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Sicherheit durch Überwachung - Wie ich fast zur Helikoptermutter wurde

Kolumne Stadt, Land, Flucht: Das Neugeborene im Krankenhaus, angeschlossen an Überwachungsmonitore. Da kann man schon zur Helikoptermutter mutieren

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Sie war gerade 24 Stunden auf der Welt, da schloss man sie an einen Monitor an. Zur Überwachung. Die ersten Tage ihres Lebens lag meine Tochter verkabelt in einem Krankenhausbettchen. Ich saß daneben und schaute auf die Daten. Weiß für die Atmung, grün für den Herzschlag, blau für die Sauerstoffsättigung im Blut. Letzterer war der Wert, den ich Tag und Nacht beobachtete, der Grund dafür, dass immer wieder das bimmelnde Alarmsignal für den Abfall der Sauerstoffversorgung durch die Flure der Kinderklinik tönte. Sie war damit nicht alleine. Viele Säuglinge lagen so da, die meisten von ihnen zu früh Geborene.

Nach ein paar Tagen ließ man uns gehen. Das Bimmeln hatte aufgehört, man sprach von „leichten Anpassungsschwierigkeiten“. Mein Kind hatte sich an das Leben außerhalb meines Bauches gewöhnt. Sie ist jetzt gesund. Ich aber fühlte mich krank – vor Sorge. Als die Krankenschwester den Monitor ausschaltete, war ich zwar erleichtert, gleichzeitig fehlte mir die Möglichkeit zur Kontrolle. Und ich, die ich mich bei meinen anderen Kindern als souveräne, zuversichtliche Mutter eingestuft hatte, die gut loslassen konnte, die Panikmache, Sicherheitsdenken und übertriebene Fürsorge stets belächelt hatte, erwischte mich bei dem Gedanken, dass ich dieses Kind gerne weiter überwacht hätte.

Wieso eigentlich nicht ein Chip im Körper, der mir mitteilt, wenn ihre Körpertemperatur steigt? Ein kleiner Monitor am Babybett, um wirklich sicher zu gehen, dass die Ärzte Recht hatten? Dass ihr nun nichts mehr passieren konnte? Ich bin damit in guter Gesellschaft. Während wir gegen die Bespitzelung unserer Telefone und Emails auf die Straße gehen, beziehungsweise im Netz demonstrieren, wird die Überwachung der eigenen Gesundheit salonfähig.

Illusion der garantierten Sicherheit


Google sitzt an der Entwicklung eines medizinischen Geräts, das vorzeitig vor Krebserkrankungen oder dem erhöhten Risiko eines Herzinfarktes warnen soll. Dafür müssen Nanopartikel ins Blut der Menschen eingeführt werden, ein Armband wird dann die Ergebnisse auswerten. Unter Google Genomics speichern Unis, Krankenhäuser oder Privatpersonen schon heute DNA-Daten in einer Cloud und tragen dazu bei, die genetischen Merkmale bestimmter Krankheiten zu erforschen.

Wärmebildkameras sind bereits in Seniorenheimen oder Wohnungen von Patienten mit Herz-Kreislauf-Problemen installiert, um Alarm zu schlagen, wenn sich eine Person längere Zeit nicht mehr bewegt und ihre Körpertemperatur sinkt. Im Rahmen des geplanten E-Health-Gesetzes soll jeder Deutsche eine elektronische Gesundheitskarte erhalten, auf der Allergien, Diagnosen oder auch verschriebene Medikamente eingetragen sind.

All das kann Leben retten, sicherlich. Aber die Idee, man könne durch genügend Überwachung ein Leben in Sicherheit garantieren, ist bekanntermaßen eine Illusion.

Ein paar Tage nach unserer Rückkehr aus dem Krankenhaus habe ich mich dann zurück ins Leben gewagt. Der Laternenumzug des Kindergartens stand an. Die Schar der vielen Wichte ward gesichert von zwei Mannschaftswagen der Feuerwehr – vor und hinter dem Zug begleiteten sie uns mit blau phosphoreszierendem Blinklicht. So ähnelte das Ganze eher einer Kreuzberger Demo am 1. Mai denn einem romantischen Waldspaziergang bei Mondschein. Man mochte sich fragen warum, waren doch kaum Feuerzeuge und Streichhölzer im Spiel; der Schein der Lichtlein in den Kinderaugen dagegen war zu einem Großteil den vielen baumelnden LED-Lämpchen geschuldet. Ich aber kam mir plötzlich wieder ganz mutig vor: In den bunten Papierlampions meiner Kinder nämlich brannten echte Wachskerzen.

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