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Britischer Kulturbolschewismus - Fördergeld nur für Randgruppen-Filme

Kisslers Konter: In England müssen Filmemacher, die staatliche Fördergelder in Anspruch nehmen wollen, künftig Minderheiten positiv darstellen. So wird aus Kunst Propaganda

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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England ist bekannt für seine hervorragende Küche und seinen feinen Humor. Insofern kann es sich natürlich um eine Meldung handeln, die Mr. Bean sich ausgedacht hat und die bald von Monty Python nachgetanzt wird. Und wir alle werden herzlich lachen. Momentan aber scheint die Wirklichkeit absurder als jeder Witz, irrer als jedes Drehbuch: Wer künftig Filme mit staatlicher Unterstützung durch das British Film Institute drehen will, muss Randgruppen positiv darstellen.

Die Abschaffung der künstlerischen Freiheit und der Sieg des Kulturbolschewismus vollzieht sich mithilfe eines „three ticks system“. Dreimal soll der Zensor von September an ein Häkchen setzen, damit dem Regiment der Vielfaltsoligarchie genüge getan wird. Erstens soll eine Hauptfigur einer benachteiligten Gruppe angehören und diese in ein positives Licht rücken; zweitens sollen 30 Prozent der Nebenfiguren dieses Gebot erfüllen, und drittens sollen die Arbeitsbedingungen so beschaffen sein, dass sich die „Angehörigen von Minderheiten“ am Set wohl fühlen. Doch weil selbst die britische Geschmacksaufsicht weiß, dass nichts perfekt ist, begnügt sie sich mit zwei erfüllten Bedingungen. Und schon kann das Pfund Sterling aus der staatlichen Lotterie rollen. Von September an, wie gesagt.

Es ist nicht schwer, sich die erhöhten Anforderungen auszumalen, die auf die Drehbuchautorinnen zukommen. Muss die 14. Nebenfigur eine lesbische Muslima sein, oder reicht es, am Set halal oder koscher zu kochen? Wie viele Darsteller von Behinderten sind gerade frei, damit die Arbeitsatmosphäre vernachlässigt werden darf? Und wer gilt überhaupt als Neben-, wer als Hauptfigur, wer wird der erweiterten Komparserie zugerechnet? Ist der indischstämmige Brite noch minderheitentauglich? Wie verhält es sich mit den Katholiken – dürfen sie im Angesicht der anglikanischen Staatskirche auf ihren Minderheitenstatus pochen? Und überhaupt: Wird genug getan für die rothaarigen Linkshänder, die schielenden Veganer und die einbeinigen Hütchenspieler? Jeder Abspann wird künftig die besten Juristen des Landes beschäftigen, damit nicht nachträglich Fördergelder zurückgezahlt werden müssen.

Neue Stufen der Filmkultur wird Britannien erklimmen. James Bond war gestern, nun heißt es: „Jennifer – eine Alleinerziehende schlägt sich durch.“ Oder „Im Namen der Väter. Patchwork on the rocks.“ Vielleicht auch: „Ibrahim und seine vier Frauen. Geschichte einer Leidenschaft.” Ganz außer sich vor Freude ist schon jetzt eine typische Bühnenfigur im Stile Mr. Beans, ein gewisser Mr. Vaizey: Durch diesen Schritt werde die Vielfalt vor und hinter der Kamera vorangetrieben. Andere Industrien sollten dem British Film Institute folgen. Vaizey aber ist Minister für Kultur und Kommunikation und Kreativwirtschaft im Kabinett Cameron.

Gemäß der Maxime, wonach erst der nicht mehr durchschaute der vollendete Wahnsinn ist, verquicken sich hier drei Tendenzen des Zeitalters sehr wirkungsvoll. Der Staat begreift sich – selbst im ehemals so liberalen, pragmatischen Vereinigten Königreich – als Agent einer Weltanschauung, die er seinen Untertanen, die einmal Bürger waren, aufzwingen will. Es sind die feuchten Träume eines Lenin, eines Mao, die hier in vermeintlich bester Absicht wahr werden. Zweitens kippt die wahrlich begrüßenswerte Sensibilität für Minderheiten in ihr Gegenteil, in die nackte Diskriminierung um. Nicht der qualifizierte, kreative Arbeitnehmer gleich welcher Herkunft ist gefragt, sondern der Randgruppenspezialist mit staatlichem Minderheitenstempel. So werden Ränder zementiert, nicht aufgebrochen. Und drittens ist das aberwitzige Ansinnen der maximale Anschlag auf das größte Potenzial Englands: auf die Kreativität, auf die Freiheit des Gedankens, die Unbotmäßigkeit der Kultur. Kunst nämlich, die auf eine positive Darstellung von was auch immer verpflichtet wird, ist keine Kunst, sondern Propaganda. Wer hier mittut und nicht aufbegehrt, der schüttet Säure auf das zarte Pflänzchen Freiheit, von dem wir alle noch zehren.

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