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Umweltenzyklika „Laudato Si“ - Der Papst gibt Energiespartipps

Bewegend und tief, streckenweise albern: Die neue Enzyklika „Laudato Si“ von Papst Franziskus ist ein Frontalangriff auf die Wirtschaftsweise des Westens. Der Appell zu Konsumverzicht und Umweltschutz schießt aber über das Ziel hinaus

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Dramatische, aufrüttelnde Worte hat der Papst gewählt: „Unsere Zukunft steht heute mehr denn je auf dem Spiel, ja sogar das Schicksal unseres Planeten und seiner Bewohner.“ Die Umweltzerstörung gefährde „besonders die Existenz der armen Menschen auf der Welt.“ Eine „einseitige Logik des eigenen Nutzens und des maximalen Profits“ hemme die harmonische Entwicklung der Menschheitsfamilie. „Wie“, lautet des Papstes Frage, „könnte man gleichgültig bleiben angesichts von Phänomenen wie dem globalen Klimawandel, der Desertifikation, der Abnahme und dem Verlust der Produktivität von großen landwirtschaftlichen Gebieten, der Verschmutzung von Flüssen und Grundwasser, dem Verlust der Biodiversität, der Zunahme von außergewöhnlichen Naturereignissen und der Abholzung in tropischen Gebieten“? Der „unersättliche Konsumismus“ bleibe ein Skandal, der Mensch müsse seinen Umgang mit der Natur „völlig neu überdenken“.

Ja, das sind alarmierende Zeitansagen von hoher diagnostischer Wucht – und sie stammen von Papst Benedikt XVI. Dass er als „grüner“ Papst auftrat, hat seinem Nachruhm ebenso wenig genutzt wie dem Planeten, der weiterhin fröhlich ausgebeutet wird. Ob es dem Nachfolger besser ergeht? Könnte der heute veröffentlichten Enzyklika „Laudato si“ ein nachhaltigeres Schicksal widerfahren als Benedikts Sendschreiben „Caritas in veritate“ von 2009, das – wie die meisten Enzykliken – rasch gelesen, geschwind kommentiert und hurtig vergessen wurde? Enzykliken sind trotz ihres Umfangs und Anspruchs Sensationen des Tages geworden. Sie werden überwuchert im Dschungel der Informationen, den nicht zuletzt die spätmodernen Päpste selbst bewirtschaften.

Franziskus, Papst der Städte


Ein melancholischer Text ist „Laudato Si“. Die Lektüre stimmt nicht heiter, sie soll die Zerknirschung mehren: Franziskus wendet sich an alle Menschen, damit diese das traurige Schicksal der gegenwärtigen Welt „in persönliches Leiden verwandeln“. Eine argumentative Schubumkehr gilt es zu konstatieren. Früher warf man der Kirche vor, sie verherrliche das Leid, um die Dornen Jesu durch die eigenen zu ergänzen. Derlei Schmerzensmystik ist theologisch abgeräumt, kehrt aber als einstimmungspflichtiges „Stöhnen der Schwester Erde“ politisch wieder. Der Backlash geht mit einem Objektwechsel einher. Dem Diesseits gilt der Blick, Jenseits und Gericht drangen in „Laudato si“ fast nicht vor. Franziskus erscheint als Papst des Umweltschutzes und Papst der Städte. Erbaulich redet er nicht.

Was soll die Menschen derart zerknirschungsfromm stimmen, dass Franziskus dem eigenen Lebensmotto zuwiderläuft, Christen dürften kein Gesicht ziehen wie in Essig eingelegte Chilischoten? Lächelnd lässt sich „Laudato Si“ nicht lesen: Die Müllberge wachsen, eine „Wegwerfkultur“ frisst sich durch die Städte, Wasser wird knapp oder teuer oder schmutzig, das Klima erwärmt sich, „vor allem aufgrund des menschlichen Handelns“, die Artenvielfalt nimmt ab und die Armut zu, die Verödung weiter Landstriche scheint unaufhaltsam, die Wüste triumphiert, das wüste Denken auch.

Detailversessen, wie es einem Gemeinschaftswerk von über 200 Seiten zukommt, stellenweise untergangsverliebt schichtet die Enzyklika den Horror aufeinander. „Pro Jahr“, heißt es, „werden hunderte Millionen Tonnen Müll produziert, von denen viele nicht biologisch abbaubar sind: Hausmüll und Gewerbeabfälle, Abbruchabfälle, klinische Abfälle, Elektronikschrott und Industrieabfälle, hochgradig toxische Abfälle und Atommüll. Die Erde, unser Haus, scheint sich immer mehr in eine unermessliche Mülldeponie zu verwandeln.“

Medien betreiben „geistige Umweltverschmutzung“


Wer ist schuld an dieser teils eingetretenen, teils drohenden Globalkatastrophe, wie sie den düsteren Grund einer so kinderliedhaft heiter beginnenden Enzyklika abgibt? Der Mensch hat’s verbockt. Die „große anthropozentrische Maßlosigkeit“ ist schuld. Franziskus und seine Co-Autoren geben sich marktskeptisch, technikkritisch und antirelativistisch. Im Relativismus erkennen sie, fast wie Benedikt, ein Verfallssymptom, das den Egoismus ins Kraut schießen lässt.

Der Relativismus sei eine „Krankheit, die einen Menschen dazu treibt, einen anderen auszunutzen und ihn als ein bloßes Objekt zu behandeln, indem er ihn zu Zwangsarbeit nötigt oder wegen Schulden zu einem Sklaven macht.“ Dem „technokratischen Paradigma“ werfen die Autoren vor, sich das gesamte „Leben der Menschen und das Funktionieren der Gesellschaft“ zu unterwerfen und alles für irrelevant zu erklären, was „nicht den unmittelbaren eigenen Interessen dient“. Der Markt neige dazu, „einen unwiderstehlichen Konsum-Mechanismus zu schaffen, um seine Produkte abzusetzen.“ Als Folge „versinken die Menschen schließlich in einem Strudel von unnötigen Anschaffungen und Ausgaben. Der zwanghafte Konsumismus ist das subjektive Spiegelbild des techno-ökonomischen Paradigmas.“

Und natürlich kochen die Medien ihr trübes Süppchen. Sie betrieben „geistige Umweltverschmutzung“ und sorgten für „eine tiefe und wehmütige Unzufriedenheit in den zwischenmenschlichen Beziehung“, wenn die „bloße Anhäufung von Daten“ an die Stelle eines leibhaften Gegenübers tritt. Oder wenn „inmitten des zerstreuenden Lärms der Informationen“ die „Fähigkeit zu weisem Leben, tiefgründigem Denken und großherziger Liebe“ abhandenkommt.

Solidarität statt Markt und Technik


Franziskus äußert sich zu diesen Fragen, weil seine „ganzheitliche Ökologie“ die Kultur einbezieht und die Natur des Menschen. Abtreibung, Embryonenversuche, Gender Mainstreaming sind vor diesem Hintergrund geradeso stark verboten wie eine humane Stadtarchitektur geboten: „Jeglicher Eingriff in die städtische oder ländliche Landschaft müsste die Tatsache berücksichtigen, dass die verschiedenen Elemente des Ortes ein Ganzes bilden, das die Bewohner als ein kohärentes Bild mit seinem Reichtum an Bedeutungen wahrnehmen.“ Für Bergoglio steht der locus amoenus in einer Metropole, für Joseph Ratzinger stand er auf einer Wiese.

Wo wächst bei so viel Gefahr das Rettende? Franziskus verweist auf die Teilnahme an der Eucharistie, in der „die Schöpfung ihre größte Erhöhung“ findet. Ansonsten bleibt sein Horizont irdisch. Viel mehr geforscht soll werden, „um das Verhalten der Ökosysteme besser zu verstehen“. Radikal ändern soll sich das Konsumverhalten, hin zu einer „mutigen kulturellen Revolution“: „Niemand verlangt, in die Zeit der Höhlenmenschen zurückzukehren, es ist aber unerlässlich, einen kleineren Gang einzulegen“, den Konsum also einzuschränken.

Statt Technik, Rendite und Markt sollen Solidarität herrschen und Mitgefühl. Zum sorgenden Umgang mit der Umwelt soll erzogen werden, selbst der „Boykott gewisser Produkte“ könne wirksam sein. Eine recht nebulös skizzierte internationale Autorität soll offenbar Umweltstandards durchsetzen und sanktionieren. „Eine Untersuchung der Umweltverträglichkeit“, heißt es drakonisch, „muss von Anfang an einbezogen und bereichsübergreifend, transparent und unabhängig von jedem wirtschaftlichen oder politischen Druck ausgearbeitet werden“ bei der „Erarbeitung eines Produktionsplanes oder irgendeiner Politik.“

Der Pontifex Maximus als Theologe der Abfalltrennung


Einmal wird Franziskus sehr konkret. Er rät zur „Vermeidung des Gebrauchs von Plastik und Papier“, zur „Einschränkung des Wasserverbrauchs“, der „Trennung der Abfälle“ und empfiehlt, „nur so viel zu kochen, wie man vernünftigerweise essen kann, die anderen Lebewesen sorgsam zu behandeln, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen oder ein Fahrzeug mit mehreren Personen zu teilen, Bäume zu pflanzen, unnötige Lampen auszuschalten.“ Womit die Grenze zur Albernheit erreicht wäre. Ein Pontifex Maximus als Theologe der Abfalltrennung: Das gab es dann wirklich noch nicht.

Auch ansonsten steht in „Laudato Si“ manch törichtes Zeug – neben bleibenden, bewegenden Erkenntnissen. Klar zur ersten Kategorie zählt der Kurzschluss von Schulden und Sklaverei, als handele es sich dabei nicht um ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Wer sein Geld zurückhaben will, darf seinen Schuldner nicht sklavisch behandeln; Ausnahmen bestätigen die Regeln. Die Kritik am Markt wie am Konsum schießt über das Ziel hinaus. Ist der Etatismus etwa eine Alternative, die das hehre Ziel der ebenso kreativen wie maßvollen Menschlichkeit begünstigt? Welches Los blüht den Arbeitenden dieser Erde, wenn die Kaufzurückhaltung bis zu jener Schwelle führt, an dem sie durch einen massiven Nachfrageeinbruch Arbeitslosigkeit generiert?

„Laudato Si“ – antikapitalistische Kampfschrift


Kurios auch, wie im antirelativistischen Furor der gesamte „Individualismus“ überwunden werden soll. Anders als im Islam ergreift die christliche Erlösungsbotschaft nicht zuerst die Gemeinschaft, sondern den gottunmittelbaren Einzelnen. Und schließlich mag ein beinharter Calvinist begeistert nicken, wenn er aus Papstes Munde hört, „seit unserer Erschaffung sind wir zur Arbeit berufen“, die Arbeit bedinge die Menschenwürde. Katholisch ist das nicht, biblisch kaum. Adam und Eva mussten erst nach ihrer Vertreibung arbeiten. Arbeit ist der Lohn des Sündenfalls. Der heilige Franziskus, auf den der Papst sich beruft, sah sich selbst als Gaukler und Tänzer vor dem Herrn.

So gilt das Fazit: Ein Papst, der Maß einfordert, verfeuert seine Einsichten und Anliegen maßlos. Dass diese ehrenwert sind und sympathisch, dass „Schwester Erde“ tatsächlich Grund zu seufzen hat, ist unbenommen. Franziskus‘ Aufruf, die Technik nicht über den Menschen, die Rendite nicht über die Gesellschaft, die Interessen nicht über das Gemeinwohl bestimmen zu lassen und die Bande der Menschheitsfamilie zu stärken, verdient jedwedes Gehör, weltweit.

Der radikale Angriff aber auf die Wirtschaftsweise des Westens könnte „Laudato Si“ zu einer Kampfschrift machen, die Brücken eher abreißt als aufbaut. Der Weg ins Himmelreich wird auch künftig nicht mit Mehrwegtüten gepflastert sein.

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