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Religionskritik - Es gärt in Deutschland

Kisslers Konter: Die emotionalen Ausschläge der Bürgergesellschaft sind unkalkulierbar geworden. Während „Pegida“ in Dresden vor einer Islamisierung warnt, sollte in Potsdam der Auftritt der christlichen Sternsinger verhindert werden

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Ach, es ist eine seltsame Welt: In Dresden demonstrieren rund 18.000 Menschen abermals wider die „Islamisierung des Abendlandes“ und lassen sich von der vereinigten Deutungselite aus Amts- und Staatskirche beschimpfen. Kanzlerin Merkel gab die Wünschelrutengängerin und ortete „Hass in den Herzen“ der Pegidisten. Die diagnostische Kraft solcher Zeilen ist irgendwo zwischen Vorabendserie – „Ich seh‘ in dein Herz“ heißt es im Titelsong von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ – und Dalai Lama angesiedelt: „Be happy!“. Nun, da auch das Tagesblatt für angewandten Populismus, die „Bild“-Zeitung, in den breiten Chor der Anti-Pegidisten einstimmt, müssen die Demonstrierer sich um weiteren Zulauf nicht sorgen. Selten hat eine lokal sehr begrenzte Bewegung derart rasch viel Aufmerksamkeit generiert. Die Panikattacken in den Redaktions- und Amtsstuben deuten auf ein tief sitzendes Problem.

Zwischen den Jahren gab nun eine andere Form der Religionskritik ihren ersten Laut von sich. „Brentida“ heißt die Losung, „Brandenburger für eine Entchristlichung des Abendlandes“. Zumindest entstand dieser Eindruck durch Meldungen rund um das Potsdamer Bildungsministerium. Dessen Personalrat hatte in einem Anfall von Zivilcourage die Gefahr erkannt, die von singenden Kindern ausgeht: sofern diese sich „Sternsinger“ nennen und am oder um den Festtag der Heiligen Drei Könige ins Bildungsministerium einfallen, lästerliche, also christlich gefärbte Lieder absingen und aus dogmatischen Gründen, die sie dreist Nächstenliebe nennen, um Spenden für arme Kinder auf den Philippinen bitten. Der Personalrat schlussfolgerte messerscharf, hier liege eine religiöse Vereinnahmung vor. Die „Präsentation religiös geprägter Teile im Zusammenhang mit einer dienstlichen Veranstaltung“ habe zu unterbleiben. Prompt, hieß es, mussten die singenden, sammelnden Kinder in diesem Jahr einen weiten Bogen um das Bildungsministerium machen.

Die Wirkung des atheistischen Beißreflexes
 

Das Geschrei war groß. Das Ministerium ließ verlauten: „Selbstverständlich empfängt Bildungsminister Günter Baaske die Sternsinger herzlich gerne in seinem Ministerium. Etwas anderes wurde nie gesagt  – nur gab es bisher keine Terminvereinbarung. Das Ministerium spricht auch nicht von ‚religiöser Vereinnahmung‘. Eine solche Äußerung gibt es von uns nicht.“ In der Tat war es nur der Personalrat, der sich die Gegenwart der Kinder verbat. Doch macht es das besser? Nein, im Gegenteil, denn erst ein solcher Beschwerdebrief der Angestellten an ihren Dienstherrn gibt „Brentida“ das nötige basisdemokratische Ferment. Wie in Dresden richtet sich in Potsdam der Protest gegen eine Autorität, die mit den falschen Frommen paktiere. Nur sind es eben unter brandenburgischem Banner Christen, die als Zumutung empfunden werden – und seien es minderjährige Katholiken. Der atheistische Beißreflex, jahrzehntelang anerzogen, wirkt noch.

Im Wettstreit um die größere Torheit trägt „Brentida“ den Sieg davon. Gewiss, diese Abkürzung ist eine Erfindung meinerseits, es sei hiermit gestanden. Der Streit aber, der sich tatsächlich so zutrug zwischen den Jahren und der einstweilen mit dem nun plötzlich doch anberaumten Auftritt der Sternsinger im Bildungsministerium eher kalmiert denn gelöst wird, ist ebenso symptomatisch für dieses Land wie der trotzige Protest der Antiislamisten. Es gärt in Deutschland. Die emotionalen Ausschläge der Bürgerschaft mal in diese, mal in jene Richtung bleiben nur solange punktuell, wie die wirtschaftliche Lage sich gemütlich darstellt. Unter der Oberfläche verbinden sich Angst, Staatsverdruss und Elitenskepsis längst zu einem explosiven Gemisch. Wann wird die Lunte glimmen?

Die Drei Könige übrigens, die eher Sterndeuter waren, Wissenschaftler aus dem Morgenland, brachten an die Krippe Jesu nach Bethlehem neben Weihrauch und Gold auch Myrrhe mit. Myrrhe aber ist ein bitteres Kraut. Es ist „eine Erinnerung an die Bitterkeit der Wahrheit, die Bitterkeit der Ehre, die Bitterkeit des Todes“ (G. K. Chesterton). Myrrhe könnte zum Leitsymbol der kommenden Jahre werden.

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