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Truman Capote - Der letzte Popliterat

Kolumne Stilfrage: Vor 30 Jahren, am 25. August 1984, starb der vielleicht letzte Popliterat unserer Zeit: Truman Capote. Der US-Schriftsteller vermochte es wie kaum ein anderer, mit literarischen und nichtfiktionalen Gattungen zu spielen. Er gilt als Begründer des „New Journalism“

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Das 20. Jahrhundert wird häufig als das amerikanische bezeichnet, zurecht. Kein Land hat in diesem Zeitraum die Welt mehr geprägt als die USA. Und das nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern auch kulturell.

Kulturell? Der durchschnittliche Kontinentaleuropäer denkt jetzt naserümpfend an Disney, an Blockbusterkino, an Comics und Popmusik. Aber das sind Klischees, die mehr über den Antiamerikanismus unter gebildeten Europäern verraten als über die angebliche Kulturlosigkeit Amerikas.

Denn das 20. Jahrhundert war vor allem auch in Kunst und Literatur ein amerikanisches. Was wäre die literarische Moderne ohne T.S. Eliot, F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway, John Steinbeck und William Faulkner, ohne Norman Mailer, Jack Kerouac und J.D. Salinger, ohne John Updike und Philip Roth? Man könnte die Liste beliebig vorsetzen.

Der in Europa gepflegte Kulturdünkel gegenüber den hassgeliebten US-amerikanischen Vettern beruhte jedoch nicht nur auf einer gewissen Ignoranz, sondern auch auf einer klaren Unterscheidung zwischen unterhaltender und ernster Kultur.

Das Leichte mit intellektueller Kühle kombiniert


Natürlich gehört es insbesondere in Deutschland unter Kulturschaffenden zum guten Ton, sich über den Unterschied von „E“ und „U“ zu mokieren. Inbrünstig versichert man, dass man solche Unterscheidungen für elitär und vollkommen überholt hält. Schließlich ist „elitär“ hierzulande so ziemlich der schlimmste Vorwurf, den man einem Kunstwerk oder einer Person machen kann. Danach kommt nur noch „faschistisch“, aber das meint im Grunde dasselbe.

Das ist natürlich Unfug. Schließlich unterläuft man die Trennung von „E“ und „U“ nicht durch die richtige politische Gesinnung, sondern durch eine Kunst, die beides ist: kurzweilig und geistreich, witzig und hintergründig, spannend und subtil.

Dass man aus dieser banalen Einsicht vor allem in den USA künstlerische Konsequenzen zog, hat verschiedene Gründe: etwa die Suche nach einem eigenständigen, amerikanischen Idiom, aber auch die deutlich marktwirtschaftlichere Ausrichtung des amerikanischen Kulturbetriebes.

Das Leichte mit intellektueller Kühle zu kombinieren, Ironie mit Charme und das scheinbar Belanglose mit der Andeutung des Abgründigen ist selbst für amerikanische Verhältnisse jedoch keinem so beeindruckend gelungen wie ihm – Truman Capote.

Durchbruch mit „Breakfast at Tiffany’s“

Capote war der erste Popstar der Literatur. Mit 18 fing er als Redaktionsgehilfe beim „New Yorker“ an. Seine ersten Kurzgeschichten erschienen kurz nach dem Krieg in „Harpers Bazaar“, „Esquire“ oder „Mademoiselle“ und katapultierten ihn über Nacht in die Welt der Schönen, Reichen und Berühmten. Mit seinem Debütroman „Other Voices, Other Rooms“ wurde der charmant plaudernde, witzige und nach Glamour und Publicity süchtige Jungautor aus dem Süden endgültig zum Darling der New Yorker Gesellschaft.

Sein Biograph Gerald Clarkes schreibt: „Niemand traute seinen Augen, als dieses Wunderkind hereinwirbele. Er sah ungefähr wie achtzehn aus. Er strahlte und war glücklich. Und vollkommen selbstsicher. Alle wussten, dass jemand Bedeutendes die Bühne betreten hatte – besonders Truman selbst.“

Das war 1948. Drei Jahre später erschien „The Gras Harp“, die ihm nun auch die Anerkennung der Literaturkritik sicherte, 1958 „Breakfast at Tiffany’s“. Der Roman wurde ein Riesenerfolg. Nicht zuletzt aufgrund der süßlichen Verfilmung durch Blake Edwards. Doch im Grunde ist die Geschichte um Holly Golightly, die sich mit Charme und Witz in die Welt der Reichen der Upper Eastside hineinmogelt, ein autobiographischer Text. Holly Golightly: das ist Truman Capote.

Im November 1959 stieß er dann auf eine Zeitungsmeldung über einen Vierfachmord in Kansas. Mit seiner Jugendfreundin Harper Lee reiste er an den Ort des Verbrechens und recherchierte die Hintergründe der Tat. Es entsteht „In Cold Blood“.

Mit „Kaltblütig“ revolutionierte Capote die Literatur – und den Journalismus gleich mit. Es war etwas vollkommen Neues, ein nichtfiktionaler Roman, eine literarische Reportage, der Nachweis, dass eine Tatsachenbeschreibung genauso fesselnd und literarisch sein kann wie ein rein fiktionaler Text. Capote war es gelungen, die Grenzen der Genres aufzuheben. Damit wurde er nicht nur zum Begründer des „New Journalism“, sondern auch einer neuen Art des Schreibens.

„Kaltblütig“ wurde ein Triumph. Zugleich hatte das Buch Capote menschlich überfordert. In einem Interview mit Lawrence Grobel bekannte er später: „Das Schreiben des Buches war zweifellos die emotional stärkste Erfahrung meines Lebens als Künstler. Hätte ich damals, als ich anfing, ‚In Cold Blood‘ zu schreiben, gewusst, was es alles nach sich ziehen würde, ich hätte es niemals begonnen.“

Geistreicher, bezaubernder und witziger Gesprächspartner


Nach „Kaltblütig“ begann der Abstieg mit Unmengen Alkohol und Medikamenten. 1966 lädt er zur Party des Jahrhunderts, dem legendären „Black and White Ball“ im „Plaza“. Noch ist Capote der gehätschelte Paradiesvogel. Doch auch damit ist es vorbei, als er unvorsichtigerweise Auszüge aus seinem geplanten Gesellschaftsroman „Erhörte Gebete“ veröffentlicht. Die High Society wendete sich von ihm ab.

Was für ein geistreicher, bezaubernder und witziger Gesprächspartner Capote war, zeigt ein Ausschnitt aus der David Frost Show von 1969, in der er auf unnachahmliche Weise über Liebe, Freundschaft und Sex räsoniert (und wie deprimierend zu sehen, wie eine Talkshow auch sein kann).

Das wirkliche Genie Capotes zeigt sich jedoch in seinen Reportagen und Portraits, die er über die Jahrzehnte für unterschiedliche Magazine verfasst hat. Wie er hier sprachlich und formal mit  literarischen und journalistischen Gattungen spielt, ist bis heute unerreicht. Man lese als Beispiel das wunderbare Portrait Marlon Brandos.

Am 25. August vor dreißig Jahren ist Truman Capote gestorben. Am 30. September vor 90 Jahren wurde er geboren. Seine Art, die Realität mit den Mitteln verspielter Subjektivität einzufangen und das Besondere im scheinbar Belanglosen zu finden, ist er unerreicht. Er war der erste Popliterat, und er war der beste. Vielleicht war er sogar der letzte.

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