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Streit um Flugzeug-Doku - Hat der WDR seine Zuschauer getäuscht?

Die Medienkolumne: Hat der WDR Fakten zurückgehalten, die ein lebensgefährliches Problem der Flugindustrie belegen? Hat der größte ARD-Sender harte Fakten „weichgespült“? Und hat der WDR das Publikum in die Irre geführt? Über zwei Programmbeschwerden zu diesen Fragen entscheidet demnächst: der WDR

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Ein bisschen entgeistert ist WDR-Intendant Tom Buhrow schon, dass in letzter Zeit vermehrt Programmbeschwerden auf seinen Sender einprasseln. „Was ich aber in aller Form zurückweise, ist der Vorwurf der Einseitigkeit und der Voreingenommenheit“, sagte er dem Focus – damals mit Blick auf die Kritik an der Ukraine-Berichterstattung.

Im März erwartet den WDR aber in anderer Sache noch viel mehr Ungemach. Ein Filmprojekt des Kölner Senders hat einen wohl unvergleichlichen Streit ausgelöst. Es geht um ethische Standards im Journalismus, um mögliche Rufschädigung und um die Frage, ob der Sender seine Zuschauer getäuscht hat.

Im Zentrum der Auseinandersetzung steht die WDR-Doku „Nervengift im Flugzeug – Was die Luftfahrtindustrie verschweigt“ des Filmautors Tim van Beveren. Die Geschichte ist für die Luftfahrtindustrie brisant: Demnach können Öldämpfe, die über die Triebwerke eines Flugzeugs in den Kabinenraum gelangen, schwere gesundheitliche Schäden auslösen. Wer diesen Giften über Jahrzehnte ausgesetzt ist, könne sogar sein Leben riskieren, ist van Beveren überzeugt.

Ein solches Opfer ist der britische Pilot Richard Westgate. Er starb im Alter von nur 43 Jahren. Niemand glaubte an Zufall: Seine Familie wartet derzeit auf das Urteil des britischen Leichenbeschauers, der zeigen soll, dass die gefährlichen Luftpartikel am Tod des Piloten beteiligt waren. Westgate hatte seinen Körper zu Lebzeiten der Wissenschaft vermacht.                                                                                  

Schon im vergangenen Jahr wurde der Leichnam erstmals untersucht. Van Beveren wollte die Ergebnisse in seinem Film zeigen. Doch daraus wurde nichts: Der WDR wollte nicht länger mit der Veröffentlichung warten. Er strahlte die kritische Doku am 7. Juli 2014 in der ARD-Sendereihe „Die Story“ aus. Darin wurde die Luftfahrtindustrie durchaus angeprangert, allerdings bevor valide Analysen zu Blutproben vorlagen.

„Der Film ist eine Weichspülung“


Der WDR behauptete später, der genaue Veröffentlichungszeitpunkt dieser Blut-Untersuchung sei nicht klar gewesen. Der WDR und das Erste hätten die Dokumentation somit „auf unbestimmte Zeit aus dem Programm nehmen müssen und nicht senden können“.

Tatsächlich lagen die Studienergebnisse nur drei Wochen später vor: Bei der Obduktion stellte das Forscherteam fest, dass Westgate unter mehreren schweren Erkrankungen durch die Kabinenluft gelitten hatte. Zellproben zeigten „Verkümmerungen an den Nerven, sowie den Zerfall der die Gehirnzellen umgebenden Schutzschicht“. Van Beveren und Per Hinrichs veröffentlichten die Ergebnisse schließlich in der Welt.

Gegen den WDR hagelte es indessen Kritik: „Der Film ist eine Weichspülung. Es ist nichts Neues drin, was nicht schon 2009 in der ARD ausgestrahlt worden ist“, sagt Filmautor van Beveren. Der WDR habe die Doku eigenmächtig umgearbeitet, ohne sie ihm vor der Ausstrahlung zu zeigen. Anschließend habe der Sender sogar van Beverens Namen entfernt.

Der schottische Rechtsanwalt Frank Cannon, der das Forscherteam um den verstorbenen Piloten Westgate vertritt, versuchte deshalb noch zu intervenieren. Doch der Sender strahlte die Doku trotzdem aus. Cannon erhob Programmbeschwerde - diese Form der Zuschauerkritik lässt das WDR-Gesetz zu, wenn gegen Programmgrundsätze, Jugendschutzbestimmungen oder Werbevorschriften verstoßen wird. Über eine solche Beschwerde entscheidet der Intendant oder in der nächsten Stufe der Rundfunkrat einer öffentlich-rechtlichen Anstalt stets selbst.

Cannons weiterer Vorwurf: Das Interview mit einem medizinischen Experten sei in der Luftfahrtsdoku nachträglich verändert worden.

Ein WDR-Redakteur hätte nach dem Gespräch, das kurz zuvor Tim van Beveren geführt habe, sein eigenes Interview geführt. Anschließend sei im Schnitt manipuliert worden: Hinter die eingeschnittene Frage des Redakteurs sei eine Antwort gesetzt worden, die der Experte auf eine andere Frage van Beverens gegeben habe. Die Veränderung legt auch ein Auszug aus dem Drehbuch nahe, in dem es an Position 242 heißt: „Gefakter Frage-O-Ton“.

WDR-Intendant Tom Buhrow wies die Programmbeschwerde jedoch am 9. Oktober ab. Zugleich veröffentlichte der Sender auf seiner Webseite einen „Faktencheck“, der mehrere Vorwürfe in einem Branchenportal entkräftigen soll. Insgesamt 11 Einzelbehauptungen werden dort widerlegt.

Programmbeschwerde aus dem Bundestag


Der Kölner Sender betont, dass van Beveren in einer E-Mail selbst seine Autorenschaft zurückgezogen habe. Außerdem sei der Film „in Co-Autorenschaft entstanden“. Tim van Beveren habe das besagte Interview mit dem WDR-Redakteur „gemeinsam vorbereitet und geführt“. Das wiederum bestreitet van Beveren: Seinem ausdrücklichen Wunsch, den Film nochmals vor der Ausstrahlung zu sehen, sei nicht stattgegeben worden.

Der „Faktencheck“ ließ die Situation erst so richtig eskalieren. Der Jurist Frank Cannon rief mit seiner Programmbeschwerde den WDR-Rundfunkrat an: „Wir bleiben bei unserer Ansicht“, heißt es darin: Der Sender habe unter anderem mit den „Änderungen durch die Redaktion“ gegen den WDR-Verhaltenskodex, den Staatsvertrag und den deutschen Pressekodex verstoßen. Der WDR habe den Vertrag mit dem freien Autoren van Beveren „einseitig, zunächst gebrochen“ und im Weiteren mit der Ausstrahlung der Sendung  „erneut verletzt“. Von einer „eklatanten Zuschauertäuschung“ und „wahrheitswidrigen Behauptungen“ ist dort die Rede.

Auch der Bundestagsabgeordnete Thomas Lutze (Die Linke) reichte Programmbeschwerde ein. Er beklagt, dass die „unsubstantiierten und darüber hinaus auch wahrheitswidrigen Tatsachenbehauptungen“ im WDR-„Faktencheck“ das Ansehen des kritischen Journalisten nachhaltig beschädigten. Lutze hatte Tim van Beveren seit 2011 mehrfach als Experten in den Bundestag geladen. Seit Jahren kämpft der Politiker schon gegen die Luftfahrtindustrie, fordert – bislang vergeblich – strengere Vorgaben für Triebwerksfilter. Der Fall WDR ärgert ihn: „Wenn nachträglich van Beverens Glaubwürdigkeit in Frage gestellt wird, hat das auch Auswirkungen auf meine persönliche Arbeit als Abgeordneter“, sagt Lutze.

Van Beveren beantragte eine einstweilige Verfügung gegen den WDR-„Faktencheck“. In erster Instanz war er vor dem Landgericht Mainz unterlegen. Der WDR sieht sich bestätigt, dass die Publikation den Filmautor „nicht in seinen Rechten beeinträchtigt“ habe. „Insofern wird der WDR dies nicht korrigieren.“ Das Urteil habe „erneut die Darstellung des Vorgangs durch den WDR bestätigt“.

Die Klägerseite sieht das anders. Natürlich habe die Darstellung des WDR „gravierende Folgen“ für den Ruf des freien Journalisten, erklärt van Beverens Anwalt Frank Fischer.

Das Oberlandesgericht Koblenz muss nun prüfen, ob van Beveren nicht doch eine Persönlichkeitsverletzung erlitten hat. Die Frage, ob der WDR seine Zuschauer getäuscht hat, wird allerdings keine neutrale Schiedsstelle klären, sondern der Sender selbst. Der WDR-Rundfunkrat wird die zwei Programmbeschwerden Ende März behandeln.

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