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Tag der Einheit - Es knirscht im deutschen Gebälk

Kisslers Konter: Auf der Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Hannover wuchs zusammen, was nirgends zusammen gehört: Biederkeit und Kriegsgefahr. Dass man dies auch noch in eine Stil-Collage einbettete, die mindestens von fortgeschrittener Geschmacksverirrung zeugt, legt nahe, dass es um die sogenannte Kulturnation schon besser bestellt war

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Wolf Biermann und die „Scorpions“, Inklusion und Koexistenz: So sieht also der kleinste gemeinsame kulturelle Nenner der Bundesrepublik Deutschland aus. Nimmt man die zentrale Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Hannover zum Maßstab, war es um die sogenannte Kulturnation schon besser bestellt. Die Staatsspitze feierte sich selbst (und ein wenig ihr Gemeinwesen) und ließ sich dazu einen derart elefantösen Stil-Kauderwelsch kredenzen, dass es schwer fällt, hier nicht chronische Konzentrationsschwäche bei fortgeschrittener Geschmacksverirrung zu diagnostizieren.

Ein Fest komplett auf Zerstreuung abgestellt


Doch seien wir gerecht: Geredet wurde auch. Der niedersächsische Ministerpräsident bekannte, stolz zu sein – freilich nicht auf sein Land, sondern auf „diesen Staat“, denn „für diesen Staat lohnt es sich zu arbeiten.“ Nur Satiriker mögen einwenden, hier habe der Länderfinanzausgleich aus dem Präsidenten gesprochen. Der Beifall war lang. Stephan Weil zufolge ist der Staat ein Prinzipienreiter, und die Prinzipien hießen Toleranz, Respekt, Solidarität, Anerkennung von Leistung. Die Bundeskanzlerin erinnerte sodann, „Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Weltoffenheit, Toleranz und Menschenrechte“ müssten immer wieder erkämpft werden. Das dürften die „Bürgerinnen und Bürger eines deutschen Staates“ nie vergessen, weshalb die Bundeswehr sich ebenso gegen den „Terror des IS“ stelle wie gegen Ebola.

Vor Wolf Biermanns Lied „Lass dich nicht verhärten“ (1968) in einer Fassung für Jugendsymphonieorchester und vor dem Auftritt des 66-jährigen „Scorpions“-Sängers Klaus Meine – ohne ihn darf in Hannover kein Staatsakt stattfinden, gilt er doch seit dem nun mit Mädchenchor dargebotenen Schmachtfetzen „Wind of change“ von 1990 als Staats-, ja als Wiedervereinigungskünstler, zumindest in Hannover –, vor den beiden Zeitgenossen also erklang Felix Mendelssohn Bartholdys „Sommernachtstraum“. Dessen „Tanz der Rüpel“ setzte später den Haken unter die musikalischen Beiträge. Das Deutschlandlied gab die Coda, zur symphonischen Etüde aufgeblasen.

Doch ob zu Biermann, zu Meine oder Mendelssohn: Nie genügte der Klang, nie genügte ein Bild. Es wurde verdoppelt und kommentiert, überblendet und angerissen und abgebrochen, was das Zeug hielt, wie zu den seligen Hochzeiten der Collage. Diese sind gut vierzig Jahre hier, in Hannover und zum nationalen Gedenken aber hinreichend aktuell. Auf von der Decke hängenden Leinwänden malte mal eine Hand Symbole der Republik zwischen Leipziger Bahnhof, Berliner Reichstag und Park Sanssouci, mal flatterte Kerzenlicht im Winde, mal erinnerten sich (in der Tat beeindruckende) Zeitzeugen. Alles war auf Zerstreuung abgestellt, auf Effekt und Überwältigung. Der Begriff war der Begriffe Feind, und sie flohen vor den Bildern.

Ein Land als Wünsch-Dir-Was


Das Orchester spielte forsch, eine Tanzgruppe tänzelte in Straßenkleidern vor sich hin, die Leinwände flimmerten, rechts außen in dieser, mittig in jener Weise. Die Eindrücke bereiteten einander den Tod, es war nur ein Gaffen möglich, kein Schauen, eine neue Ablenkung und keine Konzentration. Ein großes Vorbeihuschen war es. So endete der Ton-Bild-Text-und-Tanz-Tragelaph in der Affirmation des Bestehenden. Auf den Handinnenflächen junger Menschen stand zu lesen, was „Einigkeit“ und „Recht“ und „Freiheit“ anno 2014 bedeuten könnten – oder sollen oder müssen? „Koexistenz“ stand da, „fairen Lohn“, „mehr Hortplätze“, „Inklusion“ auch und „saubere Umwelt“ und „mehr Ferien“. Ein Land als Wünsch-Dir-Was der Junggebliebenen. Putzig und nett, sympathisch und harmlos. Es war der maximale Gegensatz zu Angela Merkels düsterer Zeitansage. Der Weltfriede ist bedroht, die Deutschen wünschen sich würzige Luft und weichere Betten. Es knirscht im Gebälk der Bundesrepublik. Auf der Hannoveraner Bühne wuchs schlecht zusammen, was nirgends zusammen gehört: Biederkeit und Kriegsgefahr.

Ist die Kulturnation damit endgültig auf den Hund gekommen? Aber iwo doch. Es sollte nur eine Selbstaussage „dieses Staates“ sein. Forstsetzung folgt, nächstes Jahr in Frankfurt am Main. Gewiss mit Moses Pelham, Sabrina Setlur und vielleicht sogar – als Gruß aus Mannheim – Xavier Naidoo.

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