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Himmler-Briefe - Heini fährt nach Auschwitz, na und?

Kisslers Konter: Die Welt-Gruppe veröffentlicht mit viel Getöse bisher unbekannte Briefe von SS-Führer Heinrich Himmler. Doch Zeilen wie „Ich fahre nach Auschwitz, Küsse, Dein Heini.“ offenbaren eher die Legitimationskrise der Zeitung im 21. Jahrhundert als die Abgründe des 20. Jahrhunderts

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Hans A. Pospiech ist der Held der Stunde. Der Regisseur aus dem bayerischen Neufurth will unbedingt ein Buch mit dem Titel „Adolf Hitler privat“ verfilmen. Den Politiker, den Antisemiten, den Kriegstreiber kenne man zu Genüge, es sei an der Zeit, das Dämonische von der privaten Seite zu zeigen. Und also dreht Hans A. Pospiech Szenen mit einem Hitler-Darsteller im Café, einen Zwetschgenkuchen bestellend und sich über die ausbleibende Sahne beschwerend. Eva Braun sitzt ihm gegenüber und ruft ihn zur Räson. Zwetschgenkuchen, sowas aber auch.

Die bayerische Gemeinde Neufurth gibt es ebenso wenig wie den Filmemacher Hans A. Pospiech. Beides sind Erfindungen des Kabarettisten Gerhard Polt für den Film „...und Äktschn!“, der am 6. Februar in die Kinos gelangen wird. Leider keine Erfindung, doch ebenso grotesk ist das Ballyhoo, das Welt und Welt am Sonntag um einen angeblichen Sensationsfund veranstalten. Rund 700 Briefe und manch anderes Schriftstück aus dem Nachlass Heinrich Himmlers sind offenbar aufgetaucht, also bezahlt worden von Welt und Welt am Sonntag. Darunter soll sich sogar – Tremolo! Grusel! Obacht! - „Marga Himmlers Kochbuch“ befinden. Hoffentlich erfährt Hans A. Pospiech nichts davon.

Das alles ist Schmock

Himmler, Chef von SS und Gestapo, ein wesentlicher Organisator des Massenmords an den europäischen Juden, zeigt sich in den privaten Briefen so, wie eben Menschen privat sich zeigen. Sie lieben und liebäugeln, sie zetern und scherzen und sind ungerecht, sie essen und trinken und verdauen. Wie Welt und Welt am Sonntag daraus einen „zuweilen verstörenden Blick in die Seelenwelt eines Massenmörders“ zimmern, sagt mehr aus über die Legitimationskrise der Zeitung im 21. Jahrhundert als über die Abgründe des 20. Jahrhunderts.

Himmler also, der sich brieflich als Heide präsentierte mit einem großen Vertrauen auf den „Uralten“, den angeblichen Germanengott Waralda, dieser Heinrich Himmler stand zwischen zwei Frauen, zwischen Ehefrau Marga und Geliebter Hedwig. Marga schlief zuweilen schlecht, der Krieg nahm sie mit. Der Gemahl wiederum grämte sich, wenn er ihren Hochzeitstag vergessen hatte, „es war in diesen Tagen sehr viel los“, anno 1941, mitten im Krieg. Ein Jahr später brachte er seiner Frau 150 Tulpen mit aus Holland, „gestreift, gezackt, zwei Farben, eine Farbe – solche, wie man hier nicht sieht.“ Im folgenden Jahr schickte er „kandierte Früchte und Cognacbohnen und eine Dose Kondensmilch“ nach Hause. Vom Aufbruch ins Vernichtungslager kündete die lapidare Zeile „Ich fahre nach Auschwitz, Küsse, Dein Heini.“ Auch wenn er „Mittag und Nachmittag beim Führer“ weilte und mit ihm spazieren ging, erfuhr es Marga. Sie war ja sein „liebes Liebchen“. Und so weiter und so fort.

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Das alles ist Schmock. Ist Tinnef und Zinnober und gerade kein sensationeller Einblick in die Seele eines Überzeugungstäters, kein wichtiger Beitrag zur deutschen Mentalitätsgeschichte. Fachhistoriker mögen sich darüber beugen und Literaturexperten. Für den Rest der Welt birgt Himmlers Konvolut die banale Erkenntnis, dass Nationalsozialisten Menschen waren, so wie auch Pol Pot ein Mensch war und Stalin und Mao, was denn sonst. Dennoch werden diese Pseudo-Enthüllungen gewiss weitere Albernheiten nach sich ziehen. Bald werden wir hören, dass Goering mittags ein Schnitzel aß, dass Hitler den Löwenzahnsalat vorzog und am Ende Heydrich gar Lakritze lutschte. Was lehrt uns das? Nichts, nichts und abermals nichts. So wird Geschichte zur Wellnessoase, zur Kulisse für das eigene gute Gefühl.

 

 

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