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Medienmurks - Tatort? Nein danke!

Tatort nervt! Warum wir einen krimifreien Sonntag brauchen und sich die Fernsehanstalten längst von Qualität verabschiedet haben? Ein Tatort-Vermeider klärt auf

Um es vorwegzunehmen: Der Autor dieser Zeilen ist kein Tatort-Hasser, er ist vielmehr ein Sonntags-Tatort-Vermeider, weil er der naiven Vorstellung anhängt, die letzten Stunden in (werktags befreiter) Freiheit sollten besser, nein, anders genutzt werden. Sollten Sie hingegen zu der Sorte Mensch gehören, die sonntags um 20.15 Uhr eine Verabredung mit Mord nach Muster hat, dann lesen Sie jetzt besser nicht weiter und klicken sie hier.

Für alle anderen gilt: Tatort? Nein Danke!
 

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Zugegeben, wer Sonntagabend fernsehen möchte, um das letzte bisschen Wochenende Wochenende sein zu lassen, bevor der Alltag wiederkehrt, hat es schwer, den Tatort medial zu umschiffen. Es warten in der Regel gruselige TV-Alternativen. Auch an diesem Sonntag steht schaurige Resteverwertung auf dem Programm: Wir haben die Wahl zwischen „Johanna und der Buschpilot – Der Weg nach Afrika“, „Couchgeflüster - Die erste therapeutische Liebeskomödie“, „Cats & Dogs – Die Rache der Kitty Kahlohr“, „X Factor“ oder „Landlust TV September – Die schönsten Seiten des Landlebens.“ Für die ganz schmerzbefreiten bietet die Dauergruselfernsehanstalt „MDR“gewohnt intellektbefreite Bilderfluten mit „Karl Stülpner – Der Robin Hood des Erzgebirges“.

Sonntags ist nicht einmal auf den Besinnlichkeitsfaktensender Phoenix Verlass: Es sei denn man hat Lust auf: „Endlich Prinzessin! Ein Jahr mit Kate und Charlene“. Wer also die Woche ausnahmsweise einmal nicht mit butterweichem ZDF-Geflüster, reaktionären Castingshows oder heimatreuem Soft-TV ausklingen lassen möchte, hat es schwer. Der guckt ARD oder lässt es gleich ganz bleiben.

Und das Bleibenlassen ist nicht immer so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Auch ich wollte es einmal bleiben lassen, traf mich auf ein Bier mit einem Freund in einer beliebigen Berliner Bar, wähnte mich frei von 90-minütiger Konzeptdramaturgie, unterprächtigen Dialogen und überzeichneten Figuren, als plötzlich die Lichter ausgingen. Mitten im Gespräch über das, was war, ist und kommen soll, zischte ein vorwurfbehaftetes „Psst!“ vom Nachbartisch herüber. Die Realität holte uns ein, die Bar, die eben noch durch Übersichtlichkeit glänzte, hatte sich zügig gefüllt, die typischen Hintergrundgeräusche wichen stummer, fast andächtiger Kommunikationsmüdigkeit. Das Licht wurde gedimmt, die Leinwand heruntergefahren. Der gesellige Ort hatte sich kurzerhand in eine Public-Viewing-Tatort-Maschine verwandelt. Menschen wurden schweigender Teil dieser Kulisse.

Während wir noch gedanklich einem möglichen Widerspruch zwischen Tat (Fernsehschauen) und Ort (Bar), zwischen geselligem Beieinander und dem starren Blick auf einen Bildschirm nachzugehen suchten, hatten sich bereits pferdeschwanztragende Lehramtsstudentinnen und Soziologiediplomierte breit gemacht. Sie duldeten keine Konversation, tranken ihren Chai Latte und ließen keinen Zweifel daran, dass hier nun ein unausgesprochenes Gesetz galt: Wer nicht schaut, der geht. Da so ein Sonntagabend zur kurz ist, um sich mit einer für den Moment schier übermächtigen Tatort-Lobby anzulegen, verließen wir die Lokalität. Draußen war es bereits dunkel. Ein letzter Blick in das flimmernde Innere offenbarte in eine Richtung starrende, konzentriert zufriedene TV-Gesichter.

Doch, was finden die vielen Tatortseher so aufregend an einem Format, das mitunter so viel Spannung erzeugt wie ein Musical von Andrew Lloyd Webber?

Auch stört es sie scheinbar wenig, dass die Dramaturgie vorhersehbar ist, dass eigentlich schnell klar wird, wer der Mörder ist. (In der Regel der, der es auf keinen Fall sein kann.) Gut, könnte man sagen, dann geht es halt um den Gang, statt um den Ausgang der Handlung. Geht es aber nicht. Die Dialoge sind müde, wirken zuweilen gequält und die Sprache verlässt selten die einschlägige Krimirhetorik.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum "Derrick" die bessere Alternative zum "Tatort" ist

Doch die meisten Tatortfans stören sich nicht daran. Es stört sie wenig, dass der Tatort mitunter versucht, auf Teufel komm raus Zeitgeist zu spiegeln und allein deswegen scheitert, weil die Verbindung eines Einzelschicksals mit dem großen Ganzen eine dramaturgische Herausforderung ist.

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All die dramaturgischen Lücken, all die filmischen Unzulänglichkeiten stört die Tatort-Community deswegen nicht, weil der Tatort längst nicht mehr nach filmischen Kriterien beurteilt wird. Tatort ist kein Film, sondern Ritual, etwas Wiederkehrendes, eine Art transzendentaler Wochenabschluss. Er ist gleichsam ein Orientierungspunkt, der immer wiederkehrende, nach ähnlichem Muster ablaufende Kult.

Dass es sich beim Tatort um keine gewöhnliche Krimiserie handelt, sondern wir es mit einem ausgewachsenen Phänomen zu tun haben, wird einem erst so richtig im Ausland bewusst. Dort gibt es sie zuhauf: Tatort-Mikrokosmen.

Deutsche verabreden sich mit Deutschen zum Tatort-Gucken. Sie treffen sich, um ein Stück Heimat zu schauen. So, wie außerhalb Deutschlands Deutsche deutsches Essen lieben, deutsche Schulen besuchen, so wie es Goetheinstitute gibt, gibt es auch die Institution "Tatort", die der deutschen Gesellschaft patriotische Projektion bietet.

Doch wenn schon Ritual, dann bitte richtig. Dann bitte keinen pseudokritischen Gesellschaftsmurks. Dann bitte direkte und offen konzeptionelle Einfalt. Ja, im Stile des guten alten Derricks, da auf die Gleichung „Mord, Leiche, Derrick, Gärtner (wahlweise auch Hausmeister)“ Verlass war. Ehrliche Biederkeit statt vorgegaukelte Originalität.  Beim Tatort hingegen erreicht uns der Muff über die pseudointellektuelle Hintertür.

Und überhaupt sind schlechte Plots und Gänsehaut erzeugende Dialoge nicht allein Problem des Tatorts, sondern – mit wenigen Ausnahmen – des deutschen Fernsehens generell. Und sicherlich lässt das enge Korsett, der vorgemusterte Ablauf eines Krimis, wenig Platz für Originalität. Doch es ist nicht verboten, auch diesen Raum kreativ zu füllen. Aber noch immer schreiben die guten Autoren scheinbar nicht fürs TV. Auch deswegen, weil sich die TV-Anstalten offensichtlich irgendwann von Qualität verabschiedet haben. Irgendwie gehört es ja auch zum guten öffentlich-rechtlichen Ton, das letzte bisschen Qualitätsfernsehen  im Nachtprogramm zu verstecken. Wäre ja auch schade, wenn Qualität auch noch Quote hätte.

Was also tun, sonntags, 20:15? Im Zweifel einfach abschalten. Entweder die eigene Anspruchshaltung oder wahlweise  das TV-Gerät.

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