Alfed Neven DuMont
() Alfed Neven DuMont
„Unser Land wird zu opportunistisch“

Er ist mit seinen 81 Jahren eine der letzten großen Verlegerfiguren Deutschlands. Während andere den Printjournalismus für tot erklären, kauft er die Frankfurter Rundschau. Cicero traf Alfred Neven DuMont in Köln zum großen Gespräch über die Krise der Meinung.

Magazine sterben, ganze Redaktionen werden entlassen, Zeitungsauflagen fallen wie Schneeflocken. Wohin führt diese Krise der Printmedien noch?
Wir erleben gerade viel mehr als eine Krise. Die Welt verändert sich momentan grundsätzlich, und die gute, alte Zeitung – die ja mit ihrer Auflage erst nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Zenit erreicht hat – ist tatsächlich im wirtschaftlichen Niedergang. Das hat sowohl etwas mit Soziologie als auch mit Technologie zu tun. Seit dem Durchbruch des Internets Mitte der Neunziger drängt die junge Generation in neue Medien. Heute kann ich in New York im Taxi sitzen und mir die letzten Fußballergebnisse aus Köln direkt aufs Handy holen. Die Zeitung wird von allen Seiten unterlaufen – in der Geschwindigkeit, im Service, in der Multimedialität, in der Interaktion, in der Aufmachung. Das ist eine Realität, mit der wir uns als Zeitungsmacher abfinden müssen.

Also sterben jetzt alle Zeitungen?
So schnell stirbt man nicht. Aber die Auflagen sind rückläufig, in den USA – die immer etwas schneller sind als wir – ist es schon ein katastrophaler Niedergang. Egal, wie schnell – die Reise geht auf jeden Fall abwärts. Wir erleben also keine Krise, sondern eine beängstigende Talfahrt und versuchen alle, vorläufig ziemlich hilflos, irgendwie gegenzusteuern.

Wie wäre es mit einer Investition in Qualität?
Wir sind einer der wenigen Verlage, die das noch tun. Denn eines ist sicher: Die Qualität der allermeisten Blätter kann verbessert werden. Darum stelle ich mit Bedauern fest, dass der größte Wille, den man momentan bei Medienmanagern beobachten kann, der Sparwille ist.

Die deutsche Medienindustrie investiert seit Jahren schon lieber in Flirtportale, StudiVZ oder Frauenzeitschriften in Kasachstan als in Journalismus vor Ort. Viele Medienmanager sehen sich offenbar eher als Onlinehändler, Investmentbanker oder Pin-Postboten. Täuscht denn der Eindruck, dass die großen Häuser gar nicht mehr daran glauben, dass mit gutem Journalismus noch Geld zu verdienen ist?
Da ist was dran. Man hat zum Beispiel das Gefühl, dass Springer sich von den strategischen Fehlschlägen im Fernsehen und in dieser Pin-Malaise vorläufig nicht wirklich erholt hat. Die WAZ geht auf strengen Sparkurs. Ebenso die Südwestdeutsche Medienholding bei der Süddeutschen Zeitung in München. Aber das hat auch mit dem Zustand unserer Mediengesellschaft zu tun. Das Publikum entscheidet am Ende über das Profil der Medienangebote. Die Mehrheit der Kollegen neigt momentan aber leider zur Lethargie. Darum höre ich manche sagen: Sollte es nicht bei dieser Ungewissheit besser sein zu verkaufen – und das eher heute als später? Okay. Igeln wir uns ein und warten darauf, dass bessere Zeiten kommen.

Sie selbst haben aber nicht vor zu verkaufen, oder?
Nein, nein, ich habe zwei Juniorpartner, meinen Sohn und meinen Neffen, und uns macht das Spaß, auch wenn die Margen kleiner werden. Das Geld, verehrte Freunde, ist nicht alles im Leben.

Deswegen haben Sie ja auch die Frankfurter Rundschau gekauft. Sind Sie mit Ihrem Vorzeigestück eigentlich zufrieden?
Die Rundschau ist eine interessante Zeitung und macht mir Spaß. Es war manchmal nicht ganz einfach mit dem Miteigentümer SPD. Aber auch die konnte man von vernünftigen Veränderungen irgendwann überzeugen. Schauen Sie, bis man eine Zeitung herumdreht, dauert das Jahre. Aber immerhin haben wir mit dem neuen Format die alten Leser gehalten. Wenn die Ergebnisse jetzt trotzdem nicht unseren Prognosen entsprechen, liegt das natürlich auch an der wirtschaftlichen Entwicklung. Aber wir hoffen, dass wir spätestens nach 2010 besseren Zeiten entgegensehen.

Ist Ihnen das Blatt denn nicht manchmal zu links? Sie sind doch eigentlich ein richtiger Liberaler?
Ich gebe zu, ich plädiere bei der Rundschau dafür, mehr in die Mitte zu rücken. Denn nur dort warten mehr Leser auf uns. Wer weiterhin eine linke Nische bedienen will, der wird keine lukrative Zeitung entwickeln können. Die Redakteure der Frankfurter Rundschau sind durchaus dialogbereit, und es ist im Übrigen viel aufregender, sich des Dialogs zu bedienen als der Keule.

Was bedeutet das alles eigentlich für die politische Kultur der Republik? Bisher hatten die großen Zeitungen Einfluss auf den politischen Diskurs im Land. Wenn der schwindet, wer übernimmt denn dann künftig diese Rolle? Wo werden neue Deutungsburgen aufgebaut?
Die Deutungsburgen zerfallen erst einmal. Und die wenigen, die überstehen, werden exklusiver. Ich sehe da Parallelen zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Denn allmählich werden wir wieder eine Zweiklassengesellschaft: die Bildungsgesellschaft auf der einen Seite, alle Übrigen auf der anderen. Wir entwickeln uns leider soziologisch rückwärts: Wer hat denn im 19.Jahrhundert Zeitung gelesen? Die Elite! In der wilhelminischen Zeit war 60000 eine Rekordauflage. So schlimm wird’s vielleicht nicht werden, aber die Konzentration auf kleinere Leserschaften wird kommen.

Also muss man sich abfinden mit der allmählichen Erosion der Zeitungskultur?
Es fehlen uns halt die Patrone. Wir haben nicht, wie die Anstalten des öffentlichen Rechts, die eingeschworene Gunst der Landesfürsten, der Ministerpräsidenten, hinter uns, die über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ähnlich souverän verfügen wie über die Landesbanken etwa. So gesehen haben wir uns von der Zeit der Monarchie nicht weit entfernt. Auf der anderen Seite haben wir leidende Bürgerzeitungen, für deren Zukunft sich in diesem Land niemand wirklich interessiert. Und das erschreckt mich. Denn tatsächlich, wir verlieren damit ein Kulturgut, das ein wichtiger Teil der Demokratie ist. Nur warnt halt niemand davor. Niemand will das Ausmaß des rapiden wirtschaftlichen Niedergangs der Zeitung wahrnehmen.

Doch, Jürgen Habermas zum Beispiel. Der hat vorgeschlagen, die Zeitungen auch zu verstaatlichen.
Das wäre nicht gerade meine Idealvorstellung, aber bevor die Zeitung völlig vor die Hunde geht, könnte man das erwägen, ja. Aber es gäbe zuvor auch andere Möglichkeiten. Angefangen mit dem Kartellrecht, das ist ja bei uns mittelalterlich. Ein Verleger wird heute oft genug bei uns mit Auflagen drangsaliert, die eigentlich unerfüllbar sind. Und die Landesmedienanstalten verhindern ja selbst, dass wir kleine Lokalsender besitzen. Wir sind umzingelt von Verbotsschildern. Auch im Internet konkurrieren wir mit den von Gebührengeldern finanzierten Anstalten des öffentlichen Rechts. Die Berliner Zeitung ist ein schönes Beispiel für die Effektivität des Bundeskartellamts. Eine blühende Zeitung wird einem internationalen Investor zum Verzehr preisgegeben. Offenbar sind die Politiker damit zufrieden.

Das hieße, das Hauptgeschäft der Zukunft muss im Internet stattfinden. Nur sind wir Europäer da nicht sonderlich gut aufgestellt. Alle großen Marken und Zentraltechniken des Netzes halten die Amerikaner, von Facebook über Wikipedia, ­YouTube bis Google.
Ja, die großen Straßen sind besetzt, uns bleiben noch die kleinen Boutiquen und Tankstellen entlang der Google-Autobahn. Aber das ist ja oft so in der Wirtschaft, die Amerikaner setzen Dinge eben schneller um. Wir werden es schwer haben.

Geht es Ihnen denn nicht so, dass Sie mit Ihrer Lebenserfahrung auch lässiger mit Krisen umgehen? Schließlich haben Sie die Nazis und die Kommunisten, die RAF und den Fall der Mauer, den 11.September und die Weltfinanzkrise erlebt.
Tja, das Alter wird so unterschiedlich beschrieben. Ich selbst habe leider nicht die Gabe, mich zurücklehnen zu können. Vielleicht ist das ein Fehler. Es heißt immer, man wird im Alter langsamer. Ich selbst erlebe, dass ich im Kopf immer schneller werde, irgendetwas ist da falsch eingestellt. Mir macht vor allem die Marschrichtung dieses Landes Sorgen.

Was meinen Sie konkret?
Zum Beispiel, dass Angela Merkel nicht auf die Menschen eingeht und trotzdem den Zuschlag bekommt, weil sie populärer als die eigene Partei ist. Die Tatsache, dass zwar Steuersenkungen angekündigt werden, aber erst nach den Wahlen – das ist doch eine Zumutung! Erst kommen die Politiker, dann die Bürger. Unser Land wird mehr opportunistisch, der Umgang mit der Obrigkeit hat sich sehr geändert. Ich erinnere mich noch an Willy Brandt, Himmel, wie konnte man mit dem diskutieren! Ein prominenter Bundestagsabgeordneter sagte mir dagegen neulich: Wir leben wie unter dem späten Kohl in einer Kanzlerdemokratie. Er sagte, er könne sich gar nicht mehr frei ausdrücken, so schmal sei die Meinungsfreiheit geworden.

Warum sind Sie denn nie selber in die Politik gegangen?
Mein Kopf hätte das geschafft, aber nicht mein Nervenkostüm. Ich erinnere mich noch, als ich 1972 in Bonn einmal einen Orden bekam. Zur Verleihung war die gesamte Bonner Elite anwesend, in meinen Augen alles Ackergäule: stämmige Körper mit dicken Schenkeln und den entsprechenden Hinterteilen. Da habe ich gemerkt, in diese Reihe gehöre ich nicht. Und ich wäre vielleicht nicht ganz so ein Träumer gewesen wie der gute Rudolf Augstein.

Sind Sie eigentlich Wechselwähler?
Ja, natürlich. Damit habe ich nicht die geringsten Schwierigkeiten. Früher habe ich meistens liberal gewählt, in ihrer guten Zeit aber auch gerne die SPD. Heute wähle ich gelegentlich mal die CDU. Die Grünen habe ich noch nie gewählt, vielleicht, weil meine Mutter von Anfang an eine Grüne war. Und die Linken sollte besser keiner wählen.

Wenn man ein beachtliches Lebenswerk geschaffen hat, gibt es dann noch einen Wunsch, den man sich dringend erfüllen möchte? Die WAZ-Gruppe zu schlucken, vielleicht?
Um Gottes willen! Mehr Zeitungen zu haben, macht einen nicht mehr so geil wie früher. Und ich für meinen Teil habe ausgesorgt. Mein letzter Wunsch gilt schon der Zeitung, der würde ich eine Zukunft wünschen.

Vor einigen Jahren sagten Sie, einer Ihrer letzten Wünsche sei es, nach Timbuktu zu reisen. Ist Ihnen das mittlerweile gelungen?
Pah, Timbuktu! Vergessen Sie die romantischen Geschichten. Ein verkacktes, verlaustes Nest. Manchmal gibt es Träume, die werden nicht besser, indem man sie sich erfüllt.

Was geben Sie Ihrem Sohn denn als Maxime mit auf den Weg?
Man sollte die Dinge realistisch betrachten, aber doch den Idealismus niemals ganz an der Garderobe abgeben. Denn eine Grundhaltung, die ausschließlich auf Geld gerichtet ist – dafür ist das Leben viel zu kurz. Und viel zu schön.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führten Constantin Magnis und Wolfram Weimer

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