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Regisseur Tom Tykwer. Bild: Joachim Gern

Kino - „Von Tom Hanks hätte ich alles verlangen können“

Regisseur Tom Tykwer spricht über die Zusammenarbeit mit Hollywoodstar Tom Hanks in seinem neuen Film „Ein Hologramm für den König“, die Dreharbeiten in Saudi-Arabien und die Herausforderungen bei Literaturverfilmungen

Autoreninfo

Dieter Oßwald studierte Empirische Kulturwissenschaft und schreibt als freier Journalist über Filme, Stars und Festivals. Seit einem Vierteljahrhundert besucht er Berlinale, Cannes und Co. Die lustigsten Interviews führte er mit Loriot, Wim Wenders und der Witwe von Stanley Kubrick.

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Mit „Lola rennt“ gelang Tom Tykwer 1998 der Durchbruch, mit „Das Parfum“ folgte der große, internationale Kassenerfolg. Nach seinem Bankenthriller „The International“ und der Liebesgeschichte „Drei“ wagte sich der Regisseur an die Verfilmung von „Cloud Atlas“ von David Mitchell. Mit einem Budget von 100 Millionen Dollar gehört das in Babelsberg gedrehte Epos zu den teuersten deutschen Produktionen überhaupt. Wie dort spielt Tom Hanks auch im neuen Werk von Tykwer die Hauptrolle. In „Ein Hologramm für den König“ gibt er den verzweifelten Handlungsreisenden, der dem König von Saudi-Arabien eine High-Tech-Telefonanlage verkaufen möchte.

Herr Tykwer, Ihr letzter Film „Cloud Atlas“ war mit einem Budget von 100 Millionen Dollar eine der teuersten deutschen Produktionen überhaupt. Diesmal kommen Sie ohne Mega-Budget aus – dreht man da entspannter als bei einem Mammut-Werk? 
Vom Gefühl ist jeder Film immer unterschiedlich. Die Schwierigkeiten entwickeln sich ohnehin meist ganz anders, als man dachte. Insofern sind Dreharbeiten eigentlich jedes Mal ähnlich anstrengend – und gleichermaßen schön. Diesmal haben wir in der West-Sahara gedreht, quasi am Ende der Welt. Da fehlt es an der üblichen Infrastruktur, von Hotels, die für einen Star wie Tom Hanks üblich wären, ganz zu schweigen. Und dennoch haben wir in dieser absurden Welt eine absolut fantastische Zeit verbracht.

Sie haben schon in „Cloud Atlas“ mit Tom Hanks gedreht, wie würden Sie ihr Verhältnis beschreiben?
Ich würde sagen: Ein Herz und eine Seele. Wir ergänzen uns in unseren Harmoniebedürfnissen fast kongenial, weil wir beide Typen sind, die komplizierte Situationen gut lösen wollen und nicht auf Krawall gebürstet sind. Tom Hanks ist ein sehr liebevoller Mensch, der viel Wärme und Gelassenheit ausstrahlt. Er hat ja auch keinen Stress mehr, sich in der Filmbranche zu beweisen.

Sie zeigen Hanks nackt unter der Dusche, eine Freizügigkeit, die Hollywoodstars üblicherweise höchst ungern zulassen...
Von Tom hätte ich mehr oder weniger alles verlangen können. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass es keine Einschränkungen gibt. Wenn er einem als Schauspieler einmal vertraut, ist sein Einsatz grenzenlos. Das kann manchmal fast fatal sein, weil Tom ständig etwas Neues aus dem Hut zu zaubern hat und man gar nicht mehr aufhören möchte. Er ist ein Quell unendlicher Inspiration.

Trailer: Ein Hologramm für den König

 

Den läppischen Auftritt in „Wetten, dass...“, mit dem Hanks vorgeführt wurde, mussten Sie nicht ausbaden?
Dieser Auftritt ist von den Medien ziemlich überbewertet worden. Tom hat in seiner Karriere schon so viele Auftritte in dämlichen TV-Shows in Amerika hinter sich, da nimmt er „Wetten, dass...“ ganz entspannt mit einem Achselzucken zur Kenntnis.

Sie haben mehrfach Bestseller verfilmt, welche möglichen Fallstricke muss man beachten?
Ein Film muss sich immer einen Platz neben dem Buch erobern und darf nicht nur eine bebilderte Nacherzählung bieten. Die Verfilmung muss der Vision der Vorlage treu blieben, sich aber gleichwohl deutlich unterscheiden. Schließlich soll das Publikum nicht abgeschreckt oder ihm das Vergnügen genommen werden, beim Lesen eigene Erfahrungen zu machen. Beim „Hologramm für den König“ lag vor allem in dem versteckten, eigentümlichen Humor des Romans die Chance, diese Komik im Film auf eigenständige Weise zu entwickeln. 

Was war für Sie das Besondere an dem Roman von Dave Eggers?
Der Roman traf bei mir einen Nerv. Ich reagiere immer stark auf Stoffe, die eine persönliche, intime Erzählform mit einem akuten Gegenwartsbezug oder einem politischen Entwurf verbinden. Der Roman beschreibt unsere westliche Gesellschaft mit einem originellen Trick: Er erzählt von ihr, ohne jemals in der westlichen Welt zu sein; er porträtiert die westliche Welt über einen Mann, der ganz woanders ist, und untersucht über ihn die Ängste der Generation der Mittfünfziger aus der weißen Mittelschicht. Ich fand dieses Konzept sehr ungewöhnlich: Einen Amerikaner in ein fremdes Land wie Saudi-Arabien zu setzen, das als Projektionsfläche gleichzeitig beunruhigend und verklärt ist, ein Ort, mit dem wir Märchen assoziieren und in dem völlig unrealistische Wünsche wahr werden können. Denn der Romanheld Alan Clay sucht in diesem fremden Land natürlich nach Rettung, wenn nicht nach Erlösung.

Wäre „Tod eines Handlungsreisenden 2.0“ eine treffende Beschreibung für „Ein Hologramm für den König“?
Den Vergleich mit „Tod eines Handlungsreisenden“ fände ich nur dann zutreffend, wenn er inszeniert wäre von Preston Sturges, Frank Capra und Alexander Payne – ansonsten wäre das zu deprimierend! Unser „Hologramm für den König“ ist schließlich alles andere als deprimierend und bietet bei aller Dramatik reichlich Humor. 

Der von Tom Hanks gespielte Alan Clay könnte fast ein Vetter von Walter White aus der Serie „Breaking Bad“ sein: verarmte Mittelschicht, männlich, weiß, um die 50 und ohne Perspektive.
Das stimmt. Walter White ähnelt mit seiner Verzweiflung und seiner Motivation Alan Clay. Anders als bei „Breaking Bad“ fehlt bei uns natürlich die Kriminalität und Gewalt, aber die Bereitschaft, zu aberwitzigen Mitteln zu greifen, um den eigenen Kopf zu retten, ist ganz vergleichbar. Und natürlich sind Walter White und Alan Clay auch Seelenverwandte, weil hier wie dort die Tragik mit einer boshaften Ironie gebrochen wird. Alan setzt alles auf eine Karte und will ausgerechnet dem König von Saudi-Arabien eine Zukunftstechnologie verkaufen, um mit der Provision seinen Arsch zu retten. Dabei hat er keinen Schimmer, auf was er sich da einlässt. Alles, was er in seiner Branche gelernt hat, ist in diesem völlig anderen Land überflüssig und nicht zu gebrauchen.

Neben der universellen Liebesgeschichte fehlt nicht der kritische Blick auf das Gesellschaftssystem von Saudi-Arabien. Wie weit kann man mit dieser Kritik gehen?
Der Film versteckt nichts, sei es die Lage der Frauen, die Situation der Fremdarbeiter und sogar über Hinrichtungen wird gesprochen. Gleichzeitig wollen wir Saudi-Arabien nicht als Land der puren Unterdrückung präsentieren. So rückschrittlich etliche Bereiche sind, gibt es durchaus moderne Seiten im Alltag. Man kann relativ problemlos ins Ausland reisen, was bei jüngeren Saudis durchaus üblich ist. Gerade die nachwachsende Generation wird sich zu einem sehr interessanten Volk entwickeln, weil sie eine Modernisierung ihrer Gesellschaft möchte. Auch die Königsfamilie verjüngt sich, deshalb sind Veränderungen nur eine Frage der Zeit. 

In einer Szene weist ein Verkehrsschild auf der Autobahn nach Mekka darauf hin, dass Nicht-Muslime in einer eigenen Spur links abbiegen müssten. Gibt es solche Schilder tatsächlich?
Im Roman gibt es diese Schilder nicht, aber sie existieren tatsächlich. Was Tom Hanks im Film geschieht, habe ich bei meiner Vorbereitung auf den Dreh genau so erlebt. Mein Reiseführer hat diese „No Muslims“-Ausfahrt verpasst und wir sind mit einem etwas mulmigen Gefühl weitergefahren, weil ein Umweg über die Sandpisten sechs Stunden Zeit gekostet hätte.

Sie haben die Szenen in Mekka aber nicht tatsächlich mit Tom Hanks gedreht?
Nein, weder Tom noch ich waren während des Drehs dort, weil nur Muslims der Zugang nach Mekka erlaubt ist. Die dortigen Dreharbeiten hat eine zweite, muslimische Crew gemacht, die Szenen mit Tom Hanks entstanden in Marokko und anschließend wurde beides zusammenmontiert. 

Was haben Sie noch in Saudi-Arabien gedreht?
Wir hatten eine allgemeine Drehgenehmigung, aber wir durften keine Spielfilmszenen drehen, das haben wir auch nicht gemacht. Dort gedreht haben wir die Stadtaufnahmen aus Djidda und die Bilder aus Mekka. Die städtische Architektur stimmt darum auch. Wenn man eine Totale sieht, dann ist das Djidda.

Der Soundtrack reicht von „Chicago“ bis zu „Talking Heads“ – die Musikrechte an solchen legendären Songs gibt es sicher kaum zum Schnäppchenpreis?
Umsonst gibt es die „Talking Heads“ sicher nicht! (Lacht) Ich musste zudem die Erlaubnis einholen, dass wir „Once in a Lifetime“ im Film von Tom Hanks mit einem veränderten Text singen lassen dürfen. Vom Büro der Band bekam ich tatsächlich die Privatnummer von David Byrne. Das Gespräch war ein ziemlich surrealer Moment, weil Byrne ein absolutes Idol meiner Jugend gewesen ist. Er hatte glücklicherweise „Cloud Atlas“ gemocht und gab uns problemlos die Erlaubnis für das Karaoke von Tom Hanks.  

Sie bereiten aktuell für die ARD und den Bezahlsender Sky die sechzehnteilige Serie „Babylon Berlin“ vor, die Ende der zwanziger Jahre spielt. Worum genau wird es dort gehen? 
„Babylon Berlin“ ist ein breit angelegter, facetten- und figurenreicher Polizeifilm in historischem Kontext, der auf hoffentlich verblüffende Weise die deutsche und europäische Gegenwart spiegelt. Genrekino, epischer Atem und politische Spurensuche finden in diesem detailliert recherchierten Stoff auf einzigartige Weise zusammen. Toll, dass wir die Chance bekommen, in dieser innovativen Erzählform ein so faszinierendes Projekt zu entwickeln. Ich hoffe auf viele spektakuläre Staffeln!

Das Interview führte Dieter Osswald.

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