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Rote-Khmer-Terror - Schlichte Worte für das Unfassbare

Der Künstler Rithy Panh dokumentiert den Terror der Roten Khmer, unter dem er selbst litt  

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Buis, Claire-Lise

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Er spricht wie jemand, der nicht vergisst. Im Französischen – seiner Sprache, seit er Kambodscha verlassen hat – benutzt Rithy Panh oft die Präsensform, selbst wenn die Fakten Jahrzehnte zurückliegen. Auffällig sind auch die leise Stimme und das sanfte Lächeln des ruhigen Mannes. Mit der Vergangenheit hat er zwar nicht abgeschlossen, sie scheint ihn jedoch nicht mehr zu quälen.
 
Der Künstler Rithy Panh
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Der Filmer und Schriftsteller, dessen Buch „Auslöschung“ nun in deutscher Übersetzung vorliegt, gehört zu den Opfern der Roten Khmer. Als 1975 die Clique von Pol Pot in Kambodscha an die Macht kommt, ist Rithy Panh elf Jahre alt. Mit seiner Familie muss er am 17. April Phnom Penh verlassen. Für das „neue Volk“ aus der urbanen Mittel- und Oberschicht beginnen Vertreibung, Zwangsarbeit, Hungersnot und – für rund 1,8 Millionen Menschen – eine Reise in den Tod. Der kleine Rithy sieht, wie sein Vater die Nahrungsaufnahme verweigert und stirbt. Der Lehrer will sich dem kommunistischen Terror, der sogar das Tragen von Brillen verbietet, nicht unterwerfen. Rithy Panhs Mutter, die Schwester und die Neffen, überleben ihn nur um wenige Monate. 1979 erreicht der zum Waisen gewordene Junge ein Flüchtlingslager an der thailändischen Grenze und darf nach Frankreich zu den mittlerweile ausgewanderten Brüdern fliehen.
 
„Auslöschung“ ist die eindrucksvolle Erinnerung an dieses dunkle Kapitel der Weltgeschichte. Panh, der sich als Dokumentarfilmer einen Namen gemacht hat, befindet sich mitten in Dreharbeiten zu dem 2003 veröffentlichten Film „S21: Die Todesmaschine der Roten Khmer“, als er den Schritt zur Literatur wagt. Seine Interviews mit Duch, dem Chef des berüchtigten Gefängnisses S21, bereiten ihm schlaflose Nächte. Bei eigentlich harmlosen Arztbesuchen überfallen ihn Bilder der dort als besonders sadistische Tötungsmethode eingesetzten Blutentnahmen. „Es ging mir nicht gut“, erzählt er heute. Der Schriftsteller Christophe Bataille, der als Lektor beim Pariser Verlag Grasset arbeitet, schlägt ihm vor, die Erfahrungen zu Papier zu bringen. Weil die Literatur mehr Intimität zulässt? „Im Kino kann man das Zögern, das Schweigen der Täter oder der Opfer zeigen. Doch einiges kann man nicht filmen.“ So macht zum Beispiel die Kamera an der Türschwelle Halt, wenn ein ehemaliger Peiniger vor Panhs Kamera eine Zelle von S21 betritt.
 

Das Buch ist nie aufdringlich, larmoyant oder schaurig. Die Ko-Autoren Panh und Bataille finden schlichte Worte, um das Unfassbare zu beschreiben. Bedrückt erfährt man von den letzten Stunden des Vaters oder dem Appell der Mutter, die zum Abschied ihrem am Fuß erkrankten Sohn zuruft: „Du musst gehen im Leben, Rithy. Was auch passiert, du musst gehen.“ Ergreifend ist die Szene, in der eine Soldatin ihn beim Singen eines verbotenen Kinderlieds erwischt. Sie ist davon so gerührt, dass sie ihn nicht bestraft. Der junge Rithy verliert weder Lebensmut noch Fantasie: Trotz Todesangst erzählt er gerne Geschichten, zeigt sich erfinderisch, um zu überleben. Nach der Lektüre versteht man Claude Lanzmann besser: „Ich habe Rithy Panh bisher für seine Arbeit bewundert“, sagte der Regisseur von „Shoah“ nach der Veröffentlichung des Buches in Frankreich, „nun hat sich diese Bewunderung in eine tiefe Freundschaft verwandelt.“

Wenn „Auslöschung“ durchaus mit Erinnerungen an den Holocaust, mit Primo Levis „Ist das ein Mensch?“ etwa, verglichen werden kann, liegt es daran, dass das Buch über das Persönliche hinaus einen Einblick in das Terrorsystem der Roten Khmer gewährt. Die dämonische Kraft der Ideologie wird durch das Gespräch mit Duch deutlich – dem klugen Henker, der gewissenhaft mordete und vor der Kamera lacht oder französische Gedichte deklamiert. „Duch bringt einen zum Zweifeln darüber, was menschlich ist“, erinnert sich Panh und bedauert, dass Duch heute noch eine Art Faszination ausübt, sogar auf Intellektuelle. „Menschen, die von ihren Ideen besessen sind und Geschichte schrei­ben wollen, findet man überall und immer wieder“, fügt der Schriftsteller hinzu.

Dennoch müsse die Erinnerungsarbeit vorangetrieben werden. Der Filmemacher, der in Phnom Penh ein audiovisuelles Dokumentationszentrum mit gründete, freut sich über neue Entwicklungen in seiner Heimat: „Der Massenmord wird nun in Schulen thematisiert. Die junge Generation fragt nach.“ Auch das 2006 eingesetzte Rote-Khmer-Tribunal, das Duch zur lebenslangen Strafe verurteilt hat, leiste wichtige Arbeit, damit die Opfer „einen Status bekommen“: „Erinnerung ist keine kollektive Pflicht, keine Aufforderung zur Versöhnung, sondern eine tägliche Aufgabe.“

Panh weiß: „Die Wahrheit gehört nur den Toten.“ Die Form spiele eine untergeordnete Rolle, nicht aber die ethische Frage, wenn er die Logik eines Massenmords zu verstehen versucht. „Die Mechanik, die sich im Kopf der Mörder abspielt“, beschäftigt Rithy Panh. An die „Banalität des Bösen“ glaubt er nicht: „Dass jeder böse sein kann, ist keine interessante Erkenntnis. Bedeutender ist die Tatsache, dass einige sich trotzdem für das Gute entscheiden.“

Rithy Panh muss oft an seine Eltern denken und an Bophana – eine junge Frau, die in S21 aufgrund ihrer Liebe zu einem vermeintlichen Verräter gefoltert wurde. Ihre Geschichte erzählt er in einem seiner Filme. Er zählt sie zu „meinen Lichtgestalten“. Die Erinnerung an sie hält die Vergangenheit gegenwärtig und macht sie erträglich. 

Rithy Panh: Auslöschung. Ein Überlebender der Roten Khmer berichtet. Aus dem Französischen von Hainer Kober. Hoffmann und Campe, Hamburg 

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