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Hochschulen - Die Journalismus-Ausbildung ist in Gefahr

Die Medienkrise setzt nicht nur Verlage unter Druck. Auch die Ausbildung von Journalisten leidet. Erfolgreiche Hochschulprojekte sind in Gefahr, Unternehmen versuchen ihren Einfluss geltend zu machen

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Horst Pöttker versteht die Welt nicht mehr. Der emeritierte Dortmunder Journalistikprofessor wollte den gravierenden Entwicklungen im Zeitungssektor etwas entgegensetzen. Wo WAZ-Sparrunden und Entlassungswellen die Nachrichten dominieren, wo Häuser wie Frankfurter Rundschau, Financial Times Deutschland, Westfälische Rundschau oder dapd Nachrichtenagentur sterben, da könne es doch nicht verkehrt sein, wenn man den Verlagen anbietet, seine Mitarbeiter kostenlos auszubilden, dachte er. Die Idee der nordrhein-westfälischen Landesregierung einer steuerfinanzierten Gratis-Fortbildung von Lokaljournalisten fand er daher verlockend. Im Januar 2012 startete er an seinem Institut die Initiative Lokaljournalismus NRW (INLOK).

Doch das Projekt geriet in die Kritik, vor allem von privaten oder verlagseigenen Journalistenschulen wie die der WAZ. Sie fürchteten, dass ihre Teilnehmer sich lieber für die Gratis-Ausbildung entscheiden – und damit die teils hohen Kursgebühren umgehen. Die INLOK-Gegner hielten Pöttker auch mangelnde Staatsferne bei der Journalistenausbildung vor. „Das hat mich in gewisser Weise überrascht“, sagt der Dortmunder. „Journalistik-Studiengänge an staatlichen Hochschulen hinterfragt ja auch niemand. Die Wissenschaft ist unabhängig – warum sollte das nicht auch für die berufliche Fortbildung gelten?“ Insbesondere kleine Verlage in Nordrhein-Westfalen seien für das kostenfreie Ausbildungsangebot dankbar gewesen.

Es ist schon bizarr: Während sich die Medienbranche auf der einen Seite gegen ein staatliches Weiterbildungsprogramm wehrt, nimmt sie auf der anderen Seite hin, dass andernorts bestehende Journalistikstudiengänge immer mehr in die Defensive geraten.

Dabei bräuchte es nicht weniger, sondern mehr und bessere Journalistenausbildung. Denn vor einer Woche bescheinigte das Erich-Brost-Institut der TU Dortmund Universität deutschen Medienmachern, sie seien wenig selbstkritisch. Im internationalen Vergleich sind die hiesigen Journalisten sogar das Schlusslicht in Sachen Kritikkultur, so die Studie.

Doch manchmal geht es bei Ausbildungsformaten gar nicht so sehr um den Journalismus als darum, fit für den Arbeitsmarkt gemacht zu werden. Und der sucht eher Pressesprecher, also Kommunikationsprofis von Unternehmen, Verbänden oder Parteien. Zugleich gab es noch nie so viele arbeitslose Journalisten. Von der „größten Entlassungswelle seit Bestehen der Bundesrepublik“ sprach die Bundesagentur für Arbeit im Dezember. Es gibt mehr PR-Schaffende als Journalisten; in den USA beträgt das Verhältnis fünf zu eins.

Die Hochschulen reagieren auf die veränderte Arbeitswelt. In 41 Prozent der Fälle ist bei Bildungsangeboten, auf denen „Journalismus“ drauf steht, Öffentlichkeitsarbeit drin. Das hatte ein Diplomand der Universität Leipzig bereits 2011 ermittelt. Für seine Studie hat Thomas Kutschbach 69 Journalistik- oder Journalismus-Studiengänge, Ausbildungen an Journalistenschulen und überbetriebliche Volontärsangebote überprüft. Sein Fazit: Von einem Abstandhalten zu Public Relations könne in der Selbstdarstellung vieler Ausbildungseinrichtungen keine Rede sein.

Doch das Netzwerk Recherche – ein Zusammenschluss von Recherchejournalisten – fürchtet, dass dabei „Gefälligkeitsjournalismus“, herauskommt. Es besteht die Gefahr, dass Absolventen mit einer vermeintlichen Doppelqualifikation in PR und Journalismus weder das eine noch das andere richtig gut können, sagt Thomas Schnedler, der an der Universität Hamburg unter anderem zum Verhältnis beider Felder forscht. Im Wesentlichen sei es „vergeudete Zeit“, in der Journalistenausbildung Corporate Blogs oder PR-Konzepte zu erstellen. „Denn es gibt angesichts der Digitalisierung und des Medienwandels genug im Journalismus-Handwerk zu erlernen.“

Schnedler fürchtet, die jungen Leute würden bald nicht mehr zwischen den einzelnen Rollen unterscheiden können: hier der Interessenvertreter einer Organisation, dort der kritische, unabhängige Nachfrager. Schlimmstenfalls führe das zu einer Verwirrung in der Berufspraxis. „Der Journalist übernimmt dann womöglich ungeprüft Informationen von einer PR-Agentur, weil er meint, im gleichen Boot zu sitzen.“

Der Bundesverband deutscher Pressesprecher sieht das anders. Ein gegenseitiges Verständnis der Arbeitstechniken könne „nur vorteilhaft sein und kritischen Journalismus sogar fördern“, sagt Verbandssprecher Jörg Schillinger. In der beruflichen Realität seien Karrierewechsel zwischen PR und Journalismus nicht ungewöhnlich. Für die Public-Relations-Ausbildung sei es notwendig, journalistische Inhalte zu vermitteln, und für den Journalismus können PR-Inhalte eine hilfreiche Qualifikation sein, sagt Schillinger. „Generell macht es durchaus Sinn, beide Seiten kennenzulernen.“

Seite 2: Neoliberale Lobbyisten bei RTL, Audi und BASF in Uniseminaren

Aber wo liegt überhaupt das Problem für den Leser, Hörer oder TV-Zuschauer? Ist die Frage, ob ein Journalist Nachrichten oder PR-Meldungen produziert, nicht genauso belanglos wie jene, ob der Bäcker Törtchen oder Brötchen backt?

Sie ist es dann nicht, wenn die neutrale Berichterstattung darunter leidet. „Das Vertrauen in den Journalismus wird untergraben, wenn zunehmend interessengeleitete Informationen einsickern“, sagt der Hamburger Forscher Schnedler.

Infolge öffentlicher Sparmaßnahmen müssen die Universitäten zudem mit Kürzungen auskommen. Die Journalistik-Dozenten machen es deshalb ihren Kollegen in anderen, etwa ingenieurwissenschaftlichen, Disziplinen gleich – und werben vermehrt Drittmittel ein. Die kommen freilich seltener von gemeinwohlorientierten Stiftungen.

2005 bezahlte die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ – eine Lobbyvereinigung der Industrie – nach Informationen von Netzwerk Recherche ein Seminar der RTL Journalistenschule. Die Studenten sollten „Wirtschaftsberichterstattung im TV“ erlernen. Vier Jahre später schickte die Audi AG Vertreter ans Journalistik-Institut der Katholischen Universität Eichstätt. Seminarteilnehmer sollten ein ganzes PR-Konzept für den Autokonzern erstellen.

In den Curriculum der Universität Leipzig schlichen sich zwei Seminare ein, die der Chemiekonzern BASF und die VW-Autostadt GmbH in Wolfsburg mitfinanziert hatten. Teile der Lehrveranstaltungen: Einladungen auf das Werksgelände und vertrauliche „Kamingespräche“.

Der verantwortliche Journalistikprofessor für diese Seminare, Marcel Machill, hält die Befürchtungen der Journalistenvereinigung für übertrieben, gar „dogmatisch“: „Wir reflektieren diese Besuche doch auch. Und unsere Studenten lernen bei uns, sich nicht vor den Kommunikationskarren irgendeiner Seite spannen zu lassen.“

Das Problem: Das Leipziger Institut hat immer weniger Personal, um diese Inhalte auch zu vermitteln. Nach der Umstellung vom Diplom- auf den Master-Studiengang Journalistik fiel eine der zwei Professuren weg – auf Kosten der PR. Stattdessen entstand dort ein neuer Lehrstuhl für Kommunikationsmanagement, kurz danach startete der erste deutsche Masterstudiengang in diesem Fach. Mit Erfolg: 2006 belegte Leipzig Platz 1 im Handelsblatt-Ranking der Medienstudiengänge. Das war, nachdem man den Journalismus zurechtgestutzt hatte.

Journalistikforscher Machill hält dennoch nichts davon, die PR gegen den Journalismus an seinem Institut auszuspielen. „Unser Problem ist eher, dass die Medienwissenschaft hier zu groß aufgepumpt ist: Sechs Professuren gegen gegen zwei in der PR und anderthalb in der Journalistik.“

Sein Kollege Horst Pöttker aus Dortmund hat indes ähnliche Sorgen: Das letzte INLOK-Seminar für Lokaljournalisten hat er im Februar beendet. Seitdem Pöttker in Ruhestand ist, liegt das Projekt auf Eis. Es fehlt das Geld.

Die Autorin studierte selbst Journalistik an der Universität Leipzig.

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