer Generation waren sich fast alle einig, dass Solons Reformen Athen vor einem gewaltsamen Umsturz bewahrt hatten“.

Als Rom gut 300 Jahre später in eine ähnliche systemische Schieflage geriet, konnte sich der Senat übrigens zu keinen Zugeständnissen nach athenischem Vorbild durchringen. Es folgten 100 Jahre Bürgerkrieg und Klassenkampf.

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