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(picture alliance) Bücherverbrennung 1933 in Berlin von Autoren wie Feuchtwanger, Kästner & Freud

Roberto Bolaño - Der Spieler

Apokalypse jetzt! Roberto Bolaño lässt das Dritte Reich in seinem Roman noch einmal enden

Der Geschichtsbewältigungs-Weltmeister lacht selten, nicht einmal über die bittere Ironie, dass das Projekt Vergötterung des arischen Übermenschen mit Hitler und Goebbels von zwei Gestalten angeführt wurde, die diesem Ideal zu nahezu null Prozent entsprachen. Die Vorsicht ist gut begründet: Karikaturen der Europa brandschatzenden NS-Truppe wirken schnell verharmlosend. Wenn es aber jemandem mit profunden Kenntnissen der deutschen Geschichte und Kultur gelingt, diese Ironie einzufangen, ohne den Schrecken zu mindern – so wie Roberto Bolaño in diesem erstaunlichen Frühwerk von 1989 –, dann rückt uns der heimtückische Wahnsinn so nah wie kaum jemals in historisierenden Darstellungen.

„Das dritte Reich" führt vor, wie sich ebendiese finsteren Schergen eines doch so anständigen und lange noch den Anschein von Normalität wahrenden Charakters bemächtigen. Das Buch handelt vom Triumph des blinden Siegeswillens, vom Einbruch des Auserwähltheits-Glaubens und der korrespondierenden Paranoia ins Bürgertum, das zunächst das Mitleid in sich abtöten muss: „Mein Spiel ist natürlich viel komplizierter. Es erfordert einen kaltblütigen, spekulativen und kühnen Kopf." Bolaños Held, obgleich sofort herrisch auftretend, ist nicht unbedingt unsympathisch: eine Falle. Im Leser steigt denn auch allmählich dieselbe Furcht auf, die Udo Berger befällt, als er im Spiegel über der Hotelrezeption sein Abbild vermisst: Hat man es mit dem Leibhaftigen zu tun? Der Spiegel hänge lediglich geneigt, erklärt der eingeschüchterte Portier. Der schon panisch handgreiflich werdende Held: „Ich glaube, ich war drauf und dran, dem armen Kerl den Hals umzudrehen", beruhigt sich noch einmal. Immer stärker aber wird im Folgenden die Gegenwart von jener Parallelwelt durchdrungen, in welcher der Mensch dem Menschen ein Wolf ist. Es geht – ein echter Bolaño also – um die Faszination des Abgrunds, um das Erwachen in einem Albtraum.

Die Ironie findet sich auf vielen Ebenen, sogar auf jener der Form. Das vorliegende Tagebuch nämlich verfasst der Protagonist dieses Debüt-Romans, um seinen Stil zu verbessern, denn obwohl er als Fachautor glänzen möchte, werden seine Artikel wegen „Unbeholfenheit" stark verändert oder ganz abgelehnt. In diesem gekränkten, gegen die Redakteure wütenden Autor mag man Hitler und Goebbels zugleich erkennen, auf jeden Fall aber Bolaños Obsession mit der Doppelfigur des Künstlers/Faschisten. Der brillanteste, böseste und komischste Einfall dieses Buches besteht jedoch darin, die Versuchsanordnung des Zweiten Weltkriegs in die Paradieshölle des deutschen Massentourismus zu verlegen, an die dem Autor bestens vertraute Costa Brava. Udo Berger, „deutscher Landesmeister" in der Disziplin Kriegsspiele, Champion insbesondere des tatsächlich existierenden Strategie-Brettspiels „Das Dritte Reich", verbringt hier seine Ferien, und zwar erstmals mit Freundin Ingeborg. Das Hotel kennt der Held noch aus der Kindheit, ebenso die Besitzer, Frau Else und ihren Mann; den sieht er bald als Konkurrenten im Kampf um die Gunst Elses an.

Freilich war der Beziehungskonflikt programmiert, denn Udo möchte den Urlaub vor allem nutzen, um eine neue Spielstrategie für „Das Dritte Reich" zu entwerfen und diese in einem Artikel für ein Fanzine festzuhalten. Die konsumistisch-fröhliche Ingeborg dagegen zieht Strand, Ausflüge und Diskotheken vor und lernt zu Udos Verdruss schnell ein anderes deutsches Paar kennen: Der Charismatiker Charly, so herzlich wie gewalttätig, verschwindet allerdings bald bei einem Surf-Ritt. Hanna, die nicht nur von Charly malträtierte Freundin, verlässt Spanien noch während der Suche nach der Leiche. Ingeborg reist am Ende ihres Urlaubs ebenfalls ab. Doch Berger bleibt in dem sich leerenden Ort, vorgeblich aus Freundschaft zu Charly. Aus dem Gast wird ein Besatzer, der kaltblütig aller Feindschaft trotzt, die ihm immer unverhüllter entgegenschlägt.

Er hat am Strand einen Gegner und Meister aufgetan, den durch Folter entstellten „Verbrannten". Dieser, Bergers Churchill, erfasst schnell die Regeln des Spiels. Nacht für Nacht bewegen sich die beiden Kontrahenten nun auf den Endkampf zu, wobei es für Udo, der die anfangs siegreichen Achsenmächte spielt, bald immer auswegloser wird, denn der Verlauf folgt im Großen tatsächlich der Historie, dem Fatum. Als der „Fall Berlins" näherrückt, wird Berger vor der tödlichen Siegerjustiz gewarnt, doch abbrechen kann und will er nicht mehr, weil ihm außer diesem Spiel nichts geblieben ist.

Groß scheint bei einem solchen Plot die Gefahr, dem Schematismus zu erliegen. Umso mehr zeugt es von Bolaños erzählerischer Meisterschaft, dass sich der Roman keineswegs in der Allegorie erschöpft, sondern mit einer originellen, nie langweilenden Handlung aufwartet, die der Autor jederzeit stilistisch im Griff hat. Zu den kleineren Schwächen des Buches gehört das lapidare Ende, das unbefriedigend bleibt, auch wenn es die Situation Deutschlands nach 1945 gar nicht so falsch abbildet. Auch ist die viel zitierte Parallelisierung deutscher Generäle mit Schriftstellern, darunter die von Rommel mit Celan, wohl nur als Versuch zu werten, mit Unerhörtem aufzutrumpfen. Vielleicht aber sollten diese Stellen ja auch nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Schließlich wurde der ansonsten keineswegs unfertig wirkende, höchst lesenswerte Roman über den homo ludens mit einigem Tamtam aus dem Nachlass publiziert.

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