Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Schweiger steht für Filme wie Kokowääh und Keinohrhasen, bei denen schon die Titel nichts Gutes ahnen lassen

Sonntagskolumne - Tatort-Kommissar Schweiger bringt Familien in Gefahr

Til Schweiger als Tatort-Kommissar? Ein jeder hätte es schwer, Mehmet Kurtulus zu folgen. Aber Schweiger? Warum das nicht geht, und wieso diese Senderentscheidung unsere Familien ins Wanken bringt, lesen Sie in der Sonntagskolumne "Mein Sozialstaat".

Der heilige Sonntagabend ist in Gefahr. Der Abend, auf den das ganze Wochenende hingefiebert wird. Der einzige Halt vor der beginnenden Arbeitswoche, der Ruhe, Vorhersehbarkeit, Ordnung und Aufklärung verspricht. Der sonntägliche Tatort, ab und an auch der Polizeiruf, lockt mit der süßen Gewissheit, spätestens nach drei Minuten eine Leiche präsentiert zu bekommen, nach 60 Minuten einer Finte aufzusitzen, nach 75 Minuten eine Ahnung zu haben und nach 90 Minuten von den Kommissaren einen Täter präsentiert zu bekommen. Dann gehen wir auseinander, wer will, bleibt bei Günther Jauch, andere switchen um zum ZDF-Krimi, wieder andere gehen mit einem Buch ins Bett. Mit dem Gefühl, dass alles gut ist, dass die Welt sich weiter dreht, kann die neue Woche beginnen. Eine solche Gewissheit ist Gold wert in Zeiten kollektiver Unsicherheit.

Seit einigen Wochen aber hat der Tatort Risse bekommen. Zuerst kamen die schlechten Nachrichten aus dem Saarland. Selten wird über dieses Bundesland berichtet, noch seltener so emotional. Die „enge Freundschaft“ von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht  bildete da eine Ausnahme, klar. Das war aber nur der zweite Schocker innerhalb kürzester Zeit aus dem unscheinbarsten Bundesland der Republik. Zuvor machte der Saarländische Rundfunk unter den Tatort-Guckern, zu denen auch ich mich zähle, mit der Verkündung Furore,  dass die beiden Tatort-Kommissare Maximilian Brückner (als Franz Kappl) und Gregor Weber (als Stefan Deininger) abgesetzt würden – die Geschichte sei „auserzählt“. Auserzählt? Die Polizeiruf-Ermittler Schmücke und Schneider aus Halle sind schon seit Jahren auserzählt, werden aber immer weiter gedreht. Der Stuttgarter Kommissar Ernst Bienzle war auserzählt, lange bevor es der Sender selbst gemerkt hat. Aber das saarländische Duo war beliebt bei den Zuschauern und lieferte gute Quoten. Undurchschaubar, die Entscheidung des Senders für die deutschen Tatort-Fans.

Ihre Gemeinde ist keinesfalls homogen. So zählt zu ihr jene Spezies von bizarren Zuschauern, die es vorziehen, sich in Kneipen dem gemeinsamen Täterraten hinzugeben. Denen gegenüber stehen jene, die sich ein solches Spektakel nicht einmal vorstellen mögen, gibt es doch bei einem Tatortabend nichts Schlimmeres als das ewige Dazwischengequatsche der ahnungslosen Beisitzer. Daneben gibt es Krimiliebhaber, die ihrem Tatort schon seit den 70er Jahren treu sind und die ersten Fälle in den 80ern von Manfred Krug als Kommissar Stoever und Götz George als Schimanski miterlebt haben. Ganze Familien finden sich in trauter Gemeinsamkeit zusammen, um den Abend auf dem Sofa zu verbringen. Sind die Streitereien am Tage noch so existenziell gewesen – am Sonntagabend werden die pubertären Waffen gestreckt, die Hausaufgaben sind gemacht und auf dem Familiensofa kehrt endlich Frieden ein. Familien mit jüngeren Kindern sehen zu, dass diese im Bett sind, wenn der Gong der Tagesschau verklingt und die Tatortmelodie beginnt. Ich zitiere eine Mutter aus dem Freundeskreis, die nicht näher genannt werden will: „Wenn die Kinder dann nicht ruhig sind, werde ich richtig aggressiv.“

Lesen Sie auf der nächsten Seite, worüber die Tatort-Szene entsetzt ist

So verschieden die Tatort-Gucker, so unterschiedlich sind auch ihre Geschmäcker, was die unterschiedlichen Darbietungen der Ermittler-Teams angeht. Und der Tatort lebt von diesen verschiedenen Charakteren. Sein Kultstatus bringt es mit sich, dass seine Liebhaber sich regelmäßig über die verschiedenen Rollen streiten. Für die einen sind die Münsteraner Ermittler Jan Josef Liefers und Axel Prahl das Letzte, andere halten den großspurigen Forensiker Börne und seinen Nachbarn und St-Pauli-Fan Frank Thiel für das einzig Wahre.

Über Geschmack lässt sich streiten, aber selten eine Einigung finden. Eigentlich. Denn ob der neusten Nachricht aus der Tatort-Szene ist das Entsetzen überall ähnlich. Der Saarländische Rundfunk hat nun zwar den großartigen Devid Striesow verpflichtet. Was beim Norddeutschen Rundfunk derweil allerdings diskutiert wird, ist eine Katastrophe: Til Schweiger als Kommissar. Das geht einfach nicht. Natürlich ist es schwer, den brillanten Mehmet Kurtulus in seiner Rolle als Hamburg-Ermittler zu ersetzen. Kurtulus war sozusagen ein Edel-Kommissar, eine Perle. Und eigentlich war es klar, dass er und seine Rolle als nebulöser verdeckter Ermittler einfach zu gut waren, um uns auf lange Zeit am Sonntag erhalten zu bleiben.

Jeder hätte es schwer gehabt nach Kurtulus. Aber Til Schweiger kann uns nicht glücklich machen. Tatort-Ermittler dürfen nicht perfekt sein. Sie sollen entweder ein bisschen schmuddelig, kaputt, hässlich, aufmüpfig, hochintelligent, migrationshintergrundgeprägt oder zumindest tendenziell schlecht gelaunt sein. Til Schweiger ist all das nicht. Er ist das Gegenteil: Gut aussehend, wohlerzogen, durchschnittlich lustig. Zumindest ist das die Rolle, die er landauf, landab spielt. Und es ist meistens die gleiche. Schweiger steht für Filme wie Kokowääh und Keinohrhasen, bei denen schon die Titel nichts Gutes ahnen lassen. Obwohl diese Filme gesehen werden, denn  Schweiger hat sich mit Ihnen offenbar in die Herzen vieler Kinogänger gespielt. Aber es sind eben Nicht-Tatort-Gucker.

So ahnen wir also Böses für den Sonntagabend, für die 90minütige Portion an Sicherheit vor Wochenbeginn, für den Familienfrieden. Und trotzdem werden wir dabei sein, beim Schweiger-Debüt. Und vermutlich bei all den anderen Folgen. Wir Tatort-Gucker werden ihn beobachten, den Kommissar Schweiger. Wie jeden anderen vor ihm auch.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.