Kurz und Bündig - Serhij Zhadan: Hymne der demokratischen Jugend

Serhij Zhada hat seinen neuen, furiosen Erzählband nach einem kommunistischen Jugendlied benannt.

Wenn Scheherazade nicht im Orient der Märchenzeit gelebt hätte, sondern im ostukrainischen Charkiw am Ende des zweiten Jahrtausends, dann würden ihre nächtlichen Erzäh­lungen vielleicht so klingen wie die von Serhij Zhadan. Prinzen gibt es bei ihm nicht, höchstens Studienabbrecher, die «Karawanen» haben statt Gold und Seide «einheimische Elektro- und Haushaltsgeräte» geladen, und der Geist in der Flasche ist eher hochprozentig als hilfsbereit.

«Da fällt mir folgende Geschichte ein», schreibt Zhadan in seinem Episodenband «Hymne der demokratischen Jugend»: Ein Kommilitone verliebt sich, leider ist seine Freundin «eine richtige Schlampe», sie brennt nach Berlin durch und heiratet einen Italiener. Der Kommilitone säuft sich zuerst fast tot, dann versucht er an ein Visum zu kommen und ihr hinterherzureisen – erfolglos. Am Ende ist sie eine Alleinerziehende und steht «in einem türkischen Fast food am Alexanderplatz», der Kommilitone geht zu Zigeunern nach Polen, «und blieb bei ihnen, geklaute Autos an die Russen verticken».

Oder die Geschichte von San und Goga, die in der alten «Butterbrot-Bar» einen Schwu­lenclub eröffnen, die einzige Marktnische, die in der Charkiwer Clublandschaft noch frei zu sein scheint. «Schließlich, warum eigentlich kein Schwulenclub?», meint Goga. «Dann sind wir wenigstens vor den Nutten sicher.» Kaum mit marktwirtschaftlichem Erfolg, dafür aber mit reichlich zweifelhaftem Ruhm findet der Club in einem chaotischen Showdown sein Finale. Wie hingegen die Geschichte von den Oschwanz-Brüdern mit ihrem all inclusive-Bestattungsunternehmen zu Ende geht, kann nicht so genau gesagt werden, denn schon folgt das Kapitel über die «Besonderheiten des Schmuggels von inneren Organen».

Nachdem Zhadans letzte zwei Prosa-Werke, «Anarchy in the UKR» und «Depeche Mode», ihre Titel im englischen Punk und New Wave fanden, greift die «Hymne der demokratischen Jugend» auf kommunistisches Jugendliedgut der fünfziger Jahre zurück. Heimweh nach dieser Vergangenheit transportiert allerdings höchstens das Buchcover – die Figuren sind genug mit ihrer Gegenwart beschäftigt. Ideologien sind hier nicht mehr als «bemalte Kulissen», erklärt der Erzähler, «die handelnden Personen sind in diesem Fall viel interessanter als der soziale Hintergrund, und ihre Improvisationen – und im Grunde war alles Improvisation – sind wichtiger».

Serhij Zhadan ist in Deutschland neben Juri Andruchowytsch einer der bekanntesten ukrainischen Gegenwartsautoren. Aus Zitaten von Lyrikern und Improvisationstalenten wohl aus seiner eigenen Jugend – alle ungefähr dreißigjährig – setzt er einen wüsten Reigen zusammen, gleichermaßen dekoriert mit Skurrilitäten und Klischees. Er versetzt alles durch seine prollig-poetisch durchrhythmisierte Sprache in so hohe Rotation, dass es einem hin und wieder beinahe die Schuhe auszieht. «Sekundotschka» möchte man dann rufen, wie der Grenzer beim Anblick einer suspekten Passantin, und dem allergröbs­ten Klamauk die Einreise in die Erzählungen verweigern. Aber die «Hymne der demokratischen Jugend» ist kein Wunschkonzert und Serhij Zhadan kein Märchenonkel – dann muss man da wohl durch. Und dank der tragenden Sprachkraft geht es auch gut ohne Schuhe.

 

Serhij Zhadan
Hymne der demokratischen Jugend
Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr.
Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009. 185 S., 19,80 €
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