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Rolf Vennenbernd/dpa

Rechts und links - Deutschland verharrt im Lagerkampf

Kolumne: Grauzone. Rechte und Linke – Homogenisierer und Multikulturalisten – stehen sich zunehmend unversöhnlich gegenüber. Doch beide Seiten verweigern sich der Realität

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Die deutsche Gesellschaft driftet auseinander. Und das nicht erst seit Pegida und der Flüchtlingskrise. Schon seit Jahren ist zu beobachten, dass sich zwei Lager zunehmend unversöhnlich gegenüberstehen.

Auf der einen Seite findet sich eine neubürgerliche Linke, zu deren Selbstverständnis es gehört, multikulturell zu sein, tolerant, pluralistisch, feministisch, ökologisch, globalisierungskritisch und sozial gerecht.

Ihr gegenüber steht eine diffuse Fraktion, die von Traditionskonservativen über Pegida bis zur Neuen Rechten reicht. Sie eint vor allem eine tiefe Abneigung gegen alles, was im linksliberalen Bürgertum zum guten Ton gehört. Dementsprechend steht man der multikulturellen Gesellschaft ablehnend gegenüber, ist islamkritisch und wirbt für Heimatverbundenheit und kulturelle Homogenität.

Kulturkampf zwischen rechts und links


Kulturkampfdimensionen bekommt der sich verschärfende Konflikt dadurch, dass die neue Linke sich vollständig von klassischen sozialistischen und sozialdemokratischen Milieus gelöst hat. Der Neulinke ist kein Arbeiter, sondern hat in der Regel einen bürgerlichen, zumeist akademischen Hintergrund mit entsprechendem Einkommen. Man arbeitet im Bildungsbereich, in den Medien oder im Kultursektor – die ideologische Kontroverse ist auch ein Milieukonflikt.

Doch bei allen Animositäten der sich gegenüberstehenden politischen und gesellschaftlichen Lager und bei aller Radikalisierung, die sie in den letzten Jahren erfahren haben, darf man jedoch nicht übersehen, dass sie letztlich eines Geistes Kind sind: der Illusion nämlich, man könne die hyperkomplexen und hochdynamischen adaptiven Prozesse einer globalisierten Welt steuern. Doch das ist naiv.

Denn der weltumspannende Kapitalismus lässt sich genauso wenig „bändigen“ wie die globalen Pluralisierungs- und Heterogenisierungsprozesse. Bei beiden Phänomenen handelt es sich um hochgradig emergente, dezentrale und sich wechselseitig verstärkende Abläufe, die sich zentralen Steuerungsversuchen entziehen. Dieser vergleichsweise banalen Einsicht verweigern sich Linke wie Rechte jedoch gleichermaßen.

Eindimensionale Ethik


Denn deren Problemlösungsfantasien sind das Produkt einer unterkomplexen Weltbeschreibung. Kern dieser naiven Weltbilder ist eine eindimensionale Ethik. Setzt die Linke auf einen wirklichkeitsfernen Universalismus, so verschanzt sich die Rechte hinter einem ebenso weltfremden Homogenitätsideal.

Beide ethischen Ansätze sind weder in der Lage, die Realität adäquat zu beschreiben noch im Entferntesten geeignet, den Anforderungen einer globalisierten Moderne und ihrer komplexen Strukturen gerecht zu werden.

Dieser Einsicht verweigern sich die Anhänger linker und rechter Weltdeutungsschablonen jedoch tapfer. Für sie ist die Welt linear und monokausal strukturiert und „der Kapitalismus“ oder „das Volk“ reale Akteure. Und weil das so ist, reichen einfache Konzepte wie die Domestizierung des Marktes oder die Konstruktion kulturell homogener Gemeinschaften, um die Krisen und Verwerfungen der Moderne in den Griff zu bekommen.

Doch beide Welterklärungsmodelle weisen nicht nur strukturelle Ähnlichkeiten auf. Ihr vereinfachender, reduktionistischer Ansatz führt konsequenterweise zu identischen Lösungsvorschlägen – auch wenn sie unter verschiedenen Schlagworten vermarktet werden.

Das Ziel: Die Rückabwicklung der Moderne


Denn sowohl die von Linken erträumte Deglobalisierung als auch der von Rechten propagierte Ethnopluralismus laufen darauf hinaus, die Welt zu entflechten. Beide Ansätze sind Ausdruck der Sehnsucht nach einer provinzialisierten Welt, nach einem betulichen Graswurzel-Kapitalismus und kleinen, sich abschottenden Solidargemeinschaften.

Wovon die Menschen von Attac bis Pegida träumen, ist im Grunde die Rückabwicklung der Moderne. Anstelle von Komplexität, Dezentralität und Dynamik sollen Einfachheit, Überschaubarkeit und Steuerung treten. Doch die Welt lässt sich nicht wieder entwirren. Das scheitert schon daran, dass komplexe Systeme wie unsere globalisierte Gesellschaft sich simplifizierenden Beschreibungen entziehen.

Die angeblichen Differenzen zwischen Linken und Rechten sind intellektuelle Folklore. Wir sollten diese Etiketten aus der Frühzeit des Parlamentarismus vergessen. Sie taugen nicht zur Beschreibung der politischen Wirklichkeit. Die tatsächlichen Frontstellungen laufen nicht zwischen rechts und links, sondern zwischen politischen Konzepten, die sich der komplexen Dynamik der Welt stellen und solchen, die sich ihr verweigern.

Ernst Jandl dichtete einst: „manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern. werch ein illtum!“. Er konnte damals noch nicht ahnen, wie Recht er hatte.

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