Kurz und Bündig - Susanne Beyer: Palucca. Die Biografie

Gret Palucca (1902–1993) war die Athletin unter den Ausdruckstänzerinnen der ersten Stunde. Keine andere sprang so kraftvoll wie sie. Dass die große Überwinderin der Schwerkraft aber ausgerechnet von Steinen fasziniert war, hat ihr begeistertes Publikum sicher nicht geahnt. Sie sammelte sie auf Sylt oder später an den Stränden ihrer Lieblingsinsel Hiddensee und schenkte einem engen Freund ein Exemplar mit der Zeile «Ich hoffe, daß er Dir gefällt und Du etwas Ähnliches noch nicht hast».

Gret Palucca (1902–1993) war die Athletin unter den Ausdruckstänzerinnen der ersten Stunde. Keine andere sprang so kraftvoll wie sie. Dass die große Überwinderin der Schwerkraft aber ausgerechnet von Steinen fasziniert war, hat ihr begeistertes Publikum sicher nicht geahnt. Sie sammelte sie auf Sylt oder später an den Stränden ihrer Lieblingsinsel Hiddensee und schenkte einem engen Freund ein Exemplar mit der Zeile «Ich hoffe, daß er Dir gefällt und Du etwas Ähnliches noch nicht hast». Stets unaufwendig gekleidet, hat die Palucca materiellen Gütern wenig Wert beigemessen, der Ästhetik ihrer Umgebung aber umso mehr: «Das geht gar nicht!» lautete ihr strengstes geschmackliches Verdikt. Auf eine gutbürger­liche Umgebung mit Haushälterin und sonstigem Komfort wollte sie auch im Sozialismus nie verzichten. Als «bescheiden» und «anspruchsvoll» zugleich hat sich Gret Palucca bereits als junge Frau bezeichnet – das mache es «für die Leute schwierig». Ihre zahlreichen Freunde, Bewunderer und Lebensgefährten beiderlei Geschlechts konnte ihre widersprüchliche Persönlichkeit nicht abschrecken. Nun ist die Journalistin Susanne Beyer dem Mythos Palucca nahegekommen: in ihrer Biografie wertet sie ihre kürzlich freigebene umfangreiche Privat­korrespondenz aus. Sehr gut lesbar beschreibt sie den künst­lerischen Werdegang der Tänzerin, Choreografin und Tanzpädagogin und verortet ihn stets im Zusammenhang politischer und kultureller Entwicklungen. Beyer verliert sich weder im Dickicht der Tanztheorie noch in Klatsch und Tratsch. Ob in der Weimarer Republik, als die Wigman-Schülerin Palucca mit der Meisterin brach und in Dresden ihre eigene, später welt­berühmte Schule gründete, im «Dritten Reich», als sie nach dem Triumph bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele als «Halbjüdin» plötzlich zur persona non grata wurde oder im Sozialismus, als sie zwischen Überwachung und geschicktem Pokern um Privilegien balancierte – für Palucca gab es um jeden Preis nur das «Tanzen müssen». Das ihr eigene hohe Maß an Monomanie und Egozentrik sind wohl für beinahe jeden erfolgreichen Künstler charakteristisch. Darüber hinaus war es «die Mischung aus unbedingtem Wollen und einer gewissen Vagheit, durch die Palucca und ihre Kunstform attraktiv wurden für all jene, die im Namen der Kunst Ideologie betreiben wollten», analysiert Beyer prägnant das Verhältnis der DDR-Oberen zur Tanzikone. Bei Palucca traf diese Bereitschaft auf ein «übergroßes Bedürfnis nach Zuwendung und Versorgung», das nicht nur ihren privaten Kosmos, sondern auch die jeweiligen Machthaber einschloss. Im Gegensatz zu anderen ist sich die Tänzerin erstaunlich treu geblieben: Gret Palucca, das war ihre Kunst. Dass sie sich als alte Frau in der Nachwendezeit nicht mehr zurechtfand – dieses Schicksal teilte sie mit vielen, die nie ihre Privilegien hatten.

 

Susanne Beyer
Palucca. Die Biografie
Aviva, Berlin 2009. 380 S., 24,80 €

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