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(picture alliance) Lars Eidinger zeigt vollen Körpereinsatz – immer

Schauspieler Lars Eidinger - Einsatz mit ganzem Körper

Er stellt mit seinem Körper so ziemlich alles an, um sich beim Publikum unvergesslich zu machen: Wie es Schauspieler Lars Eidinger schafft, sich 150 Mal an einen Punkt zu bringen, an dem er fast im Jenseits ist

Als wir uns das erste Mal trafen, Anfang 2007, war Lars Eidinger ein waschechter Theaterschauspieler. Mit psychologischem Gespür konnte er nicht nur aus einer peinlichen Figur wie Ibsens Jörgen Tesman einen erstaunlich sympathischen Mitte-Karrieristen machen. Er stellte auch mit seinem Körper so ziemlich alles Erdenkliche an, um sich beim Publikum unvergesslich zu machen: Er wälzte sich neben Corinna Harfouchs Phaidra auffällig unflätig auf dem Flokati oder brachte im orgiastischen „Sommernachtstraum“ ganz vorn an der Rampe sein Geschlechtsteil zum Sprechen.

Seitdem ist viel passiert. Doch der 36‑Jährige strahlt noch immer dieselbe entwaffnende Offenheit und Mitteilungsfreude aus wie vor fünf Jahren. Im Eisladen um die Ecke der Berliner Schaubühne lässt er sich von einer Kundin in ein Gespräch verwickeln, und am Telefon kümmert er sich um Karten für Bekannte, die ihn heute Abend noch als „Hamlet“ sehen wollen. Ein sympathischer und verbindlicher Mann, Typ großer Junge, dem man sofort abnimmt, dass er am Vorabend vor seinem Benefizauftritt im sparbedrohten Berliner Grips-Theater noch einmal höllisch nervös war: „Einen Moment lang dachte ich, wenn ich das jetzt verkacke, kann ich nie wieder ins Grips-Theater.“

Natürlich hat Eidinger nichts „verkackt“, im Gegenteil: Sein furioses Solo als Slacker-Papa, der seine Disneyland-süchtigen Kids nachts in den Prado schleusen will (in Rodrigo Garcias Monolog „Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch“), traf im aufklärerischen Kindertheater auf ein begeistertes Publikum. Davor und danach hat Eidinger in der „Langen Nacht der Theater“ je eine Stunde als Dänenprinz auf der Bühne getobt und geweint, am nächsten Morgen den neuen Michael-Haneke-Film mitsynchronisiert und Frau und Tochter zum Sonntagsausflug in den Preußenpark begleitet. Eigentlich unfassbar, dass er jetzt, kurz vor der nächsten dreistündigen Vorstellung, entspannt im Interview plaudert. Und eine Woche später, nach einer anstrengenden Drehwoche, die Eröffnungsnacht des Theatertreffens am DJ-Pult zum Tag macht. Das alles ohne Augenringe.

Eidinger war immer ehrgeizig und fleißig und ein kühner Zugreifer, wenn sich günstige Gelegenheiten boten. Der Sohn einer Kinderkrankenschwester und eines Verkaufsingenieurs aus Berlin-Tempelhof spielte schon als Teenager in den TV‑Clips der berühmt zupackenden SFB-Jugendsendung „Moskito“ mit. Abitur, Ernst-Busch- Schauspielschule mit Nina Hoss und Devid Striesow im selben Jahrgang, danach fast nahtloser Übergang ins Engagement an die Schaubühne, wo er bis heute jahresweise verlängert und um den Globus tourt: Eidingers klassischer Theaterweg ist bislang deutlich an Thomas Ostermeier geknüpft. Mit Erfolg – in Paris noch mehr als in Berlin. Dort, wo das gesprochene Wort auf der Bühne den höchsten Wert hat, ist der Ganzkörpereinsatzmann Eidinger ein Star, vor dem vor Ehrfurcht schlotternde Schauspielschüler um Autogramme anstehen.

Und doch hat sich Eidinger von der Schaubühne und vom Theater emanzipiert, allen voran 2009 durch Maren Ades preisgekrönten, extrem erfolgreichen Indie-Film „Alle anderen“. Seither leitet seine Agentur ihm jede Woche ein Drehbuch weiter, einige Angebote hat er angenommen – zum Beispiel die Hauptrolle in „Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden“, einem Film über den expressionistischen Dichter Georg Trakl und dessen inzestuöses Verhältnis zu seiner Schwester Margarethe, der dieser Tage in die Kinos kommt. Im September wird er in Hans-Christian Schmids Familiendrama „Was bleibt“ zu sehen sein. Gerade war er zum ersten Mal beim Deutschen Filmpreis, um festzustellen: Er gehört dazu. Für Eidinger ist das immer noch ein großes Glück, ein fast kindlicher Triumph, und es klingt eher rührend als eingebildet, wenn er davon erzählt, wie Jürgen Vogel anfing, ihn zu grüßen („einfach so“).

Doch sein Zugriff auf Rollen – auch auf die im Film – ist immer noch ganz klar der eines Theaterschauspielers, für den kein Einsatz zu haarig ist. Bei den Dreharbeiten zu „Goltzius and The Pelican Company“ von Altmeister Peter Greenaway habe es so einen Moment gegeben, wo er ganzkörperrasiert, nackt, nur mit einer Schleife um den Penis in einem Schrank gesessen und auf seinen Einsatz gewartet habe: „Was machst du eigentlich hier?“, habe er sich da gefragt, und berichtet im nächsten Atemzug, wie ihn ein italienischer Kollege um seine Fähigkeit zur spontanen Erektion beneidet habe. „Ich bin einfach in der Situation! Und wenn es darin irgendetwas Erregendes gibt, dann erregt mich das auch tatsächlich. Ich kann mich so konzentrieren, dass ich verstehe, warum die Figur traurig ist, und dann weinen. Es gibt nichts, was man nicht spielen kann.“

Dieses Erleben der Situation, erzählt Eidinger, sei allerdings auch unglaublich anstrengend, „sich 150 Mal bei Hamlet an den Punkt zu bringen, wo man fast im Jenseits ist, das macht schon sehr, sehr müde“. Und so langsam schleichen sich doch Töne ins Gespräch, die das lange Hoch von Lars Eidinger nicht ganz so leichthändig erscheinen lassen, wie es sich von außen darstellt. Seine Familie sieht er selten, er spricht von der Notwendigkeit, sich neu aufzuladen. Dabei ist vollkommen klar, dass er noch sehr viel vorhat. In einem Lars-von-Trier- Film mitspielen zum Beispiel. Es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn das nicht auch noch klappt.

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