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(picture alliance) Junk Food muss trotz aller Warnungen erlaubt sein

Deutsche Küche - Schlechtes Essen hilft unserer Kochkultur

Landauf, landab fordern Spitzenköche und Erzieher die Rückkehr zur guten, alten Tradition. Aber soll die deutsche Küche weiterhin ihr internationales Niveau halten, muss es auch erlaubt bleiben, schlecht zu essen

Pluralismus bedeutet Zwist. Zu jedem Thema gibt es konträre Meinungen und Standpunkte, die Verwirrung erzeugen, gerade auch wenn es ums Essen geht. Ob Genfood, Grillverbot im Park oder die Konsequenzen der Massentierhaltung – mit der Nahrung kommen Zank und Hader auf den Tisch. Vielen schmeckt der ständige Streit nicht. Und so scharen sich um den Herd der offenen Gesellschaft immer mehr Kritiker.

Grund zur Klage gibt es viel: Beispielsweise wird einerseits über Kochsendungen und -bücher hergezogen, weil sie einem im Grunde belanglosen Thema ein Forum verschaffen, auf dem eigentlich die Res publica verhandelt werden sollte, und andererseits wird gejammert, dass die Esskultur in der Mülltonne landet. Tiefkühlpizza, Schokoriegel und Hamburger würden den Geschmackssinn des ganzen Volkes abstumpfen und sehr viel mehr als nur die Tischkultur verkommen lassen.

Es herrscht kein Mangel an Experten, die konstatieren, dass Kinder den authentischen Geschmack einer Möhre nicht mehr kennen. Dabei, so behaupten Kritiker, gingen die Erwachsenen als schlechtes Beispiel voran und würden von Käpt’n Iglo ins seichte Gewässer bequemer Instantgerichte gelotst. Für Untergangspropheten sind Ketchup und Glutamat nur Beispiele einer Erosion der Esskultur, die irgendwann die Zivilisation als Ganzes zerstören wird. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, fordern Spitzenköche und Erzieher Geschmacksschulen, Subventionen und Reglements für eine Rückkehr zu traditionellen Zubereitungen. Am liebsten wäre ihnen eine Instanz, die ein für alle Mal den Geschmack regelt – und in eine Ära zurückkehrt, in der die Produkte noch ehrlich waren.

Seite 2: Die Guillotine brachte die Haute Cuisine erst in Gang

Doch die Sehnsucht nach autoritärer Geschmacksherrschaft übersieht, dass es erst die Demokratie war, die den Genuss auf eine hohe und breite Basis gestellt hat. Die Küche von Königen und Alleinherrschern ist allzu lange von Höflingen und verklärenden Nachkommen in freundliches Licht gestellt worden. Berichte von Zeitgenossen verraten vor allem eins: Es gab viel, das meistens grob gegrillt wurde. Vor allem die Opfer des Krieges gegen das Wild, den der Adel seit Jahrhunderten führt, dienten als ausreichendes Alleinstellungsmerkmal gegenüber der einfachen Küche der Untertanen. Wenn mit exotischen Zutaten Pracht entfaltet werden sollte, diente das selten dem Gaumen, sondern eher der Repräsentation. Die Tatsache, dass eine Händlertochter aus Florenz den französischen Hof erst kulinarisch kultivieren musste, kann als Indiz dafür gewertet werden, wie barbarisch die Zustände vorher waren.

Die Haute Cuisine unserer Zeit konnte aber erst entstehen, als die Guillotine in Gang gekommen war. Nach der Revolution kam mit der Nationalversammlung und ihren Deputierten aus den Regionen Frankreichs eine Vielfalt von Produkten und Techniken in die Hauptstadt, und es begann eine gegenseitige Befruchtung, die den Ruf der französischen Küche begründete. So sind es vor allem die verfeinerten Rezepte aus der ländlichen und ärmlichen Küche, die heute noch den Grundstock der Esskultur bilden. Dass das Restaurant als Speisezimmer für Gäste ohne Titel und Einladung auch erst im Zeitgeist der Aufklärung entstehen konnte, liegt auf der Hand.

Doch man muss nicht Jahrhunderte in die Geschichte zurückschmecken, um zu erkennen, dass Freiheit und Feinheit keinen Gegensatz bilden. Schon ein Blick auf die Nachkriegszeit in Deutschland reicht vollkommen aus. Noch zu Beginn der siebziger Jahre gab ein Führer für die feine Küche ein dünnes Büchlein ab, im Supermarkt konnte man froh sein, wenn es Auberginen oder Parmesan gab, und im Fernsehen wurde Toast Hawaii zubereitet. Erst kulinarische Kontroversen machten die Defizite in der deutschen Küche kenntlich, sorgten für Öffentlichkeit und schließlich auch für Abhilfe. Gerade weil es Streit gab, kam man auch auf intelligente Lösungen, die die neue deutsche Küche zu einer internationalen Adresse gemacht haben. Dazu gehört natürlich auch, dass es weiterhin erlaubt bleibt, schlecht zu essen.

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