Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Sexualmoral - Die katholische Kirche muss scheinheilig sein

Die Gläubigen halten sich laut einer Vatikan-Umfrage nicht an die katholischen Sexualprinzipien. Bigott? Ja, und das ist auch gut so. Ein Kommentar

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

So erreichen Sie Christoph Schwennicke:

Manchmal ist es immer noch so. Manchmal wird montags die Welt neu geordnet. So wie diesen Montag. Der Spiegel titelt über den Papst, die katholische Kirche und den Sex. Laut einer internen (und nicht mehr ganz taufrischen) Studie des Vatikan hat der Familienbund der Katholiken in Bayern erhoben, dass 69 Prozent der Gläubigen nicht nach der Lehre der Kirche leben und 86 Prozent künstliche Empfängnisverhütung nicht für eine Sünde halten.

Woah! Wahnsinn! Oder?

Wer das für eine Erkenntnis hält, hat das Wesen der katholischen Kirche nicht verstanden. Die Diskrepanz zwischen Lehre und Leben ist nicht die Lebenslüge der katholischen Kirche. Es ist ihr Kern. Es ist genau das, was sie im Innersten zusammenhält. Die katholische Kirche scheinheilig, bigott? Aber natürlich! Immer gewesen – und wird sie immer sein. Genau dafür ist sie da. Und sie darf das auch um Gottes Willen nie ändern. Niemals.

Vor vielen, vielen Jahren, lange, bevor es den Spiegel und den Spiegel-Montag gab, hat das einer so brillant formuliert, dass man es am besten nicht paraphrasiert, sondern am Stück in Erinnerung ruft. In einer Zeit, als nicht alles, was man für einen Gedanken hält, gleich getwittert oder gepostet wurde, da schrieb Heinrich Heine seinen Essay „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“. (Bei Heines Klarheit der Gedanken und Kraft der Worte kann man übrigens jederzeit innere Einkehr suchen und Halt finden. Das erfrischt den Geist mehr als alle überflüssigen Aufgeregtheiten über die Manieren eines Markus Lanz. Aber das nur nebenbei.)

Dieser Aufsatz beschäftigt sich intensiv mit der Rolle Luthers und dessen Revolte gegen die katholische Kirche. Heine zollt „unserm großen Meister Martin Luther“ größten Respekt – um ihm dann nachzuweisen, dass er nichts verstanden habe, den Satan nicht,  „aber mehr noch als die Gesinnung des Teufels verkannte Martin Luther die Gesinnung des Papstes und der katholischen Kirche“, hebt Heine an. Luther habe „die letzten Gründe“ der katholischen Kirche „gar nicht begriffen“, und Achtung!,  dann kommt der Schlüsselsatz: „Denn Luther hat nicht begriffen, daß die Idee des Christentums, die Vernichtung der Sinnlichkeit, gar zu sehr in Widerspruch war mit der menschlichen Natur, als daß sie jemals im Leben ganz ausführbar gewesen sei; er hatte nicht begriffen, daß der Katholizismus gleichsam ein Konkordat war zwischen Gott und dem Teufel, d. h. zwischen dem Geist und der Materie, wodurch die Alleinherrschaft des Geistes in der Theorie ausgesprochen wird, aber die Materie in den Stand gesetzt wird, alle ihre annullierten Rechte in der Praxis auszuüben.“ Das sei ein „kluges System von Zugeständnissen“, die die Kirche „zum Besten der Sinnlichkeit“ gemacht habe.

Für diejenigen, denen das alles etwas abstrakt formuliert ist, sagt es Heine schließlich noch so: „Du darfst den zärtlichen Neigungen des Herzens Gehör geben und ein schönes Mädchen umarmen, aber Du mußt eingestehn, daß es eine schändliche Sünde war, und für diese Sünde mußt Du Abbuße tun. Daß diese Abbuße durch Geld geschehen konnte, war ebenso wohltätig für die Menschheit wie nützlich für die Kirche.“

Noch Fragen? Dann nachschlagen in: Heinrich Heine, „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“, erschienen 1833.

Heine lesen, nicht Bullshit liken. Schöne Woche noch.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.