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IS-Terror und Islamkritik - Abschlachten unter falscher Flagge

Nicht die Islam-Witze Dieter Nuhrs, sondern der Extremismus unter der Flagge des Islam ist die eigentliche Beleidigung für Muslime. Barbarische Schreihälse haben für ihre Agenda einen religiösen Katalysator konstruiert und damit dem Islamdiskurs eine hässliche neue Qualität gegeben 

Autoreninfo

Khola Maryam Hübsch (geboren 1980) studierte Publizistik, Psychologie und Germanistik in Mainz. Sie lebt als Journalistin, Bloggerin und Autorin in Frankfurt und engagiert sich als Muslima in der Ahmadiyya-Gemeinschaft. 2014 erschien ihr Buch „Unter dem Schleier die Freiheit – Was der Islam zu einem wirklich emanzipierten Frauenbild beitragen kann“ im Patmos-Verlag.

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„Wer nie Musik gehört hat, der vermisst nichts“, schreibt Adorno. Stellen Sie sich vor, es gäbe Menschen, die noch nie klassische Musik gehört hätten. Menschen, die nie ein Lied gefühlt hätten, das emotional berührt, das Tränen in die Augen treibt. Wie soll man Musik erklären? Wenn jemand, der nie Musik gehört hat, meint, Musik erzeuge schmerzerregende Dissonanzen und sei ein ohrenzerreißendes Lärmen, ein schrilles, grelles, unerträglicher Geräusch, dem sich kein vernünftiger Mensch freiwillig aussetzen möchte, dann wird er Musik als bedrohlich empfinden. Als Musik-Kenner denken Sie: Es gibt Beethoven, es gibt Heavy Metal und es gibt vieles dazwischen. Ohrenbetäubender Krach hat jedoch nichts mit Musik zu tun – und Sie werden dafür belächelt.

Und so geht es mir mit dem Islam. Ich kenne nichts, das mein Wesen stärker erschüttert hätte als die Erfahrungen, die durch die religiöse Praxis des Islams möglich werden. Es ist eine Religion voller Weisheiten und Spiritualität. Es sind Erfahrungen, die ich nicht leugnen kann und die nicht ostentativ an meiner Stirn haften, wie das Kopftuch auf den Haaren. Erfahrungen, die ich nicht mit einem Klick auf den „Teilen“-Button an die Weltöffentlichkeit weiterreichen kann, wie es Islamisten mit ihren Enthauptungsvideos massenwirksam tun. Erfahrungen, die trotz ihrer Eindringlichkeit nicht sichtbar sind.

Was sich dagegen mit einer ungeheuren Aufdringlichkeit in unser aller Aufmerksamkeitsfenster hineinkatapultiert, ist der tosende Lärm, das ohrenzerfetzende Getöse und Gegröle barbarischer Schreihälse, die für ihre Unmenschlichkeit einen religiösen Katalysator konstruieren. Was wissen diese Kulturbanausen und „Islam-für-Dummies“-Besteller von der Philosophie einer Religion, die mich gelehrt hat, wie schwierig es ist, wahrhaft barmherzig und selbstlos zu werden? Die mich gelehrt hat, dass Freiheit durch Hingabe entsteht – und dass sich dieser Weg zum Erlernen der Liebe mehr lohnt als alles andere? Doch wem erzähle ich das?

In Zeiten, in denen immer mehr Menschen „religiös unmusikalisch“ geworden sind,  erscheint eine Horde von hassdurchtränkten Ego-Anbetern wie die plastischste Verkörperung dessen, was Religion anrichten kann. Vergessen wird, dass es der Religion im Kern immer um Transzendenz und um die Emanzipation von mentalen Abhängigkeiten geht. Es geht ihr eben nicht um die Befriedigung niederer Leidenschaften oder die Auslebung von Machtgelüsten. Dass der willige Geist dabei allerdings allzu oft vor dem schwachen Fleisch kapituliert und primitive wie profane Motive den Menschen zu einem Heuchler im Namen der Religion machen, ist eine Erkenntnis, die weit älter ist, als die Religionskritik der Aufklärung.

Etikettenschwindel im ganz großen Stil
 

Die Heuchelei der Möchtegern-Frommen war schon immer Anlass für Spott und Satire. Auch in der sogenannten islamischen Welt zeugt die Tradition der „Mullah-Witze“ von der Abscheu für alles Doppelmoralische. Kaum bekannt ist, dass sogar der Prophet des Islams hart mit dem bigotten Frömmler ins Gericht ging. Es war Muhammad selbst,  der die religiösen Führer der Endzeit als „die schlimmsten Wesen unter dem Himmelszelt“ bezeichnete (Mischkat, Kitabul Ilm).

Der „IS“ beruft sich auf diese eschatologischen Prophezeiungen des Islams und zelebriert den „letzten Kampf gegen das Böse“, ohne zu merken, dass ebendiese Überlieferungen warnen: „Bald wird vom Islam nichts mehr übrig sein, als sein Name“. Ja, es ist Etikettenschwindel im ganz großen Stil.

Es ist dieses Abschlachten unter falscher Flagge, das die größte Beleidigung einer Weltreligion darstellt, dessen Prophet im Koran als „Barmherzigkeit für alle Welten“ bezeichnet wird. Der stumpfe Humor eines Dieter Nuhr wiegt im Vergleich dazu nicht einmal Peanuts-schwer. Er versprüht Tropfen von Islamsticheleien in homöopathischen Dosen, die im dreckigen Meer des IS-Boko-Haram-Taliban-Islam ins Unkenntliche versinken.

Giftig ist seine Islamsatire trotzdem, denn er macht sich eben nicht lustig über die Ewig-Gestrigen Islamfundis, wie gemeinhin angenommen wird. Er betont explizit: Das ist der Islam, das steht so im Koran. Damit rückt er gefährlich in die Nähe eines HoGeSa-Aktivisten im Geiste, der dem grölenden Stammtisch verbale Knochen hinwirft. Mutig ist Islamkritik in Zeiten von Titelcovern, die die „dunklen Seiten“ des Islam verhandeln und in denen jeder zweite Deutsche diese Weltreligion für rückständig hält, nicht wirklich.

Früher eindeutig rechts, heute gehört es zum guten Ton
 

Nuhr macht Witze über den Islam, wie man Witze über die Deutschen macht, die in der Logik des Nuhrschen Humorniveaus auf die Nazi-Karikatur reduziert sein müssten. Er spitzt den Islam auf die Salafisten-Version zu. So weit, so plump. Sein Fehler liegt darin, allen Ernstes eine Kausalität zu suggerieren, die nach folgendem Schema läuft: „Die Nazi-Denke, das liegt am Deutschsein, nicht an der NS-Ideologie.“

Das sagt er natürlich nicht, er sagt es in grün, indem er Koranverse zitiert und den Zusammenhang nahe legt, fanatisches Denken sei Bestandteil der islamischen Religion und nicht seiner faschistischen Interpretation. In dieselbe Kerbe schlagen neuerdings auch Welt und Focus, die mit ihren dumpfen Thesen zum Islam peinlichen Islamophobiker-Blogs Konkurrenz machen. Der Islamdiskurs hat eine neue Qualität erreicht. Was früher als klar rechts eingeordnet worden wäre, gehört heute zum guten Ton und liegt ziemlich mittig, Islamisten sei Dank. Jeder Otto-Normal-Deutsche geriert sich mittlerweile als Islamexperte und echauffiert sich über „Tötet-die-Ungläubigen“-Verse, was die Aisha-Normal-Muslima in Erklärungsnot bringt.

Gemeinsam ist beiden die Unkenntnis über historische und textuelle Zusammenhänge. Woher kommt die Inbrunst und der missionarische Eifer zu einer Islamkritik, die inhaltlich nichts tut, als die stumpfesten Stereotype zu kolportieren? Es mag die Vergewisserung der eigenen Überlegenheit sein, der eigenen säkularen oder christlichen Identität, die Klarheit in einer hybriden Welt schafft. Der Islam übernimmt Entlastungsfunktion in unordentlichen Zeiten, er bietet die perfekte Projektionsfläche und wird zur Nemesis der Aufklärung, zur Antipode des anti-säkularen und anti-christlichen Denkens schlechthin.

Das neue unfreiwillige Hobby des Deutsch-Muslims ist dann die Distanzierung von Gräueltaten seiner „Glaubens-Brüder“, deren monströse Fratzen das islamische Gewand tragen. Es sind jedoch vor allem die Muslime selbst, die es nahezu unmöglich machen, die spirituelle Note des Islam zu hören und ihn in seiner Ganzheitlichkeit als Bereicherung zu sehen. Wenn es irgendjemanden gibt, der die Ehre des Islams besudelt, dann sind es geistlose Muslime mit ihrer Obsession zur Unvernunft.

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