Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Transparenz bedeutet Lärm und nicht Stille

Byung-Chul Hans „Transparenz-Gesellschaft“ - Farblose Piraten

Fruchtlos sind die Versuche der Medien die Piratenpartei ideologisch dingfest zu machen. Diese These belegt zumindest Byung-Chul Han mit Hilfe von Baudrillard, Agamben und Heidegger. In seinem Buch „Transparenzgesellschaft“ schreibt er über eine Partei ohne Farbe und das „Ende der Theorie“

Während die deutschen Medien mit wachsender Nervosität versuchen, den neuen Querschläger in unseren Parlamenten, die Piraten-Partei, ideologisch dingfest zu machen, hat der Karlsruher Philosoph Byung-Chul Han mit theoretischen Anleihen, die von Agamben über Baudrillard bis zu Heidegger reichen, die Fruchtlosigkeit solcher Versuche dargelegt. Als «erste Partei ohne Farbe», schreibt Han in seiner kleinen Schrift Transparenzgesellschaft, seien die Piraten garantiert ideologiefrei.

Weit davon entfernt, den Stand der Dinge auf irgendeine maßgebliche Weise in Frage zu stellen, laute ihr Credo nämlich «Transparenz». Diesem Schlagwort unserer jüngsten Polit-Debatten gilt Hans geballte theoretische Feuerkraft. Transparenz, lernen wir, bedeutet Lärm und nicht Stille, bedeutet Markt und nicht Sein, bedeutet Porno und nicht Erotik, bedeutet sichtbar und nicht geheim. Nicht zuletzt bedeutet Transparenz auch das «Ende der Theorie», ein Trend, dem sich sein schmaler Essay entgegenstemmt wie David einst Goliath. 

Theorie, definiert Han in erfrischender Klarheit, heißt unterscheiden. Und daran hält er sich. Spätestens nach der Hälfte ist der Leser versucht, eine Tabelle anzulegen, um die vielen Gegensatzpaare nicht durcheinanderzuwerfen, mit denen der Autor seine Kritik an der Transparenz untermauert. Im Grunde ist seine gut geölte Entscheidungsmaschine ein Apparat für mythisches Denken: Diffus analoge Gegensatzpaare verstärken sich so lange gegenseitig, bis zuletzt ein manichäisches Gelehrtenuniversum entsteht, in dem die transparente der opaken Gesellschaft gegenübersteht.

Vieles hat man so oder ähnlich schon gelesen. Die «Tyrannei der Sichtbarkeit», die Hans Transparenzkritik in immer neuen Facetten ausmalt, ist ein Steckenpferd französischer Philosophen, die den Regimen des Blicks im 20. Jahrhundert stets mit Argwohn begegnet sind.

Kein Zufall daher, dass Hans Essay Guy Debords «Gesellschaft des Spektakels» nachempfunden ist, mit der er auch den apodiktischen Ton des Manifests teilt. Nur der Rätekommunismus, die politische Utopie der Situationisten, fallen bei Han weg.

Das ließe sich mit dem raunenden Sound zwischen Heidegger, Schmitt und Handke auch schlecht vereinbaren. Ein Glück nur, dass der Autor sich entschieden hat, trotz aller Belesenheit ein dünnes Brett zu bohren. Denn das macht die Lektüre seines Büchleins am Ende sogar amüsant. Auf dreihundert Seiten, mit deutschem Ernst dargeboten, wäre der Mix kulturkritischer Plattitüden schlichtweg unerträglich.

Doch scheint über Hans Litanei ein undurchdringliches koreanisches Lächeln zu schweben, das selbst Heideggers Erde eine gewisse Leichtigkeit verleiht. Der Rezensent möchte ihm Ironie unterstellen, vielleicht betreibt Han insgeheim sogar einen Theorie-Parodismus. Glatter, schneller, reibungsloser kamen solche Texte jedenfalls noch nie daher. Byung-Chul Han hat der Transparenzgesellschaft genau die Theorie auf den Leib gesampelt, die ihre zerstreute Aufmerksamkeit verdient.

Byung-Chul Han: Transparenzgesellschaft
Matthes & Seitz, Berlin 2012
96 S., 10 €

 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.