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Sekundenliebe - Monogam, wie lahm

Kolumne: Stadt, Land, Flucht. Nasskaltgraues Dezembergemüt? Der richtige Moment für die Sekundenliebe. Man findet sie im Buchladen oder an der nächsten roten Ampel

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Schrieb mir neulich meine Freundin, sie habe sich eben verliebt. In den Verkäufer aus der Buchhandlung, den mit den feschen Cordhosen. Nun gehe es aber schon wieder. Sie wisse ja schließlich, dass sie mit ihrem Ehemann den Besten daheim habe. Aber ein bisschen verunsichert hatte sie das Ganze schon. Ob ich das kenne? Klar, schrieb ich und erzählte von damals an der roten Ampel in Berlin. Ich auf dem Fahrrad, er am Zebrastreifen. Sekundenliebe. Ein Blick. Ein Gedanke. Ach, was hätte aus uns werden können... Ich fuhr dann weiter – nach Hause zu meinem Freund, der heute mein Mann ist.

Monogamie – „fetischisierte Norm des Paares“?


Sekundenliebschaften sind für eine Beziehung nicht gefährlich. Sie sind nur ein Zeichen dafür, dass wir noch leben. Ich für meinen Teil monogam. Aber das ist ja auch nicht mehr der letzte Schrei, wie man liest. Spätestens seit Daniel Bergers vielbeachtetem Buch „Die versteckte Lust der Frauen“ wissen wir, dass Frauen von Natur aus promiskuitiv veranlagt sind. Passend dazu konstatierte Dietrich Klusmann vom Institut für Sexualforschung der Uniklinik Hamburg-Eppendorf bereits vor Jahren, das sexuelle Interesse von Frauen an ihrem Partner flaue auf natürliche Weise nach einigen Jahren ab – das der Männer dagegen nicht. Nun schimpfte die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken in der Zeit auch noch über die „fetischisierte Norm des Paares“. Allerdings fragt man sich, was eine Professorin für Romanische Philologie qualifiziert, zu einem sozialpsychologischen Thema derart ausgiebig ihren Senf zu geben. Eigentlich war man sowieso bei der Lektüre des gesamten Dossiers verwundert ob der Frage, wer denn Angst habe „vor jungen, erfolgreichen und gut vernetzten Frauen“. Die Antwort hätte man den klugen Leuten von der Zeit in einem Satz zugetraut: „Nur Idioten haben Angst vor solchen Frauen“.

Aber ich schweife ab. Monogamie also ist gestrig. Sie macht bei uns Säugern auch keinen Sinn, wenn man es rein biologisch betrachtet: Das Muttertier schließlich kann in der ersten Lebenszeit des Babys kaum Hilfe beim Stillen vom Erzeuger erwarten. Neuen Nachwuchs kann der mit ihr aber auch nicht zeugen, was ihn in jener Zeit ziemlich überflüssig macht. Vögel dagegen profitieren von der eheähnlichen Zweisamkeit – kann sie doch schon wieder Eier legen während er sich als Ernährer um die Nachkommen kümmert.

Bei Primaten können nur treue Männchen ihren Nachwuchs schützen


Warum also sucht der Mann in einer Säugerbeziehung nicht das Weite und eine neue Partnerin, sobald die Alte mit Stillen beschäftigt ist? Es ist nämlich so, dass sich bei etwa einem Viertel aller Primatenarten trotz der biologischen Widrigkeiten ein monogames Miteinander durchgesetzt hat. Dem Grund dafür sind jetzt Wissenschaftler um Christopher Opie vom University College London auf die Spur gekommen. Ausgewertet haben sie das Verhalten von 230 Primaten – ihre Beziehungen, die Versorgung des Nachwuchses und die Häufigkeit von Kindstötungen. Die Forscher erfuhren, dass Männchen dazu neigen, den Nachwuchs ihrer Vorgänger zu töten, damit die Weibchen schneller wieder schwanger werden. Nur treue Männchen also können ihren Nachwuchs schützen.

Zum Glück funktionieren Menschen noch ein bisschen anders als Tiere und es ist sicher überspitzt zu folgern, dass nur treue Ehemänner ihre eigens behüteten Kinder auf einen guten Weg bringen. Trotzdem ist die Monogamie besser als ihr Ruf, finde ich. Wer es also – ob trotz oder wegen der Kinder – mit ihr versuchen will, dem sei die risikoarme Sekundenliebe ans Herz gelegt. Die nämlich kann einen grauen Dezembertag ganz schön aufmotzen.

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