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(picture alliance) Ein Roman über die irrige Suche nach dem Lebensglück

Roman „Die Liebeshandlung“ - Schwärmen, Irren, Seufzen und Eifern

In Jeffrey Eugenides’ Roman „Die Liebeshandlung“ wird eine schon totgesagte Erzählform wieder quicklebendig: der viktorianische Liebesroman. Eine Rezension

„Ich fasse es nicht, dass du verheiratet bist!“ Das bekommt Madeleine im New York der achtziger Jahre von einer Freundin zu hören: wie altmodisch, wie rückschrittlich! Für etwas altbacken könnte womöglich auch das Unterfangen von Jeffrey Eugenides selbst gehalten werden: Er widmet seinen neuen Roman „Die Liebeshandlung“ einer Campus-Romanze. An der Brown University, einem Elite-College im Osten der USA, schwärmt Mitchell, ein grüblerischer Student der Religionswissenschaften, für die Literaturstudentin Madeleine, wunderhübsch und noch unverheiratet. Sie wiederum verliert ihr Herz an den charismatisch-unnahbaren Leonard, Student der Biologie und Philosophie. [gallery:Cicero Umfrage: Die wichtigsten Schriftsteller 2011]

Die Turbulenzen um Liebes-, Heirats- und Lebensglück, das Bemühen der drei Studenten, einen Weg in das Leben nach der Uni zu finden, entfalten sich auf üppigen sechshundert Seiten. Mitchells Versuch, seinem vergeblichen Schwärmen für Madeleine als Weltreisender auf der Suche nach religiöser Erfüllung zu entfliehen, Leonards Kampf gegen die manische Depression, Madeleines Versuch, selbstlos bei ihm zu bleiben – das ist ein Handlungs-Aufgebot, mit dem Eugenides dem dreibändigen viktorianischen Liebesroman, dem „triple-decker“, eine tiefe Reverenz erweist. Aus der Nähe betrachtet, erscheint diese ehrerbietige Berufung auf die Literaturgeschichte allerdings weniger nostalgisch, sondern als Teil einer faszinierenden erzählerischen Strategie.

Ein Ausgangspunkt dieser Strategie ist es, Madeleine, eine Verehrerin der Literatur des neunzehnten Jahrhunders, in ihrem letzten Studienjahr eine Abschlussarbeit über den „marriage plot“ schreiben zu lassen: über den Dreh- und Angelpunkt der großen englischen Liebesromane von Jane Austen oder George Eliot, die um die alles entscheidende Frage kreisten, wer wen am Ende unter welchen Umständen heiraten wird. In ihrer Arbeit stellt Madeleine fest: „Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts war es mit dem marriage plot vobei.“ In seinem Roman, für den „die Liebeshandlung“ immerhin titelgebend war, probiert Jeffrey Eugenides denn auch zum Glück gar nicht erst, an diese Tradition anzuknüpfen.

Selbst seine Romanfiguren wissen, dass jegliches Nacheifern zwecklos wäre. Doch gibt gerade dieser Hinweis auf die Unmöglichkeit, heute noch eine Liebes- und Heiratsgeschichte zu erzählen, der Geschichte um die drei Studenten ihre Besonderheit und Größe. Ihr hoffnungslos hoffnungsvolles Sehnen nach Liebe spiegelt sich in der Sehnsucht des Erzählers, vielleicht doch noch über dergleichen schreiben zu können.

Seite 2: Liebe im Semiotikseminar

In seinem vorhergehenden Roman „Middlesex“, für den Eugenides den Pulitzer-Preis erhielt, spannte der Autor noch einen weiten erzählerischen Bogen. Während sich dort die Handlung über Generationen und Kontinente hinweg erstreckte, konzentriert er sich in der „Liebeshandlung“ nun auf das Campusleben und die Phase unmittelbar danach. Geraten die Figuren von „Middlesex“ 1967 unter anderem in den gewalttätigen Aufruhr und die Rassenunruhen in den Straßen von Detroit, so ist in der „Liebeshandlung“ das einzig Revoltenartige ein Umschwung in der Theorie, eine Erneuerung der Literatur-Interpretation: „Semiotik war das Erste, was irgendwie nach Revolution schmeckte.“

Auf dem Campus halten Anfang der achtziger Jahre die Ideen französischer Theoretiker Einzug. Namen wie Lyotard, Foucault und Baudrillard zirkulieren wie Geheimcodes. Sie sind die Schlüssel zu einer neuen Wissenswelt, in der alle Eindeutigkeiten aufgehoben sind und der Suche nach gesicherten Bedeutungen die Konstruiertheit aller Sprache entgegensteht. „In Büchern geht es nicht ums wirkliche Leben. Bücher sind Bücher über andere Bücher“, erklärt ein Kommilitone im Seminar „Semiotik 211“ – Madeleine ist erschüttert. Bis sie beginnt, Roland Barthes’ „Fragmente einer Sprache der Liebe“ zu lesen: Ausgerechnet im Semiotik-Kurs findet sie ein Buch, das eben doch das wahre Leben zu beschreiben scheint, besser noch: ihr eigenes. Madeleine liest dort von der Einsamkeit des Liebesdiskurses, der Verzauberung, die die Erwartung eines Telefonanrufs auslöst – und dies ausgerechnet, während sie auf einen Telefonanruf wartet, und zwar von Leonard, den sie ausgerechnet im Semiotik-Seminar kennengelernt hat.

Eugenides tritt mit „Die Liebeshandlung“ den Beweis an, dass die Liebe stärker ist als ihre Dekonstruktion und der Erzählwunsch stärker als das Wissen darum, dass er eigentlich nicht mehr realisierbar ist. Mit leicht ironischer Distanz erzählt Eugenides aus den wechselnden Blickwinkeln der drei Studenten, die einzelnen Handlungsfäden werden eng verwoben mit den Argumentationsfiguren wissenschaftlicher Diskurse. Doch sind diese Verknüpfungen keineswegs blutleere akademische Artistik: Gerade durch ihre offensichtliche Unterfütterung mit solidem Fachwissen wird „Die Liebeshandlung“ noch einmal lebendiger, durch die ironische Erzählhaltung nahbarer. Die klassische Frage, wer mit wem wie glücklich werden wird, gewinnt so ganz unerwartet an neuer Spannkraft. Wenn man so will, ist dieser Roman ein dreifacher Rittberger auf dem Glatteis der großen Liebesgeschichte – ohne dass diese Art von Eiskunstlauf hier je, wie die Sportart selbst, altbacken wirkte.

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