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(picture alliance) Dem Ikonen-Status begegnet sie unbeeindruckt: Martina Gedeck

Schauspielerin Martina Gedeck - Was dir das Leben schenkt

Wer ist Martina Gedeck? Ein Spaziergang mit der Lieblingsschauspielerin der Deutschen

Nur wenige Landschaften sind malerischer als das oberösterreichische Salzkammergut: Schneebedeckte Alpenhöhen geben die Blicke auf einen naturgewaltigen Himmel frei, Bäche plätschern durch blühende Almwiesen und zwischendrin: der Wald. In Julian Pölslers Verfilmung von Marlen Haushofers Klassiker „Die Wand“ geht es, visuell zumindest, um nichts anderes. Die Bilder sind so betörend, dass man manchmal das Gefühl hat, man würde sich eine Art Alpenporno anschauen. Wäre da nicht das stille Gesicht von Martina Gedeck, die das Unmögliche vollbringt und den Bergen Bild für Bild die Szene stiehlt.

Gut zwei Jahre, nachdem die Schauspielerin im Salzkammergut auf einer kargen Almhütte gewohnt und den Film gedreht hat, der Anfang Oktober in die Kinos kommt, gehen wir nach einem langen Kaffeegespräch in Wilmersdorf im vergleichsweise profanen Thielpark in Berlin-Dahlem spazieren. Gedeck und ihr Mann, der Schweizer Regisseur Markus Imboden, wohnen ganz in der Nähe. Zwei Mädchen im Vorschulalter rollen sich ausgelassen einen kleinen Hügel hinunter, was nach großem Spaß aussieht. Gedeck schaut zu ihnen herüber und lächelt. „Als Kinder haben wir das auch gemacht“, sagt sie, „und zwar stundenlang.“

Eigentlich möchte man sie gar nichts fragen. Nicht etwa, weil sie unfreundlich wäre. Gedeck ist geübt darin, Interviews zu geben, so geübt, dass es ihr immer gelungen ist, ihr Privatleben weitgehend vor der Öffentlichkeit abzuschirmen. Eher hat man das Gefühl, etwas Schönes, etwas In- Sich-Ruhendes aufzustören. Tritt man ihr gegenüber, glaubt man ihn tatsächlich zu erkennen, den Kern dieser Frau, den gemeinsamen Fixpunkt ihrer Rollen, das Gravitationszentrum, das alle ihre Filme zu einem Erlebnis macht: egal, ob es sich dabei um gesellschaftliche Ereignisse wie Helmut Dietls „Rossini“ handelt; um bundesdeutsche Epen wie Florian Henckel von Donnersmarcks „Das Leben der Anderen“ oder Bernd Eichingers „Baader-Meinhof-Komplex“; um Publikumslieblinge wie Rainer Kaufmanns „Stadtgespräch“ oder Sandra Nettelbecks „Bella Martha“; oder um eher fragwürdige Filme, die Titel wie „Meine schöne Bescherung“ tragen.

Dass Julian Pölsler sie für seine „Wand“, eine Art Lebensprojekt, geholt hat, lag nahe. Als der Film noch eine französische Koproduktion werden sollte, wird er ein paar Tage später erzählen, habe er kurzzeitig noch an Juliette Binoche gedacht. Aber eigentlich konnte niemand anderes als Gedeck die Heldin spielen. Im deutschsprachigen Kino, um das es im Großen und Ganzen nicht besonders gut bestellt ist, wie alle Beteiligten immer wieder bereitwillig zugeben, wirkt Gedeck wie ein wandelndes Oxymoron: Sie ist eine ernste, immer präzise an der Qualität ihrer Arbeit feilende Starschauspielerin in einer Ära, in der es eigentlich keine Stars, keine Maria Schells und Romy Schneiders mehr gibt, und in der auf Qualität weniger Wert gelegt wird, als sich viele wünschen.

Der eigenen Ikonisierung, die „Die Wand“ nach den Festivalpremieren der vergangenen Monate mehr oder weniger besiegeln wird, steht Martina Gedeck weitgehend unbeeindruckt gegenüber. „Es ist gefährlich, wenn man plötzlich denkt, dass man eine Bedeutung hat“, sagt sie. Dass sie das denkt nach zwei Jahrzehnten glänzender deutscher Kritiken und wachsendem internationalen Erfolg an der Seite von Kollegen wie Matt Damon, Robert de Niro, Helen Mirren oder Isabelle Huppert, wirkt wie ein Selbstschutzmechanismus von jemandem, Was dir das leben schenkt Wer ist Martina Gedeck? Spaziergang mit der Lieblingsschauspielerin der Deutschen von Daniel Schreiber der sich permanent bewertet und kommentiert sieht. „Ich muss einfach zusehen, dass ich mir meine Arbeit nicht kaputt machen lasse von solchen, sagen wir einmal, unwichtigen Dingen“, erklärt sie. „Wenn ich ein Bild von mir aufbaue, fange ich auch an, mein eigenes Bild zu bespielen.“

Seite 2: Sie sieht gut zehn bis 15 Jahre jünger aus, als sie ist

Während sie das sagt, wischt sie kurz entschlossen ein paar dunkelviolette Maulbeeren von der unter den Bäumen stehenden Parkbank, damit wir uns setzen können. Die langen braunen Haare trägt sie locker aus der Stirn gebunden, den teuren, weißen Trenchcoat zerknautscht über dem Arm. Im wirklichen Leben hat sie überraschend viele Sommersprossen und eine beneidenswert glatte Haut. Bis auf ein bisschen schwarzblauen Mascara und einen Hauch Lippenstift ist sie ungeschminkt zum Gespräch gekommen. Sie sieht gut zehn bis 15 Jahre jünger aus, als sie ist. Aber ihr genaues Alter kennt sowieso niemand. Wikipedia gibt 1961 als ihr Geburtsjahr an, gleicht man das jedoch mit den Zeugnissen ihrer ersten Theaterauftritte ab, stellt man fest, dass das nicht stimmen kann. Es kursieren noch zwei, drei andere Altersangaben in der Presse, aber Gedeck lässt sie alle unberichtigt. „Wenn man eine Zahl braucht“, sagt sie, „soll man sie einfach schreiben.“

Aufgewachsen ist Martina Gedeck als älteste von drei Schwestern im bayerischen Landshut und in Westberlin, wohin ihre Familie zog, als sie zehn war. Die Mutter war Hausfrau, der Vater arbeitete sich vom kaufmännischen Angestellten zum Geschäftsführer der Berliner Rewe-Supermärkte hoch. Den Eltern war es ein Anliegen, ihre Kinder zu fördern, die erste Generation der Familie, die studieren durfte. Eine ihrer Schwestern ist heute Ärztin, die andere arbeitet im Familienministerium. Als Gedeck ihr Germanistik-, Geschichtsund Politologiestudium aufgab und nach der geglückten Schauspielprüfung beim Max-Reinhardt-Seminar an der Hochschule der Künste in Berlin aufgenommen wurde, habe sie die Mutter voll unterstützt, sagt Gedeck.

Es gab viele Gründe, Haushofers „Wand“ nicht zu verfilmen. In dem sachlich erzählten Roman fährt eine Frau auf ein Jagdhaus in die Berge und stellt nach der ersten Nacht fest, dass die angrenzende Landschaft plötzlich von einer unsichtbaren Wand umgeben ist, hinter der die anderen Menschen in eine Todesstarre verfallen. Auf sich allein gestellt, baut sie sich und ein paar zugelaufenen Tieren ein neues Leben auf. Kaum ein anderes deutschsprachiges Buch wurde nach seinem Erscheinen so leidenschaftlich von Lesegeneration zu Lesegeneration weitergegeben und uminterpretiert. „Die Wand“ galt mal als eine Parabel auf Kalten Krieg und Eisernen Vorhang, mal als ein Emanzipations- und Frauenroman, und irgendwann wurde sie zu einem Lieblingsbuch der Anti-Atomkraft- und Umweltbewegung. Nicht nur, dass ein solcher interpretatorischer Ballast einen Film und eine Schauspielerin vor Probleme stellt, sondern auch an Dialogen ist der Roman nicht reich, selbst von einer Handlung im eigentlichen Sinne ist nicht zu sprechen. Hinzu kam, dass man den Wandel der Jahreszeiten reflektieren musste und mit Hunden, Katzen, Kühen und Krähen zu arbeiten hatte, denen minutengetaktete Drehpläne relativ gleich sind. Dass man dem Wetter ausgeliefert war und urwüchsige Berge nicht unbedingt die ideale Infrastruktur für Filmteams bieten.

Seite 3: Auch sie selbst hat sich in ihrem Leben natürlich von vielen solcher Vorstellungen befreien müssen

Gedeck, die die Geschichte von Haushofers Heldin mit einer Stimme voll melodiöser Traumatisiertheit aus dem Off erzählt, lernte, wie man mit der Sense mäht, wie man mit einem Jagdgewehr umgeht und wie man Kartoffeln anbaut. Sie rannte so oft gegen eine Glaswand, bis ihr der Schmerz nichts mehr ausmachte. Und weil sie keinen Text zu lernen hatte, von dem sie bei ihrer Arbeit sonst ausgeht, schrieb sie die Geschehnisse des Romans gewissermaßen rückwärts noch einmal auf, um ein Gespür für ihre innere Choreografie zu bekommen, dafür, was physisch mit der Frau passiert, wann sie Angst hat, wann eines ihrer Tiere stirbt oder geboren wird. Und irgendwann, erzählt Gedeck, verstand sie, dass es für sie bei dieser Figur um eine Frau ging, die sich von „all den Vorstellungen befreit, die man sich so macht. Davon, wie das Leben sein muss, und davon, wie man selber sein sollte.“ Um eine Frau, die zu sich selbst findet, indem sie zu einer neuen Demut vor dem Leben gelangt.

Auch sie selbst hat sich in ihrem Leben natürlich von vielen solcher Vorstellungen befreien müssen. Lange etwa glaubte sie, unbedingt eine Theaterschauspielerin werden zu müssen. Als Letzte ihres Schauspielschuljahrgangs bekam sie eine Festanstellung an einem Theater, und nicht an irgendeinem, sondern Peter Zadeks Hamburger Schauspielhaus. „Und dann kroch ich plötzlich durch die Stadt“, erinnert sie sich, „und schleppte mich mehr oder weniger depressiv zu den Proben.“ Die älteren Kolleginnen waren fassungslos: Sie hatte alles – Jugend, eine Ausstrahlung und ein Engagement an einem der besten Häuser des Landes. Sie konnte schlecht sagen, dass das nicht stimmte. Aber so kam es ihr vor.

Loslassen konnte sie erst später, als ihr andere Sachen wichtiger erschienen als ihre Karriere. Sie kam mit dem Schauspieler Ulrich Wildgruber zusammen und dachte irgendwann, dass, wenn sie schon mit dem Theater verheiratet ist, nicht auch noch welches machen muss. Zehn Jahre waren sie ein Paar, eine große Liebe. „Ich habe mich sehr mit ihm verwandt gefühlt, erinnert sich Gedeck. „Das, was ich immer machen wollte, hat er wirklich gelebt. Und die Leute liebten ihn so, wie er war. So eigen, so unbedingt, so voller Pathos.“ Das Leben hatte ihr also eine Situation geschenkt, in der sie tatsächlich ausatmen konnte.

Was kam, waren kleine, unerheblich wirkende Fernseh- und Filmrollen, die ihr den Freiraum gaben, sich auszuprobieren und ihr Handwerk zu entwickeln. „Das war der Beginn meiner eigenen Spur“, sagt sie. Und die verfolgt sie bis heute. Für all ihre Rollen scheint sie so lange zu suchen, bis sie tief in sich etwas findet, mit dessen Hilfe sie die Figur, die sie verkörpert, verstehen und entwickeln kann. Dabei gehe es um eine innere Klarheit, erklärt sie, die Klarheit, genau zu wissen, was man tut. „Schauspielern ist kein masturbatorischer Akt. Ich habe etwas zu sagen, etwas, das ich kommunizieren möchte.“

Aus dem Stegreif kann Gedeck beschreiben, wie Marlon Brando den Paten als zivilisationsmüden Mafioso spielte. Dafür zieht sie mit den Händen ihre beiden Wangen hinunter und erzählt, wie Brando mit zwei Wattebäuschen im Mund zum Vorsprechen kam. Ihre Texte spricht sie bis zu 200 Mal, so lange, bis sie sie im Schlaf beherrscht. Ihre Figuren erlangen so Konturen, die Film und Drehbuch selbst oft gar nicht hergeben – Konturen und das Gedeck’sche Gespür für Würde.

Seite 4: Wenn der Tod in einer Figur nicht mitschwingt, dann bleibt sie abstrakt

Demut und Würde, das sind Ideen, die man nur vom Tod her denken kann. Vielleicht erklärt sich ein Teil des Gedeck-Geheimnisses, ihre „sublime Präsenz“, wie Peter Sloterdijk in seinen kürzlich erschienenen Tagebüchern schrieb, mit genau einem solchen Bewusstsein. Ihr Spiel macht bisweilen ein Gefühl von Ohnmacht greifbar, vermittelt ein Wissen auch um die eigene Sterblichkeit.

Eine Reihe von ihr sehr nahen Menschen haben sich in den vergangenen Jahren das Leben genommen – darunter ihre Freundin, die einzigartige Schauspielerin Susanne Lothar, die sie sehr vermisst, und ihr einstiger, langjähriger Partner Ulrich Wildgruber. „Das sind immer einsame Entscheidungen, wenn man sich das Leben nimmt“, sagt sie, „da steht man nur fassungslos da.“ Besonders den Selbstmord Wildgrubers habe sie „wie eine Explosion“ erlebt. „Und wenn man die Teile später wieder zusammensetzt, ist der Körper ein anderer geworden. Du bist nicht mehr derselbe, der du vorher warst. Ein solcher Verlust schwingt immer mit. Auch in meinen Figuren.“ Wenn der Tod in einer Figur nicht mitschwingt, erklärt sie, dann bleibt sie abstrakt. Das sei keine Neuigkeit. Sie hätte es nur gerne auf andere Art und Weise kennengelernt.

Dass das Leben weitergeht, kann man sich in solchen Situationen nicht vorstellen. Aber das tut es. Seit inzwischen acht Jahren ist Martina Gedeck mit Markus Imboden zusammen. Und wenn sie über ihn, seine und ihre gemeinsame Arbeit redet, klingt das ein bisschen so, als würde ein Teil in ihr immer noch nicht ganz glauben können, wie viel Glück sie hatte: noch eine große Liebe, eine wirkliche Beziehung. Kennengelernt haben sie sich schon früh, unter anderem spielte sie die Czerni in Imbodens für den deutschen Filmpreis nominierter Urlaubskomödie „Frau Rettich, die Czerni und ich“ von 1998. Ein Paar aber wurden sie erst sehr viel später, im Jahr 2006. Beide standen schon völlig im Leben, als sie zusammenkamen. Was sich ergab, war nicht die enge, die symbiotische Beziehung, von der sie einmal als Jugendliche geträumt hatte, sondern eine erwachsene Liebe, in der so viel Vertrauen herrscht, dass beide auch ohne Angst umeinander zwei- bis dreimonatige Drehs im Ausland absolvieren können.

„Man möchte Dinge ja immer ändern, dass sie so sind oder so sind, aber das kann man nicht“, sagt Martina Gedeck irgendwann. „Sie kommen irgendwie zu einem. Das Leben bekommt man nicht aus sich heraus.“ Man muss sich diese Schauspielerin als einen glücklichen Menschen vorstellen. „Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben“, schrieb die amerikanische Essayistin Joan Didion einmal. Damit meinte sie nicht nur die Geschichten, die wir anderen Menschen in Filmen oder Romanen erzählen, sondern auch die, die wir uns selbst aufsagen, an die wir fest glauben. Meistens wird man sich dieser Geschichten nur bewusst, wenn man scheitert, wenn man an einen Punkt gerät, wo es nicht mehr weiterzugehen scheint.

An diesem Berliner Spätsommernachmittag wirkt Martina Gedeck wie eine Frau, die zur Wahrheit ihrer Geschichte gefunden hat. Wie eine, die es geschafft hat, ihre Geschichte mit den Unwägbarkeiten eines Lebens in Einklang zu bringen.

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