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(picture alliance) Ganz gleich ob Glutamat oder Mariahilf: Besser ohne!

Von Doping und Geschmacks-verstärkern - Opium fürs Volk

Geschmacksverstärker haben einen schlechten Ruf, aber das hindert niemanden daran, sie großzügig einzusetzen. Wie das Doping im Spitzensport ist ihr Einsatz das Ergebnis unseres eigenen, willentlichen Selbstbetrugs

Der Sommer ist die Zeit der Enttäuschungen. Nicht nur das Wetter fällt uns regelmäßig in den Rücken, sondern auch bei großen Sportereignissen müssen die Fans erkennen, dass ihre Lieblinge das in sie gesetzte Vertrauen nicht erfüllen. Schlimmstenfalls werden diese sogar wegen Dopings disqualifiziert. Nicht wenige Sportarten sind wegen solcher Vergehen in Verruf geraten und stehen inzwischen in noch schlechterem Ansehen als die Parteien. Doch wie in der Politik liegen die Ursachen für die Lügen und die falschen Versprechungen in den hochgesteckten Erwartungen des Publikums.

Unmögliches zu verlangen und sich später darüber zu erregen, dass es nur mit Schwindelei erreicht werden konnte, ist eine Form von Selbstbetrug, die nicht nur die Renten- und die Dopingdiskussion bestimmt. Auch bei den Lebensmitteln lügt man sich in die Einkaufstasche. Der massenhafte Wunsch nach einem billigen Wein, der schmeckt wie eine Trockenbeerenauslese, lässt sich nun einmal nur mit Frostschutzmittel befriedigen. Es wäre auch naiv anzunehmen, der erbitterte Preiskampf der Dönerbuden könnte ohne Gammelfleisch geführt werden. Und wenn man mal genauer auf die wundersame Vermehrung der Discounter-Bioprodukte schaut, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass am Horizont schon der nächste Skandal wartet.

Es geht aber nicht bloß darum, die Massen zu versorgen, sondern auch um den Rekord. Wie Olympioniken, die die Grenzen des physischen Leistungsvermögens überreizen, versuchen auch Spitzenköche die aromatischen Möglichkeiten ihrer Zutaten zu vertiefen. Dabei verfügen sie über zahlreiche Hilfsmittel und Kniffe – erlaubte wie verpönte. Allein das Erhitzen auf dem Herd ist ein Akt der Denaturierung. Von einigen neuartigen Techniken, zum Beispiel jenen der Molekularküche, ganz zu schweigen. Aber auch sie werden akzeptiert.

Anders verhält es sich mit den Mitteln, die man als das Doping der Küche bezeichnen könnte. Geschmacksverstärker haben einen schlechten Ruf, aber das hindert niemanden daran, sie großzügig einzusetzen. Fast in jedem Fertiggericht tut Mononatriumglutamat seine Wirkung. Wenn allerdings ein Spitzenkoch sich zu seiner Verwendung bekennt und es nicht heimlich seinen Speisen beifügt wie seine Kollegen, die es beschönigend als „Mariahilf“ bezeichnen, wird er verfemt und geht seiner Sterne verlustig. Niemand scheint genau wissen zu wollen, wie der intensive Geschmack zustande kommt. Deshalb wird das Glutamat auf Lebensmittelpackungen kaum mehr deklariert, sondern erscheint allenfalls als „Hefeextrakt“. Man will die argwöhnischen Konsumenten nicht durch einen belasteten Begriff vom Kauf abhalten.

Dabei ist die auf dem Index gelandete Chemikalie geradezu ein Baustein unserer Ernährung und seiner Geschmackserlebnisse. Tomaten und Pilze sind vielleicht deshalb als Zutat und Würzmittel so beliebt, weil sie viel Glutamat enthalten. Noch konzentrierter findet sich der Stoff im Parmesan – da wundert es nicht, dass die Italiener ihre fade Minestrone und so manchen Pastateller mit dem Hartkäse beraspeln. Aber auch jeder Saucenfonds findet seinen Sinn darin, natürliches Glutamat zu konzentrieren, nicht viel anders als die Sojasauce. Gegen diese alten Kulturtechniken aromatischer Vertiefung wendet niemand etwas ein. Wenn der hilfreiche Stoff aber nicht aus dem Kochvorgang selbst stammt, sondern in der Fabrik synthetisiert wurde, wirkt es, als sei eine unzulässige Abkürzung genommen worden – ganz wie ein Radrennfahrer, der mit Epo die Ergebnisse eines Höhentrainings potenziert, um Pyrenäengipfel in übermenschlicher Geschwindigkeit zu erklimmen.

Genau wie im Sport entfaltet letztlich auch das Doping in der Küche eine fatale Wirkung. Der herzhafte Geschmack, den das Glutamatsalz auf die Spitze treibt, überstrahlt alle anderen Nuancen der Zubereitung und gewöhnt den Gaumen an eine Übertreibung. Von dieser Illusion einer Intensität zu lassen, fällt schwer – die Sinne stumpfen ab und lassen sich über eine fade Realität hinwegtäuschen, in der authentische Aromen nicht für alle zu haben sind. So wird Glutamat zum neuen Opium fürs Volk, ein Stoff, der den Menschen eine trostlose Situation schmackhaft macht.

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