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Richard Dawkins wird 75 - Darwins staunender Urenkel

Der Biologe und Autor Richard Dawkins feiert am Samstag seinen 75. Geburtstag. Er gilt als einer der schärfsten Religionskritiker der Gegenwart. Seine Autobiografie ist nun auf deutsch erschienen

Autoreninfo

Oliver Prien ist Biologe, Wissenschaftsjournalist und Inhaber des Ousia-Lesekreis Verlages.

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„Ein junger Engländer aus der Upper Class wird Wissenschaftler“, das sei der Inhalt von Richard Dawkins nun vollständig erschienener Autobiografie, schrieb ein geringschätziger Rezensent in der Fachzeitschrift nature. Beide Teile seiner Autobiografie sind nun bei Ullstein erstmalig in deutscher Übersetzung erschienen, mit dem Titel „Poesie der Naturwissenschaften“.

Tatsächlich entstammt Dawkins der „Upper Class“. Geboren wird er als Offizierssohn in der kenianischen Kronkolonie. In England besucht er standesgemäße Internate und Eliteschulen. 

Er studiert in Oxford Biologie bei dem späteren Nobelpreisträger und Vater der Ethologie, Nikolaas Tinbergen. Auf dem Höhepunkt der weltweiten Studentenrevolte wird Dawkins in dessen Epizentrum, der UC Berkeley, Assistenzprofessor für Zoologie. Er kehrt als Dozent nach Oxford zurück.

1976 dann veröffentlicht Dawkins „The Selfish Gene“ und legt damit den Grundstein für eine Karriere, die ihn zu einem der bekanntesten und einflussreichsten Naturwissenschaftler der Gegenwart gemacht hat.

„Erst wenn man ihn in der Rückschau liest, erkennt man, dass Dawkins' einflussreicher Bestseller ‚Das egoistische Gen‘ nichts Geringeres als die biologische Grundlegung roboter- und algorithmusgesteuerter Finanzmärkte und Gesellschaften ist“, schrieb schon 2013 der viel zu früh verstorbene Frank Schirrmacher.

Der beispiellose Erfolg von „Das egoistische Gen“ beruht auf einer ideologischen Rückkopplung.

Als Charles Darwin 1859 sein „On the Orgin of Species“ dem erstaunten Publikum vorstellte, begrüßten Marx und Engels zum einen die Anwendung des Entwicklungsgedankens auf die Natur. Zum anderen aber kritisierten sie deren Darstellung als eines Konkurrenzkampfes aller gegen alle. Sie sahen darin eine Darwin selbst unbewusste Projektion des englischen Frühkapitalismus auf die Natur.

Die erste Rückkopplung dieser biologischen Projektion auf die Gesellschaft war der Sozialdarwinismus. Nach der damaligen Evolutionstheorie war das regulierende Prinzip des Selektionsprozesses die Arterhaltung, Objekt der Selektion war also die Art.

Dieser Auffassung entsprechend diente der Darwinismus zur ideologischen Rechtfertigung des Rassismus und der Eugenik.

Dann änderte sich die Lehrmeinung und die Individuen wurden zur bestimmenden Einheit des Selektionsprozesses. Damit konnten sich Ellbogenmentalität, Karrierismus und Leistungsgesellschaft als vermeintlich naturgegeben ihrer notwendigen Kritik entziehen.

Dawkins' Evolutionstheorie schließlich formulierte die Essenz des Konkurrenzkampfes, indem er die Gene, dann sogar nur noch deren rein informationellen Gehalt, die von ihm sogenannten „Meme“ zu den Objekten des Selektionsprozesses machte.

Die Essenz des Konkurrenzkampfes innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft ist nach Marx die „Plusmacherei“ des reinen Profitstrebens. Dem entspricht aufs Genauste die Selbstkopiererei der Dawkinschen Meme.

Der Diktatur der Effizienz in der Gesellschaft gab der klassische Ökonom Adam Smith den Namen der „unsichtbaren Hand“, die den Markt regiert. Im Reich der Natur nennt sie Dawkins mit einem seiner Buchtitel einen „blinden Uhrmacher“.  

Dieser Sichtweise scheint zu widersprechen, dass Dawkins und seine Anhänger wiederholt treuherzig beteuert haben, die Redeweise von „Egoismus“ und „Konkurrenz“ wäre rein metaphorisch.

Der Sache nach ginge es einfach darum, dass zwei Gene nicht den gleichen Platz im Chromosomenabschnitt einnehmen könnten.

Doch gerade die Metapher ist es, Dawkins' vielgerühmter anschaulicher Stil, durch den eben die ideologische Rückkopplung stattfindet. Die Metapher ist die Form des Kurzschlusses zwischen Biologie und Gesellschaft.

Die alltäglichen Erfahrungen mit Egoismus und Konkurrenz sind es, die unter der gesellschaftlichen Diktatur der Effizienz Dawkins Metaphern breiten Massen plausibel erscheinen lassen. Der Plausibilität nach kam der Erfolg.

Dawkins hat sich und sein Werk jedoch diesem Mechanismus nicht einfach überlassen. Er wurde zum Popularisator in eigener Sache. Der Schritt von der Veranschaulichung des gen-zentrierten Darwinismus zu dessen Verweltanschaulichung war klein.

Mit dem 2006 erschienenen „Der Gotteswahn“ versuchte Dawkins auf seiner Evolutionstheorie einen „neuen Atheismus“ weltanschaulich zu begründen.

Zwei Jahre später gab Dawkins dem amerikanischen Publizisten Ben Stein ein Interview. Darin erklärte Dawkins, zum Entsetzen seiner Anhänger, dass er den Grundgedanken der Kreationisten, das ‚intelligent design‘, durchaus nicht prinzipiell ablehnen würde. Nur könne dessen möglicher Urheber, so Dawkins, niemals ein Gott, sondern nur eine uns geistig überlegene außerirdische Rasse sein.

Durch seine Bücher und sein öffentliches Auftreten, aber nicht zuletzt auch durch Äußerungen wie diese, hat Richard Dawkins, dieser Ernst Haeckel unserer Zeit, einem breiten Publikum die autoritäre Scheu vor dem biologischen Spezialwissen genommen.

Sein bleibendes Verdienst jedoch ist es – sehr zum Ärger seiner Fachkollegen, und sicherlich gegen seine eigenen Intentionen – dabei geholfen zu haben, dass endlich auch die „exakten Wissenschaften“ zu einem veritablen Gegenstand der Ideologiekritik geworden sind.

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