Bücher des Monats - Wacko Jacko

Wie aus dem Superstar ein Superfreak wurde – und aus der jüngsten Michael-Jackson-Biografie ein Nachruf

Nun ist es ein Nachruf geworden. Eigentlich wollte Hanspeter Künzler, Pop-Korrespondent der «Neuen Zürcher Zeitung» in Großbritannien, seine Biografie Michael Jacksons pünktlich zu dessen mit Staunen erwarteten 50 ausverkauften Comeback-Konzerten in London auf den Markt bringen. Doch knapp drei Wochen vor dem ersten Auftrittstermin – am 25. Juni, das Buch war gerade im Druck – starb Jackson im Alter von 50 Jahren an Herzversagen: der spektakulärste, weltweit meist betrauerte Todesfall seit Lady Diana.

Der kleine Hannibal Verlag ließ das Buch in Windeseile um ein Vor- und ein Nachwort ergänzen; am Tag, an dem das erste Konzert hätte stattfinden sollen, stand es gleichwohl pünktlich im Laden. Und trotz allem hat man beim Lesen nun nicht das Gefühl, hier sei bloß äußerlich aktualisiert worden. Im Gegenteil: Frappierend logisch ergeben sich die beiden neuen Kapitel aus der Biografie. Wie unausweichlich rast das von Künzler geschilderte Leben auf die finale Katastrophe zu.


«Wenn du die Welt verbessern willst»

Zum Popstar wurde der kleine Michael erzogen, seit er fünf Jahre alt war. Sein Vater Joseph drillte ihn und seine Geschwister, bis sie 1967 als agile Tanz- und Gesangsgruppe «Jackson 5» erste Erfolge erzielten. Beklemmend beschreibt Künzler das Familienleben – der Vater peitschte seine Kinder mit Gürteln und warf sie gegen die Wand, wenn sie nicht spurten, die Mutter ließ ihn schweigend gewähren. Und zugleich rekonstruiert er die musikalischen Traditionen, mit denen Joseph das Leben seines Sohns inspirierte.

Er erzählt, wie der Blues aus dem Missisippi Delta in die Heimatstadt der Jacksons, nach Detroit gelangte, wo er schließlich zu Funk und Disco modernisiert wurde. Ein langer Exkurs ist Berry Gordy gewidmet, dem Gründer des dort ansässigen Motown Labels, auf dem die ersten Platten der Jacksons erschienen. In den Sechzigern war Motown mit Musikern wie Marvin Gaye, Gladys Knight und Diana Ross zum wichtigsten afroamerikanischen Platten-Label geworden. Es ebnete schwarzen Künstlern den Weg in den Mainstream der weißen Hörerschaft, zählte damit zu den wohl wichtigsten emanzipatorischen Kräften der Zeit – und vermied doch konsequent jedes politische Engagement in der Bürgerrechtsbewegung.

In Künzlers Darstellung erscheint Michael Jacksons musikalische Biografie als logische Fortsetzung dieser apolitischen schwarzen Emanzipation. Sie gipfelt in der verbindlichen Unverbindlichkeit, mit der er zur Zeit seiner größten Solo-Erfolge in den frühen achtziger Jahren einerseits weltumspannende humanistische Botschaften verbreitete: «Heal the World» oder, in «Man in the Mirror», «If you wanna make the world a better place take a look at yourself, and then make a change». Andererseits enthielt er sich jeder klaren Stellungnahme oder auch nur pop-typischer Rebellionsgesten. Madonna, den gleich alten, ebenso überlebensgroßen Popstar der Zeit, verachtete Jackson wegen ihres «mittelmäßigen» musikalischen Talents. Für ihre Fähigkeit, jungen Mädchen ein emanzipatorisches Rollenmodell zu geben – und nicht zuletzt darum geht es ja im Pop –, besaß er kein Organ.

Gesamtkunstwerk und Autist

So pflanzt sich die Tragödie einer unter widrigen Familienverhältnissen gescheiterten Ich-Bildung bis in die besondere Pop-Ästhetik des späteren Mega-Stars fort: In seinen Choreografien, seinen unerhört wandlungsreichen Techniken des Gesangs, in der Aufwertung der Popmusik zum multimedialen Gesamtkunstwerk war Michael Jackson einer der visionärsten Künstler der Nachkriegszeit. Zugleich war er – in seiner Kunst ebenso wie im Leben – Autist. Diese Dialektik aus äußerster Offenheit und totaler Verkapselung in sich selbst, aus hypermodernem Eklektizismus und naivster Weltfremdheit bringt Hanspeter Künzler in dieser Biografie hervorragend auf den Begriff. Musikhistorische Erläuterungen, pop-ästhetische Analysen und die unvermeidlichen individual- und familienpsychologischen Spekulationen greifen hier gekommt ineinander.

Bloß in den letzten Kapiteln bleibt vom Künstler Michael Jackson nicht mehr viel übrig – so wenig eben, wie auch im realen Leben von ihm übrig geblieben ist. Statt von musikalischen Entwicklungen berichtet Künzler nunmehr über eine Unzahl von Gerichtsprozessen, in denen es um musikalische Rechte, unbezahlte Rechnungen und nicht erfüllte Verträge geht, vor allem aber auch um die spektakulären Anschuldigungen wegen der Verführung minderjähriger Jungen, denen Jackson seit den Neunzigern ausgesetzt war.

In der Öffentlichkeit erschien er schon seit jener Zeit – seit er nur noch maskiert aufzutreten begann und sich seine disneyhafte «Neverland Ranch» errichten ließ – meist nicht mehr als Superstar, sondern als «Wacko Jacko», als Superfreak. Das ist ein Umstand, der im Meer der posthum vergossenen Tränen schnell unterging: In Wahrheit ist Michael Jackson schon lange vor seinem Tod von uns geschieden.

 

Jens Balzer arbeitet als Redakteur für Popkultur bei der «Berliner Zeitung». 2008 erschien seine Übersetzung von Art Spiegelmans «Breakdowns. Portrait des Künstlers als %@*!».

 

Hanspeter Künzler
Black or White. Michael Jackson – Die ganze Geschichte
Hannibal, Innsbruck 2009. 256 S., 14,95 €

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