Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Roboterjournalismus - Automatisierte Wirklichkeit

Kolumne: Zwischen den Zeilen. Mensch oder Algorithmus? Das ist hier die Frage. Bei der Fußballberichterstattung und im Börsen- und Finanzbereich werden redaktionelle Inhalte bereits vollautomatisiert von Maschinen erstellt

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

So erreichen Sie Timo Stein:

In ihrer schönsten Form ist geschriebene Sprache verdichtete Lebenswirklichkeit. Der leider viel zu schnell in Vergessenheit geratene Schriftsteller Paul Nizon hält Sprache gar für die einzige Wirklichkeit. „Die in der Sprache zustande kommende Wirklichkeit ist die einzige, die ich kenne und anerkenne“, schreibt Nizon. Der ein oder andere mag das für allgewaltigen Bullshit halten. An fünf Tagen die Woche halte ich es ganz ähnlich. Heute aber nicht.

Denn Sprache ist nicht gleich Sprache. Sie variiert. Jedes Milieu hat seine eigene Diktion, seinen eigenen Wortschatz, seine eigene Klaviatur und Melodie, die wiederum eine ganz eigene Wirklichkeit erzeugen. Man denke nur einmal an das XY-Ungelöst-Beamtendeutsch, an Managermurks oder an den an deutschen Hochschulen verbalisierten Soziologenirrsinn (davon erholen sich manche ihr ganzes Leben nicht).

Auch die Fußballsprache kann besonders fies sein, weil sie diesem anmutigen Spiel leider viel zu oft so gar nicht gerecht wird. Es ist daher kein Zufall, dass erste Schreibautomaten gerade hier eingesetzt werden.

Ein Berliner Unternehmen macht den Anfang
 

Der Berliner Technologiedienstleister Retresco (der sich als „Semantik-Spezialist“ versteht) bietet automatisch generierte Texte für den Fußball aller Ligen an – von der Kreisklasse bis zur Champions League. Zusammen mit dem Hamburger Fußball-Vermarkter, Sportplatz Media, plant man einen „qualitativen Sprung in der automatischen Fußballberichterstattung“. Die Vorberichte der Kreisliga 6 des Fußball-Portals von Radio-Hamburg „FussiFreunde“ stammen bereits komplett aus der Automatenfeder. Mit Beginn der neuen Saison im Sommer will Retresco dann auch mit einer Betaversion für Nachberichterstattung auf den Markt gehen. Fußball soll nur der Anfang sein: Weitere Themengebiete sind in Planung. Auch bei Finanz- und Börsenmeldungen sind Roboterjournalisten bereits munter unterwegs.

Hinter den Robotern stehen clevere Algorithmen. Sie dringen längst in alle Lebensbereiche. Auch in einen der sensibelsten. Die Sprache. Das hat natürlich Auswirkungen: auf den Journalismus, den Leser, die Verlage.

„Automatisch geschrieben von rtr text engine“ steht dann bei den Vorberichten zur Kreisliga 6 in der Autorenzeile. Vordergründig praktisch, weil zumindest auf ein Autorenbild verzichtet werden kann. Die Texte lesen sich flüssig. Im Telegrammstil. Wie von Maschinenhand werden einfache Satzkonstruktionen kreiert. Haupt- und Nebensätze ordnungsgemäß aneinandergereiht. Johannes Sommer, Geschäftsführer von Retresco, prophezeite noch vor einem Jahr, dass man 2015 nicht mehr wird unterscheiden können, ob eine Sportnachricht über eine Unterliga von einer Maschine geschrieben sei oder nicht.

Da mag er sogar recht haben. Denn seine Automatentexte müssen die lebendige Konkurrenz nicht fürchten. Die gängigen Spielberichte gängiger Fußballportale (ausgenommen die großartigen 11Freunde) offenbaren mustergültige Phrasenbilder, die rhetorisch dermaßen nach dem Gemeinplatzbaukastenprinzip konstruiert sind, dass sie förmlich danach schreien, automatisiert zu werden. Spielberichterstattung mag die lästigste aller sportjournalistischen Fingerübungen sein, lumpige Chronistenpflicht. Liest doch eh niemand, hört man den Sportredakteur jammern. Falsch, liebe Sportkollegen. Da habt ihr die Rechnung ohne den Autor dieser Zeilen gemacht. Der liest nämlich alles, was ihm in die Hand oder ins Auge fällt: Bewirtungsbelege, Lidl-Angebotsprospekte, Hotelbroschüren, Klingelschilder und sogar die wohl dunkelste Seite wortwülstigen Halbwissens: den Videotext!

Automatisiertes Fußballdeutsch
 

Selbstverständlich gehören auch die uninspirierten Spielberichte zur Pflichtlektüre: Dort darf man dann lesen, wie Mannschaft A um „ein Haar in Führung“, beziehungsweise „in Front geht“. Wie Teams auf „Konter lauern“, „das Leder“ dann über die Linie „bugsieren“, um im Anschluss das „Spielgeschehen“ dann „klug zu verwalten“. Wie Mannschaft B das Spiel „an sich reißt“ und „Ball und Gegner laufen lässt“. Auch lässt sich getrost die Uhr danach stellen, bis irgendwann eine Mannschaft flugs den „Deckel drauf macht“. Der geologisch geschulte Sportredakteur weiß dann auch, dass Abspiele „in einer Ecke münden“. Es folgen „Klärungsversuche“, „Umschaltbewegungen“, „Partien“, die endgültig irgendwann „durchhängen“. Erstaunlich auch, dass Fußballmannschaften bei einem Spiel, bei dem es ja eigentlich gesetzmäßig um das Erzielen von Toren geht, immer wieder nach einem Gegentreffer „kalt“ erwischt werden. Nicht selten bleibt während eines solchen Spiels dann auch die „Pfeife vom Referee still“. Und ziemlich sicher „beißt sich“ irgendjemand „an der Defensive fest“. Das Spiel wird „durchsichtig“, man zieht sich „tief in die eigene Hälfte zurück“, es kommt zur „zerfahrenen Schlussphase“. „Hüben wie drüben“ – natürlich. Auch die schönste aller Blüten gibt es wohl nur im Fußballspielberichterstatterdeutsch: die „Duplizität der Ereignisse“.

Dass hier Automaten zielsicher eingesetzt werden können, ist insofern nicht Schuld der Automatisierer, sondern Folge von Sprachmüdigkeit und nach oben hin offener Fantasiebefreitheit. Es werden Bilder bemüht, die sich beliebig tauschen lassen, mitunter völlig schief sind und durch permanente Wiederholung weder farbiger noch richtiger werden.

Kurzum: Der Journalist, der durch eine Maschine ersetzt werden kann, ist selbst Schuld. Und der Leser, der das Lesen will, sowieso. Im Übrigen bin ich der Erste, der freiwillig seinen Platz räumt, sollte ein Algorithmus gefunden werden, der in der Lage ist, einen ähnlichen Quark zu produzieren.

Maschinenmensch vs. Menschmaschine
 

Im Grunde besteht die Gefahr nicht darin, dass die Maschine den Menschen ersetzt, sondern dass der Mensch auf dem Weg dahin, die Maschine menschlich zu machen, selbst immer maschineller wird, sein Denken der Maschine anpasst. (Spätestens seit E.T.A Hoffmann, Jean Paul oder Julien Offray de La Mettrie wissen wir doch: Nicht der Maschinenmensch, sondern die Menschmaschine ist das Problem). Dieser Prozess läuft meist unbewusst ab und gehört zur Logik von Technologisierung. Das begann nicht erst beim Tippen auf Tastaturen und endet nicht beim schiefköpfigen Blick auf das Smartphone. Biologen würden von einer klassischen Co-Evolution sprechen. Dagegen kann man nicht mal anschreiben.

Aber zurück zu Nizon. Wenn also erst die Sprache die Wirklichkeit erzeugt, wie sieht dann die Welt aus, in der Maschinen Sprache erzeugen? Wie sieht eine Welt aus, die durch Maschinentexte abgebildet wird? Und: Welche Wirklichkeit soll hier abgebildet werden? Eine ganz und gar unbeseelte? Ich werde ihn fragen, den Nizon. Am besten, ich schreibe einen Brief.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.