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(picture alliance) Florian Henckel von Donnersmark

Florian von Donnersmarck - Sag niemals „I can’t!“

Sein Film „Das Leben der Anderen“ ist ein Welterfolg. Jetzt hat er den Oscar.

Ein gewisser Fetischismus ist nicht zu leugnen“, scherzt von Donnersmarck über die Platzierung seiner Trophäensammlung ganz oben auf dem Bücherbord: Bayerischer Filmpreis, Deutscher Filmpreis, Europäischer Filmpreis, die Ernte eines einzigen Jahres. Mit dem Stasi-Thriller „Das Leben der Anderen“ begeisterte der Regisseur 2006 das Kinopublikum. Und gab der Kritik gleichzeitig Rätsel auf. Ausgerechnet einem jungen, kaum 30-jährigen Westdeutschen war es gelungen, der ganz alltäglichen Erniedrigung des DDR-Überwachungsstaates künstlerisch gerecht zu werden. Wie konnte er nur?

Die Komplexität der menschlichen Psyche, ihre Verwerfungen und Sehnsüchte sind ihm auch theoretisch lange vertraut. Er war dreizehn, als er Georg Groddecks „Buch vom Es“ geschenkt bekam – es war der Beginn einer bis heute andauernden Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse. Gerade zu Freuds Schrift „Über das Unheimliche in der Kunst“ kehre er immer wieder zurück. Eine Couch gibt es nicht in dieser Bibliothek, nicht einmal einen Lesesessel, nur einen riesigen Schreibtisch. Für ihn sind Arbeitszimmer und Bibliothek untrennbar miteinander verbunden, auch wenn in der großzügigen Berliner Altbauwohnung genug Platz für ein separates Büro wäre.

Wir blinzeln an den dunklen Holzregalen entlang. Der Blick bleibt an Hermann Korffs „Geist der Goethezeit“ haften, würdig und zerlesen. Friedrich Hayeks „Weg aus der Knechtschaft“ und die bereits vom Fleddertod bedrohten Memoiren Henry Kissingers bezeugen robuste Freiheitsliebe. Immer wieder Werke Stefan Zweigs und Arthur Schnitzlers, lose verteilt, ohne dass ein Ordnungsprinzip erkennbar würde.

„Eine Bibliothek muss Luft und Raum haben, wenn alle Bücher ganz eng gepackt zusammenstehen und dann noch eine klare Reihenfolge haben – alphabetisch, chronologisch –, dann kann man ja unmöglich je wieder frei denken!“, nimmt von Donnersmarck Fahrt auf. Seine Bibliothek folge daher eher einem „Flux-Prinzip“, je nach Arbeitsschwerpunkt und Fragestellung würden Bücher neu zu Gruppen angeordnet, hinzugefügt oder konsequent aussortiert.

Flux, diese Haltung prägt nicht nur von Donnersmarcks Bibliothek, sondern auch seinen Werdegang. Er wuchs wechselnd in New York, Köln und Berlin auf, machte schließlich in Brüssel Abitur. Es folgte ein Studium der Philosophie und Volkswirtschaft in Oxford, erst danach schrieb er sich an der Münchner Filmhochschule für Regie ein. Und zwischendurch erwarb er auch noch ein Diplom als Russischlehrer in St. Petersburg.

Kein Wunder also, dass die Russen in seiner Bibliothek besondere Präsenz zeigen. Puschkin, Tolstoi, Tschechow, alle in edlen, sichtbar genutzten Gesamtausgaben, alle im russischen Original. Tolstoi ist ihm besonders lieb. Bereits als er ein kleiner Junge war, habe seine Mutter ihm „Anna Karenina“ vorgelesen – er hält kurz inne, fragt sich, ob das nicht ein wenig zu „behütet“ klingt –, jedenfalls sei es der Stil, der ihn an diesem Autor besonders begeistere. Sprache, Sprachen, darauf legt er Wert.

Prousts „Recherche“, als französische Taschenbuchausgabe, bildet einen weiteren Schwerpunkt. Massiv vertreten zeigt sich auch Thomas von Aquin mit seiner „Summa Theologiae“ in weit über 20 Bänden. Allerdings, gibt Donnersmarck zu, „ist der Thomas eigentlich Hochstapelei“. Schließlich habe er „nur zwei, drei Bände davon wirklich durchgearbeitet“.

Vergeblich bleibt die Suche nach deutscher Gegenwartsliteratur. Der Blick auf die Bücherwand erweckt den Eindruck, als sei seit fünfzig Jahren kein deutschsprachiges Buch mehr erschienen. Zwar lese er hin und wieder im Buchladen einen Roman an, aber in den vergangenen Jahren habe er sich einfach „nicht zum Kauf entschließen können“, sagt Donnersmarck ohne Hochmut und vor allem ohne Scham, vielmehr wie ein Mensch, der seine Ansprüche kennt und ernst nimmt. „Ein Buch zu lesen oder einen Film anzusehen, das ist ja letztlich so, als wenn man sich mit einer Frau einlässt.“

Bücher und Frauen, ein heikler Vergleich für einen verheirateten Vater zweier Kleinkinder. Ergreift ihn Leselust nach Neuem, wird der Jungregisseur jedenfalls eher in Antiquariaten fündig. Besonders ersehnten Exemplaren spürt er auch in Katalogen nach, so Lion Feuchtwangers Josephus-Trilogie, die er mittlerweile in den Originalausgaben besitzt. „Achten Sie mal auf die Erscheinungsorte“, fordert er mich auf und holt die Bände aus dem Regal. „Der jüdische Krieg“ von 1932 erschien bei Propyläen in München, „Die Söhne“ von 1938 dann im Amsterdamer Exilverlag Querido, „Der Tag wird kommen“ von 1945 schließlich in Stockholm bei Bermann-Fischer. Die Ausbreitung der Nazi-Diktatur, erzählt in Erstausgaben.

Selbst in diesen kostbarsten Sammlerstücken hinterließ Donnersmarcks Bleistift Kommentare und Notizen – Spuren eines aktiven Lesers, dem es bei der Lektüre vor allem um die Dynamisierung des eigenen Selbst geht. Und wie in jeder Bibliothek gibt es sie natürlich auch hier, hinten links, ganz im Eck, jene Sektion von Büchern, die man nur höchst ungern einer anderen Menschenseele zeigt. Nicht ohne Widerstand gibt der Hausherr den Blick frei: Lebenshilfe und religiöse Handorakel, so weit das Auge reicht! Glücksregeln des Dalai Lama teilen sich das Bord mit Josemaría Escrivás „Der Weg“, Optimismuspapst Dale Carnegie („Sorge dich nicht, lebe!“) ist gleich mehrfach vertreten, da darf natürlich auch Stephen Coveys „Seven Habits of Highly Effective People“ nicht fehlen. Offenbar führt hier eine Interessenlinie von der frühen Beschäftigung mit der Psychoanalyse hin zu pragmatischeren Formen der Selbstoptimierung. Coveys Unterscheidung zwischen „wichtig und dringlich“, erklärt Donnersmarck, sei ihm auch bei seiner eigenen Arbeit von großem Nutzen gewesen. Denn eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, das bedeute vor allem, sich „nicht von den leicht erreichbaren Zielen verführen und ablenken zu lassen“.

Drei lange Jahre hat er am Drehbuch für seinen Film gearbeitet, jedes Detail des DDR-Überwachungsapparates minutiös recherchiert, immer wieder an einzelnen Sätzen gefeilt. Schmal seien die elterlichen Zuwendungen in dieser Zeit geworden, bis man ihn – Sproß eines sechshundert Jahre alten Adelsgeschlechts – „fast schon enterbt“ hatte und er wegen finanzieller Engpässe sogar seine Philosophiesammlung hatte verkaufen müssen. Das Risiko war hoch: Einen Verleih hatte sein aufwändiges Projekt selbst bei Drehbeginn noch nicht gefunden. „Zu anspruchsvoll, zu ernst“, mit solchen Argumenten lehnte man einen Stasi-Drama ab, in dessen Zentrum „Die Sonate vom guten Menschen“ steht. Für von Donnersmarck bereits damals ein Beweis für die „grandiose Unterschätzung des deutschen Filmpublikums“.

Für ihn bleibt die entscheidende Frage: „Wie kann es gelingen, kompromisslos anspruchsvoll zu schreiben und dabei dennoch nicht nur sich, sondern auch den anderen zu geben, wonach sie verlangen?“ Büchern, die diese Frage beantworten, hat er ein eigenes Regal gewidmet. Da stehen sie, eng an eng: Nabokovs „Lolita“, Jane Austens „Pride and Prejudice“, Bram Stokers „Dracula“, Ionescos „Kahle Sängerin“. Die „Buddenbrooks“ und Flauberts „Madame Bovary“, aber auch Stephen Kings „-Carrie“ und Ayn Rands „The Fountainhead“ finden Aufnahme in von Donnersmarcks Kanon.

Es ist Zeit. Der nächste Termin. Morgen geht der Flieger nach Los Angeles. Zwei Stunden in einem Raum mit von Donnersmarck, das ist, als ob man sich Hand in Hand einen Wasserfall hinunterstürzt.

Bei den wenigen Büchern, die eine Verbindung zur Filmwelt aufweisen, stach Arnold Schwarzeneggers Biografie „The Education of a Body Builder“ hervor. Donnersmarck bekam es von seinem älteren Bruder geschenkt, der ebenfalls Regisseur ist. Die Widmung zitiert Schwarzeneggers Mahnung, es gebe nur einen Gedanken, den man niemals denken dürfe, und der sei: „I can’t.“

Wolfram Eilenberger ist Philosophischer Korrespondent bei Cicero. Er schrieb das Buch „Philosophie für alle, die noch etwas vorhaben“ (Berlin Verlag)

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