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Starregisseur Fincher - „Wir haben die Sprache erfunden, um die Wahrheit zu umgehen“

Kann ein Film eine Ehe beenden? Mit „Gone Girl - Das perfekte Opfer“ des Starregisseurs David Fincher wird zumindest ein Versuch unternommen. Warum „Gone Girl “ dann aber doch ein perfekter Film für Pärchen ist 

Autoreninfo

Dieter Oßwald studierte Empirische Kulturwissenschaft und schreibt als freier Journalist über Filme, Stars und Festivals. Seit einem Vierteljahrhundert besucht er Berlinale, Cannes und Co. Die lustigsten Interviews führte er mit Loriot, Wim Wenders und der Witwe von Stanley Kubrick.

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Er drehte Musikvideos für Madonna oder die Rolling Stones sowie Werbefilme für Nike und Coca Cola. Mit „Alien 3“ gab David Fincher sein Kinodebüt, mit dem düsteren Serienkillerthriller „Sieben“ sorgte er für Furore, gefolgt von seiner provokativen Gewaltparabel „Fight Club“ mit Brad Pitt, den er auch für „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ engagierte. Mit „The Social Network“ erzählte Fincher vor vier Jahren die Geschichte von Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg. Anschließend verfilmte er mit Daniel Craig den Bestseller „Verblendung“ von Stieg Larsson. Nun präsentiert er mit „Gone Girl – Das perfekte Opfer“ eine weitere Bestseller-Verfilmung: Ben Affleck und Rosamund Pike geben ein erfolgreiches Ehepaar, dessen hübsche Fassade nach dem Verschwinden der Ehefrau gewaltig ins Bröckeln gerät.

Mister Fincher, Sie haben Ihren Thriller unlängst charakterisiert als „Date Movie, das 15 Millionen Ehen beenden wird“…
David Fincher: Ich sollte wohl vorsichtiger mit meinen Äußerungen sein. Der Satz war als Witz gemeint auf die Frage, ob „Gone Girl“ ein Date Movie wäre. Dass es tatsächlich ein perfekter Film für Pärchen ist, lässt sich im Kino wunderbar erleben. Es gibt da jene Szene, in der eine Figur mitten in der Nacht auftaucht, worauf die Zuschauer komplett unterschiedlich reagieren. Frauen sagen: „Oh, wie ekelhaft“. Männer meinen: „Hm, dieser Fehler kommt mir bekannt vor“. Ab diesem Punkt gibt es zwei gespaltene Lager im Publikum! Um die Scheidungsrate zu erhöhen, bedarf es allerdings wohl kaum meiner Mithilfe.

Was würde Hitchcock zu Ihrem Film sagen?
Ich weiß nicht, was Hitchcock sagen würde. Natürlich gibt es Reverenzen, wie und wann der Zuschauer die Dinge erfährt – da kann man an jenen Brief von Kim Novak an Jimmy Stewart in „Vertigo“ denken. Andererseits gibt es von Hitchcock das bekannte Zitat: „Meine Filme sind keine Stücke des Lebens, sondern Stücke des Kuchens“ – ich glaube, unser Film ist kein Stück des Kuchens.

Was macht einen guten Thriller-Regisseur aus?
Ich würde „Gone Girl“ nicht unbedingt als Thriller bezeichnen, wenngleich er Elemente davon hat. Das ist eher eine absurde Satire, die mit diesem Genre spielt. Die Qualitäten eines guten Thriller-Regisseurs wüsste ich nicht zu benennen. Für mich ist „Klute“ zum Beispiel ein grandioser Film, das heutige Publikum wird es jedoch anders sehen. Meine Tochter fand „Klute“ jedenfalls ziemlich langweilig.

Was hat Sie an diesem Roman von Gillian Flynn gereizt?
Flynn thematisiert mit ihrem Roman zum ersten Mal die ausgesprochen moderne Idee des gesellschaftlich projizierten Narzissmus, der uns vorschreibt, wer wir zu sein und wie wir uns zu verhalten haben. Zudem reizte mich die Idee der ehelichen Beziehung als Lüge, die letztlich von den Medien erzeugt und am Leben gehalten wird.

Wie wichtig ist Gesellschaftskritik für Sie?
Filme müssen sich der Realität stellen – aber ich bin nicht Michael Moore!

Warum spielt der Niedergang des Journalismus im Film nicht mehr die große Rolle wie im Roman?
Dieser Roman ist ein großer Baum mit vielen Ästen. Wie bei jeder Verfilmung bedarf es da des Zurechtstutzens. Als Regisseur muss man sich auf bestimmte Themen beschränken, schließlich haben Kinobesucher nicht endlos Zeit: Da wartet ein Babysitter oder das Auto im Parkhaus. Aus Gründen der Dramaturgie müssen innere Monologe durch sichtbares Verhalten ersetzt werden, wie etwa die Rolle der Boulevard-Medien als Tragödien-Vampire. Das lässt sich gleichsam nebenbei erzählen. Diese Szene mit dem Grinsen des Ehemanns vor dem Vermisstenfoto vor laufenden Kameras dauert zum Beispiel nur vier Sekunden, bekommt aber eine enorme Bedeutung für die Story.  

Gibt es vor einer Kamera mehr Lügen als im Leben?
Lügen gibt es überall. Wir haben die Sprache erfunden, um die Wahrheit zu umgehen. Fragen Sie einfach einen Dreijährigen, ob er heimlich einen Schokokeks gegessen habe und er wird mit verschmiertem Mund erklären: „Nein“. Kameras lassen Lügen lediglich peinlicher ausfallen.

Wie talentiert sind Sie selbst als Lügner?
Ich bin kein guter Lügner, ich bin eher berühmt dafür, die Wahrheit zu sagen und dabei nicht immer besonders freundlich zu sein.

Wie schwierig ist es für Sie, Ihr ambitioniertes Kino in Hollywood zu verwirklichen? Steven Soderbergh hat aus Verzweiflung bekanntlich das Handtuch geworfen…
Er hat das Handtuch geworfen und inzwischen arbeitet er sieben Tage in der Woche an seiner TV-Serie „The Knick“ (Lacht). Ich kenne Steven sehr gut, besser als mich selbst. Er meint es absolut ehrlich, wenn er sagt, an einem Punkt angekommen zu sein, an dem er nicht mehr begründen möchte, weshalb er Dinge macht, sondern sie einfach umsetzen will. All seine Erfolge zählen überhaupt nichts mehr, wenn neue Studiochefs das Sagen haben und wieder diese alten Fragen stellen: ‚Warum sollen wir einen Film über einen Stripper machen? Warum soll ich mir diesen Film anschauen?’ Dann muss man erklären: ‚Das ist kein Film für dich, sondern für Schwule und Lesben.’    

Welche Erklärungen mussten Sie für Ihre Filme abgeben?
Es hat lange gedauert, bis der Vertrag mit „Gone Girl“ zustande kam. Ich formulierte meine Forderungen: Welche Stars und wie viel Drehzeit ich mir vorstelle. Bei einem Dreh von 100 Tagen wäre es absurd zu erwarten, dass das Studio sofort begeistert ist und grünes Licht gibt. Man wollte zum Beispiel genau wissen, weshalb ich unbedingt in Missouri drehen müsste. Solche Dinge erklären zu müssen, ist zwar schon etwas irritierend, aber letztlich kein Problem für mich. Große Unternehmen bewegen sich einfach sehr langsam.

Verstehen Sie sich noch als unabhängiger Filmemacher?
Was bedeutet unabhängiges Filmemachen? Letztlich geht es doch nur darum, ob man seine Vorstellungen umsetzen kann. Studios geben dir enorm viel Geld, wenn du erklären kannst, wie ein Film aussehen wird. Es gibt sicher fünf oder sechs Beispiele in meiner Filmografie, wo ich Angst hatte, dass man mich feuern würde. Aber das ist mein Job.

Sie haben als „House of Cards“-Produzent mit Netflix zusammengearbeitet. So kreativ solche Unternehmen in der Produktion sind, bedeutet es nicht das Ende des Kinos, wenn Filme irgendwann nur noch auf Smart-Watches angeschaut werden?
Ich würde mir nie einen Film auf diese Weise anschauen. Ich glaube an das Kino als Altar. Ich glaube an das Konzept, mit 700 fremden Menschen im Dunkeln zu sitzen und gemeinsam und gleichzeitig über denselben Witz zu lachen – dabei entsteht eine ganze elementare Verbindung. Bei aller Ablenkung, die Filme bieten, gibt es diesen einen, entscheidenden Grund, weshalb die Menschen das Kino lieben: Sie entdecken, dass sie mit ihren persönlichen Erfahrungen nicht alleine sind. Sie erleben, dass eine Story all die anderen Zuschauer ebenfalls bewegt. Und dann kommt es zu diesem kollektiven Wow-Gefühl.    

Sie sehen die technologische Entwicklung optimistisch?
Technologie stand dem Erzählen von Geschichten noch nie im Wege. Sie ermöglicht lediglich, die Dinge effektiver zu machen. Das Kino ist 100 Jahre alt. Es nicht in Konventionen erstarren zu lassen, liegt in der Verantwortung der Geschichtenerzähler und der Produzenten. Steve Jobs sagte einmal über seine Erfindung des iPad: „Es ist nicht die Verantwortung der Konsumenten, zu wissen, was sie wollen.“ Das gilt ebenso für Filme. Wer ins Kino geht, sollte etwas geboten bekommen, das jenseits seiner Erwartung liegt.

Was halten Sie von der Idee, dass die Zuschauer auf der Leinwand live Ihre Kommentare zum Geschehen abgeben können?
Damit habe ich keine Probleme – solange ich weiß, dass in diesem Kino so etwas geschieht. Einige Leute gehen ja nur deswegen in einen Film, um dort lautstark Kommentare abgeben zu können. Warum sollen Fans von „Twilight“ ihre Meinung nicht mit anderen Fans teilen können? Nur würde ich das vorher gerne wissen, um solche Kinos dann möglichst zu meiden.

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