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() Regisseur von "Avatar", James Cameron
Rassenfragen

Mit dem Erfolg seines Filmepos „Avatar“ übertraf Regisseur James Cameron die Einspielergebnisse seines Klassikers „Titanic“. Doch wer den pazifistischen Touch der „Avatar-Saga“ bejubelt, verkennt deren militaristische Tendenz, warnt Filmregisseur Wim Wenders.

Dieser großartige Film macht etwas sichtbar, in einer virtuellen Welt, was wir in der realen Welt verlernt haben zu sehen oder nicht mehr sehen wollen: das Heilige. Die Sehnsucht der Menschen zum Heiligen und Übernatürlichen zeigt Cameron in einer verherrlichten „Mutter Natur“, Eywa, mit der man, zumindest auf dem fernen Planeten Pandora, (wieder) symbiotisch verbunden sein kann. Leben als etwas Geheimnisvolles zu verstehen, als das kostbarste Gut überhaupt, das ist keine selbstverständliche Botschaft in einem Blockbuster. Für eine Weile lässt man sich gerne fallen, lässt sich das gern gefallen, ist in „Avatar“ wunderbar aufgehoben und staunt wie ein Kind. „Avatar“ erzählt auch von einer Menschheit, deren Erde längst nicht mehr „der grüne Planet“ ist, und die sich deswegen andere Himmelskörper sucht, die sie nun gnadenlos ausbeuten kann. Das Leben hier ist zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 2154, schon so verkommen und ungenießbar geworden, dass Cameron uns jedes Bild davon erspart. Trotzdem sind die Figuren erstaunlich heutig. Sowohl Jake, ein querschnittsgelähmter Marinesoldat, könnte einem in seinem Rollstuhl, so wie er ist, auf der Straße begegnen, als auch seine Vorgesetzte, die Biologin Dr. Augustine, die auch in der Zukunft noch (anachronistisch) Kette raucht. Auch der brutale Kriegsknecht Colonel Miles Quaritch könnte einem heutigen Söldnerfilm entlaufen sein, und der zynische Leiter der Minengesellschaft, Parker Selfridge, einem Film über Diamantenminen in Afrika. In vieler Hinsicht arbeitet Cameron daran, dass wir einen direkten Draht zu den (durchwegs amerikanischen) Protagonisten haben und sie uns nicht in die Zukunft entrückt werden. Vielleicht, weil wir nur so auch seine „neue Menschheit“, die blauen Riesen namens Na’vi, akzeptieren und uns mit ihnen identifizieren können. Das fällt ohnehin leicht, weil unser netter Jake als Avatar und in seinem schlanken blauen Na’vi-Körper natürlich auch wieder laufen kann. Und was würde man einem Querschnittsgelähmten nicht sehnlicher wünschen! (Genau damit, mit „neuen Beinen“, ködert ihn im Übrigen der Kriegstreiber Miles …) Die Liebesgeschichte zwischen Jakes Alter Ego Avatar und der Einwohnerin Neytiri ist die treibende Kraft der alten Geschichte „boy meets girl“, auch wenn das Mädel hier doppelt so groß ist wie der Erdenmensch, der seinen Avatar zu ihr fernlenkt. Zurück zu der Beschäftigung mit dem „Heiligen“: Wenn man in dem fernen Planeten Pandora eine Metapher für die Ausbeutung unserer Erde sehen könnte, und für die Missachtung des Lebens darauf, wäre das zum jetzigen Zeitpunkt ein passender Film, könnte es zumindest sein, auch ganz gewaltig, aber gerade das gelingt „Avatar“ merkwürdigerweise nicht. Oder wollte das Cameron auch gar nicht? Was will er denn, fragt man sich zur Pause, als sich Hunderte auf das Popcorn und die Getränke stürzen, als gelte es, Proviant für eine anstrengende Mission zu horten. Es ist zu diesem Zeitpunkt (den die Kinos offensichtlich recht willkürlich und selbstherrlich von sich aus einrichten, denn in den Vorführungen, in denen ich saß, kam diese Pause an leicht verschiedenen Stellen im Film) noch so ziemlich alles offen, physisch wie metaphysisch. Man kann noch auf alle möglichen Wunder hoffen. Ich jedenfalls. Sonst ginge ich nicht ins Kino. Aber dann kratzt der Film nach der Pause eine ganz merkwürdige Kurve, mit der ich eingestandenermaßen überhaupt nicht gerechnet habe und von der ich heftig enttäuscht war. Dieses schöne und so friedfertige Volk der Na’vi zieht plötzlich mir nichts, dir nichts in den Krieg, und Jake, der Eindringling, wird zu ihrem Anführer und Kriegstreiber. Sogar die schöne Neytiri sieht ihn für einen Moment mit offenem Mund und völlig verblüfft an, als wollte sie sagen: „Was ist denn in dich gefahren?“ Jedenfalls: Statt sein Volk zu warnen oder in die Berge zu schicken, wie sich das für gute Guerilleros gehört, wiegelt er die Na’vi zu direktem Angriff auf („Was packt ihn da?“, denke auch ich in meinem Kinosessel und reibe mir verwundert über diese Gehirnwäsche die Augen …), mit den üblichen Kriegsparolen, die wir alle zur Genüge kennen. Das ist eine echte „Wollt ihr den totalen Krieg“-Rede! Jake zieht sogar die anderen Stämme, die auf Pandora leben, mit in den Kampf hinein. So wird der Film Hals über Kopf doch zu einem Kriegsepos, wie schon alle „Star Wars“-Episoden vorher, und zieht den Krieg auch auf diesen herrlichen Planeten. (Wirklich herrlich, was Cameron da visuell erfunden hat, und mit wie viel Liebe und Details er sein Pandora zeigt.) Aber bald nach der Pause ist es klar: „Krieg“ ist nun letzten Endes doch das einzig Großartige, wovon das Große (amerikanische) Kino noch erzählen will. (Oder kann?) Warum ist das so? Auch ihr Präsident, mit dem Friedensnobelpreis geehrt, hat in Oslo nur hartnäckig und tapfer ein Lob des Krieges (oder zumindest eine Verteidigung des Krieges) anstimmen können. Wenn die Politik dazu wirklich keine Alternative mehr sieht, warum dann nicht wenigstens das Kino? Natürlich hätte Cameron die Na’vi auch radikal gewaltfrei zeigen und zeichnen können. Aber das wäre eine andere Anstrengung gewesen. Die kann (und will) der Film nicht leisten, und so endet er dann doch, obwohl er so viele große Menschheitsthemen anreißt, nur wie jeder zweite Hollywoodschinken mit Geballer und Tod (voller Schlachtenzitate aus „Apocalypse Now“) und natürlich dem Sieg der „Guten“. Der „Böse“, der Militarist Colonel Miles, wirft Jake am Ende vor, dass er „seine Rasse verraten“ habe. (Gut, das geht auf Englisch besser, da heißt es ja auch „human race“ …) Aber genau diesen Vorwurf muss man dem Film machen: Er verrät seine eigenen Prinzipien. „Avatar“ ist ein großartiger Film, kein Zweifel, aber sozusagen „von der verkehrten Rasse gedreht“, eben den Colonel Miles und den Parker Selfridges, den Amerikanern des ausgehenden 20. Jahrhunderts, und mit deren Dramaturgie und Werten „verkauft“ er, im wahrsten Sinne des Wortes, das Naturvolk, von dem er uns so glaubhaft erzählt, und macht die Geschichte dann doch zu einer, die wie alle Science-Fiction-Filme vorher (bis auf „2001“) mehr über ihre Herkunft und über die Philosophie unserer Zeit erzählen als von der Zukunft und aus der Zukunft. Die Utopie liegt hier im Visuellen begründet, in vielen fantastischen Details, aber nicht im Denken. Der Respekt vor dem Leben, vor der Erde und der Natur bleibt schließlich bloße Behauptung, der die Produktionsbedingungen und die ökonomischen Gegebenheiten und Realitäten widersprechen. Deswegen muss der Film sich leider in sein Gegenteil verkehren (schließlich hat er 200 Millionen USDollar und mehr gekostet und muss das wieder einspielen), und deswegen agiert letzten Endes die Maschinerie, die diesen Film auf der ganzen Welt vermarktet, genauso wie die überwältigende Armee, mit der die Amerikaner (der Zukunft und der Gegenwart) in Pandora einfallen wie in alle Kinolandschaften und Cineplexe unserer Welt. Die Umweltkonferenz von Kopenhagen ist gescheitert, obwohl unser Planet auf dem Spiel steht. (Nicht zuletzt wegen der Unfähigkeit der Amerikaner, über ihren Schatten zu springen.) Der „Krieg gegen den Terrorismus“ geht weiter, obwohl wir alle von der neuen amerikanischen Regierung mit Inbrunst erwartet haben, dass eben dieses blöde Paradoxon aufgelöst und dass der Terrorismus mit anderen Mitteln bekämpft würde als weiterhin nur mit „Krieg“. „Avatar“ hätte wirklich eine Utopie erzählen können. Das wäre in der Tat ein gewaltiges Zeichen gewesen! Und es ist auch in der ersten Hälfte wunderbar vorbereitet, und wir wären alle begeistert gefolgt. Aber dann ist dieser visionäre Film doch in der Realpolitik hängen geblieben, wie ­Obama am Widerstand der Konservativen und Republikaner. KRIEG scheint leider das einzige Mantra zu bleiben, dessen die meisten Amerikaner (in der Politik wie im Film) noch fähig sind. So kann ich, wieder mal, einen Film nur von Herzen bewundern ob seiner Virtuosität und seines epochalen Erfindungsreichtums, der die digitalen Medien endlich einmal ausreizt und uns (nur in dieser Hinsicht) tatsächlich die Türen zur Zukunft aufstößt, und ihn gleichzeitig traurig abtun, weil er hoffnungslos altem Kriegs- und „Gut und Böse“-Denken angehört, was niemanden mehr weiterbringt, sondern nur Türen zustößt. PS: Der kühnste und in meinen Augen schönste Film, der in Amerika in der vergangenen Dekade gedreht wurde, Terrence Malicks „The New World“, ist gerade an diesem Dilemma gnadenlos gescheitert (an der Kinokasse, nicht als Werk), dass er ebenfalls sehr aufwendig war (nicht ganz so teuer wie bei Cameron), es sich dann aber geleistet hat, weder „Krieg“ noch „Gewalt“ zu bedienen. Die beiden Filme, „The New World“ und „Avatar“, haben übrigens eine auffallend ähnliche Geschichte und handeln von einem („westlichen“) Eindringling, der sich in eine schöne Eingeborene verliebt (in beiden Fällen auch noch die Häuptlingstochter!), dann auch bei dem Naturvolk lebt, und ihre Sitten und ihre Sprache lernt. Pocahontas lebte zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, Neytiri im zweiundzwangzigsten. An dem Schicksal der Indianer (und der geschichtlichen Schuld der Amerikaner) war nichts mehr schönzureden. Pandora kommt noch einmal mit einem blauen Auge davon und die amerikanischen Invasoren werden nach Hause geschickt. Immerhin … Die Loser ziehen auf ihren Loserplaneten ab, und man selbst ist innerlich auch schon nach Pandora gezogen, auch wenn man aus dem Kino auf Berlins Alexanderplatz oder den Potsdamer Platz hinaustritt. Der Planet Erde hat irgendwie endgültig verloren. So verrät Pandora dann schließlich alle beteiligten Rassen gleich doppelt. Einen wirklich schönen Moment aber hat Cameron uns aufgehoben: Wenn die Riesin Neytiri den kleinen gebrechlichen Menschenkrüppel namens Jake, der seinen athletischen Avatar nur ferngelenkt hat, zum ersten Mal selbst in den Armen hält und ihn erkennt, in seinen Augen sein Wesen, seine Liebe zu ihr … Ganz am Schluss darf man deswegen „Avatar“ wieder mögen und neidlos eingestehen, dass hier einer das digitale Kino zu Ende gedacht und zu einem grandiosen Höhepunkt gebracht hat. Wenn Cameron doch dabei bloß die Mythen seiner Na’vi etwas mehr verinnerlicht hätte, statt die ewige Kriegsgebetsmühle weiterzuleiern. Dann wäre „2001“ endlich ein weiterer utopischer Science-Fiction-Film zur Seite gestellt worden! So steht der nach wie vor allein auf weiter Flur.

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