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Künstler Tim Eitel - „Es gibt keine Subkultur mehr“

Tim Eitel, einst Shootingstar der Leipziger Schule, fürchtet den Verlust der Ernsthaftigkeit in der Kunst. In neuen Bildern wendet er sich dem Prekariat zu

Ralf Hanselle / Antje Berghäuser

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Gut zehn Jahre ist es her, dass der Begriff „Neue Leipziger Schule“ zum Synonym wurde für eine unverbrauchte Strömung in der deutschen Gegenwartskunst. Früh als Shootingstar der Szene rund um die Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst wurde der 1971 in Leonberg geborene Tim Eitel gehandelt. Anlässlich einer Ausstellung in der Sammlung Essl bei Wien mit neuen Bildern erklärt Eitel, warum er seine Werke als lebensbejahend empfindet und was ihn am Prekariat interessiert.

Herr Eitel, es schien in den vergangenen Jahren ruhiger um Sie geworden zu sein. Ihre letzte Einzelausstellung in Deutschland liegt fünf Jahre zurück. Sie selbst leben mittlerweile in Paris. Brauchten Sie Abstand?
Ich bin nicht komplett umgezogen, ich habe noch immer meinen Wohnsitz und ein Atelier in Berlin. Für mich ist es aber gut, eine Dualität im Leben zu haben. Ich mag es, die Dinge einmal aus einer anderen Perspektive zu sehen. Vorher habe ich eine Zeit lang in New York gelebt und bin dann wieder nach Berlin gezogen. Jetzt lebe ich zwischen Berlin und Paris. Ich finde diese Ortswechsel produktiv. Dadurch relativiert sich alles ein wenig. Was in einem Land ungeheuer wichtig erscheint, wird im anderen fern und unbedeutend.

In der Sammlung Essl in Klosterneuburg bei Wien werden nun neben bereits bekannten Arbeiten auch fünf neue Bilder von Ihnen zu sehen sein. Hat sich die räumliche Veränderung in Ihrer Arbeit niedergeschlagen?
Meine Arbeit hängt immer stark davon ab, was um mich herum passiert. Ich male auf Grundlage von eigenen Fotografien. Das heißt, dass alle Bilder aus Situationen stammen, die ich selbst erlebt habe. Dadurch hat der Ort, an dem eine Arbeit beginnt, selbstverständlich großen Einfluss. Es braucht allerdings immer etwas Zeit, bis ich wirklich anfange, mit dem Material einer Stadt zu arbeiten. Gerade am Anfang habe ich noch eine touristische Perspektive. Das Besondere verstellt mir den Blick. Mich interessieren in meiner Malerei aber viel mehr die darunter liegenden Schichten, Dinge, die dann wieder viel universeller sind.

Das Besondere einer Stadt scheint auf Ihren Bildern gar nicht aufzutauchen. Es gibt keine Exotik und keine fest verortbaren Architekturen.
Ich vermeide das Exotische. Exotik ist etwas für Postkarten. Ich denke, man sollte in der Kunst die Dinge verhandeln, die man kennt, Dinge, über die man auch etwas zu sagen hat.

Bei vielen Ihrer jüngeren Arbeiten erscheinen soziale Texturen – Motive, die auf Obdachlosigkeit verweisen oder Armut. Solche Wirklichkeiten haben nicht unmittelbar etwas mit der Lebenssituation eines Künstlers zu tun, dessen Werke Preise im sechsstelligen Bereich erzielen.
Als ich erstmals nach Berlin kam, hatte ich ein Atelier im Künstlerhaus Bethanien. Morgens, auf dem Weg zur Dusche, kam ich immer an einer Glastür vorbei. Auf der einen Seite der Tür waren die Künstlerateliers, auf der anderen Seite befand sich das Sozialamt. Doch die Tür war nur in einer Richtung hin offen: von hier nach da. Dieses Bild ist mir immer im Kopf geblieben. In meiner Arbeit steckt allerdings kein direktes politisches Statement oder gar eine Anklage. Ich transponiere das Vorgefundene in eine andere Realität. Das ist vielleicht ein bisschen wie im Theater: Personen oder Dinge, die aus der Realität gegriffen sind, werden auf meinen Bildern zu Symbolen. Es ist ja Malerei und keine Dokumentation.

 

Sie haben sich in neuen Bildern mit der Lebensweise der Roma auseinandergesetzt.
Das Prekariat ist eben eine Realität. Eine Realität, die heute allgegenwärtig ist. In diesen Situationen findet eine starke Konzentration auf das wirklich Wesentliche statt. Das Wesentlichste der Existenz ist es doch vermutlich, am Leben zu bleiben. Diese Konzentration würde ich auf meinen Bildern gerne in eine Analogie überführen. Und was die Roma angeht: In Frankreich ist das ein viel diskutiertes Thema. Regelmäßig werden hier Lager platt gewalzt. Gegenüber von meinem Atelier in Saint-Denis ist im vergangenen Jahr ein Camp entstanden. Das war gebaut aus Materialien, die die Bewohner ausschließlich auf der Straße gefunden haben. Die Improvisation hatte einen eigenen Stilwillen und eine eigene Ästhetik – fast schon wie bei einer abstrakten Skulptur.

Auf Ihren Gemälden hat man oft den Eindruck, dass Mitgefühl nicht gewollt ist. Viele Figuren drehen dem Betrachter den Rücken zu. Kann da Empathie entstehen?
Ich glaube, dass der Akt der Identifikation über eine Rückenfigur viel leichter geschehen kann als über ein Gesicht. Man kann gemeinsam mit der Figur ins Bild schauen. Auch wenn dieser Bildraum bei mir meistens sehr wenig Tiefe besitzt und ein bisschen wie ein Kasten funktioniert. Schaut man indes direkt auf ein Gesicht, dann hat man ein Gegenüber. Je nachdem, wie nah dieses an einem dran ist, kann man sich mit dem identifizieren – oder eben auch nicht.

Einige Denker attestieren unserer Gesellschaft einen Mangel an Kontakt mit dem „anderen“. Dieses Defizit führe, so etwa Byung-Chul Han, zu Müdigkeit. Melancholie und Ermattung sind auch jene Begriffe, die viele Beobachter mit Ihren Bildern in Verbindung bringen.
Ich frage mich oft, ob diese Melancholie und auch das Romantische, das manche sehen, in meinen Bildern wirklich drin ist. Das liegt vielleicht an der Dunkelheit. Eigentlich finde ich meine Bilder aber eher lebensbejahend. Sie sind für mich viel positiver, als ich es selbst bin.

Ihre Bildräume wirken wie leer geräumte Plateaus, die auf ein Ereignis warten, das dann nicht eintrifft. Warum sind Ihre Bilder immer so handlungsarm?
Ich will die ganze Konzentration auf die Figuren selbst legen. Es soll da kein Vorher und kein Nachher geben. Bei Figurationen fangen die Betrachter meistens automatisch an, narrativ zu denken. Sie sehen eine Figur und fragen sich, wo die herkommt und wo die hingeht. Mir geht es nur um die reine Präsenz einer Figur – und somit natürlich auch um die Präsenz des Bildes selbst.

Die Romantik hat die Figur des freien Künstlers etabliert. Was als Gegenentwurf zur bürgerlichen Gesellschaft verstanden wurde, scheint heute fast ein Prototyp des urbanen Menschen zu sein. Fühlen Sie als Künstler noch eine Form von Exklusivität?
Das ist schwer zu sagen. Wir sind heute ja tatsächlich in einer merkwürdigen Situation. Jeder ist irgendwie kreativ, und es gibt keine Subkultur mehr. Alles ist assimiliert. Nicht zuletzt durch das Internet ist heutzutage jeder Gegenentwurf binnen kürzester Zeit Mainstream. Da ist es schon schwer, sich als Künstler eine Form von Eigenständigkeit zu bewahren. Hinzu kommt noch diese immens gestiegene Akzeptanz für die Kunst. Das ist einerseits natürlich schön; andererseits verliert das Ganze dadurch ein Stück Ernsthaftigkeit.

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