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Ole von Beust - ,,Ich halte nichts davon, öffentlich jede Seelenblähung los zu werden“

Neun Jahre lang war er Erster Bürgermeister von Hamburg – viel Zeit, sich mit „Nachhaltigkeit in der Politik“ zu beschäftigen. Bevor er am frühen Abend mit Marina Weisband und Gesine Schwan über Politikverdrossenheit diskutiert, verrät er uns im Interview, warum er von Twitter wenig hält und wie Politik mit extremistischen Bewegungen umgehen sollte

Autoreninfo

Rotter, Timm

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Über „Nachhaltigkeit in der Politik“ diskutiert Ole von Beust am heutigen Donnerstag auf einer Podiumsdiskussion in Berlin von RWE und Cicero. Mit dabei im EUREF-Campus sind außer dem CDU-Politiker noch die frühere Frontfrau der Piratenpartei, Marina Weisband, und die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan. Anmeldung bitte per E-Mail an nachhaltig@cicero.de.

Timm Rotter hat Ole von Beust für den Blog der RWE Stiftung interviewt.

Herr von Beust, kann Politik überhaupt nachhaltig sein?
Ole Von Beust: Es gibt zumindest das Bemühen, nachhaltige Entscheidungen zu treffen.  Das beginnt bei der Stadtplanung, das haben wir zurzeit ganz stark auch in der Energie- und Bildungspolitik. Dieses Bemühen wird aber oft in Frage gestellt durch aktuelle Erfordernisse, die viele glauben lassen, dass schnelles Reagieren wichtiger sei als überlegtes Handeln.

Wir dachten eher, dass die kurzen Wahlzyklen schuld seien.
Nein, ich glaube nicht, dass Politiker am Beginn einer Legislatur schon darüber nachdenken, wie sie die nächste Wahl gewinnen. Es sind mehr Aktualitäten, die eine Rolle spielen. Nehmen Sie das Flüchtlingsthema: Da gibt es viele hoch emotionale Ereignisse, die die Politik – ob sie will oder nicht – zum Handeln zwingen, da öffentlicher Druck entsteht.

Wie verändern die neuen Medien das nachhaltige politische Arbeiten?
Es wird auf jeden Fall schwieriger. Als ich in die Politik kam, gab es kein Internet. Da gab es noch nicht einmal Privatfernsehen. Es kam pro Tag eine 15-minütige Sendung mit politischen Berichten über die Landespolitik, die auf ARD und ZDF lief. Heute sind Sie getrieben von vielen gleichzeitigen medialen Ereignissen, Kommentierungen oder Aktionen, die spontan im Internet entstehen. Es gibt immer weniger Möglichkeiten, wirklich nachzudenken. Zugleich bieten die technischen Entwicklungen aber auch viele Vorteile: Sie können Bürger besser befragen, haben dadurch mehr Beteiligung und so die Chance auf mehr Akzeptanz. Aber klar, es ist ein ganz anderes Arbeiten, weil Sie sich einer Dauerkommunikation unterworfen fühlen. Wobei die Betonung hier auf dem „Fühlen“ liegt.

Inwiefern?
Sie müssen ja nicht zu jedem Mist twittern oder bloggen – auch wenn viele glauben, dadurch Modernität oder Bürgernähe zu zeigen.

Sie twittern nicht. Wieso nicht?
Erstens, weil nicht die ganze Welt Bescheid wissen muss, worüber ich nachdenke. Zweitens: Es ist mir zu viel oberflächliches Geschnatter. Ganz oft wird auf diesen Kanälen aus einer augenblicklichen Emotion eine Nachricht. Seine Emotionen sollte man besser im privaten Kreis zeigen.

Wenn Sie jetzt aber zu den richtigen Themen twitterten, kämen Sie morgen vielleicht in die Frühnachrichten.
Ja, und wenn nicht, dann eben nicht. Ich glaube, dass der Ansehensgewinn durch solche eben nicht nachhaltigen Kommunikationen überschätzt wird – auch wenn das nicht alle wahrhaben wollen. Schauen Sie doch mal in die Politik: Momentan sind eher die Führungsfiguren populär, die effektiv und unaufgeregt sind – und eben nicht laut. Frau Merkel etwa, in Hamburg unser Bürgermeister Olaf Scholz oder Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Es geht also auch so!

Das wird aber einige Ihrer Kollegen erschüttern: Die Anzahl der Twitter-Follower ist kein Seismograph für politische Perspektiven?
Definitiv nicht. Vielleicht bin ich ja auch die falsche Generation, aber öffentlich jede Seelenblähung los zu werden, davon halte ich nichts.

Andere Experten sehen neue Medien eher als Chance, Politikverdrossenheit zu bremsen.
Das ist etwas anderes. Wenn ich Veränderung will und Akzeptanz dafür, dann stellen sie sicherlich eine Chance dar, um Bürger früh zu informieren und einzubeziehen und später teure Klagen zu vermeiden. Wenn Sie früher ein Städtebauprojekt hatten, konnten Sie nur ein paar Info-Tafeln aufstellen. Aber natürlich kam da niemand zum Diskutieren...

Weil es nicht bequem war....
Genau. Heute können Sie leicht ein Onlineforum einrichten und dort ernsthaften Dialog führen. Das macht es deutlich einfacher, Entscheidungen transparent zu machen.

Sind solche Formate und Foren Wege, um die gefühlte Entfremdung der Wähler und die sinkende Wahlbeteiligung in den Griff zu bekommen?
Unsere niedrige Wahlbeteiligung folgt zu einem großen Teil aus allgemeiner Saturiertheit. Sie wird dann wieder steigen, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass es Probleme gibt und die Politiker sie nicht lösen können. Wenn Sie jetzt Wahlen hätten, wäre die Beteiligung angesichts der Flüchtlingssituation sicherlich bereits deutlich höher.

Wir stimmen zu. Jedoch hat uns neulich ein Politikforscher erklärt, wie sehr die Wahlbeteiligung zwischen einzelnen Vierteln schwankt. In ärmeren liegen sie bei OB-Wahlen teils unter 10%, in gut situierten sind es 75%. Das widerspricht der These der Saturiertheit.
Aber ob Sie das durch Partizipation ändern können, das bezweifele ich. Wer von dem Denken geprägt ist „Euch da oben interessiert eh nicht, was wir hier unten denken“, wer keine Hoffnungen mehr hat auf Aufstieg, den werden Sie auch dadurch nicht gewinnen.

Im Sinne einer nachhaltigen Politik müsste die Inklusion möglichst vieler Schichten aber doch ein zentrales Ziel sein. Wie kann sie dann gelingen?
Nur durch Bildung. Sie verbessert die Aufstiegsmöglichkeiten und damit auch das Interesse an Integration. Aber das ist ein sehr langfristiger Prozess.

Letzter Punkt, Herr von Beust. Was kann Politik gegen den erschreckend hohen Zulauf zu extremistischen Bewegungen tun?
Sie sollte zum einen aufpassen, dass sie Entwicklungen, die die breite Bevölkerung eher als Gefährdung wahrnimmt, nicht undifferenziert als Chancen verkauft und sich damit von den Menschen entfremdet. Ich denke zum Beispiel an die Globalisierung. Das zweite ist, dass – und das sehe ich mit großem Schrecken –  ein Grundgefühl der öffentlichen Ordnung abhanden kommt. Es gibt Bereiche, wo unser Staat kapituliert hat.

Reden Sie von den Ereignissen an Silvester in Köln?
Nein, nicht einmal. Das beginnt in viel kleinerem Maße. Am Hansaplatz bei uns in Hamburg pöbeln ständig Betrunkene andere Leute an. Aber es passiert nichts, weil es heißt: „Wir können nichts machen. Das ist unter der Kriminalitätsschwelle.“ Wenn der Staat also – ob aus Überforderung oder falsch verstandener Liberalität – die Grundbedürfnisse nach Sicherheit nicht mehr erfüllt, dann treibt das die Leute in die Arme der Rechten.

Wirtschaftswachstum auf der einen, politische Unsicherheit auf der anderen Seite – wie erleben Sie unsere Zeiten als politischer Betrachter?
Als sehr labile Zeiten. Momentan geht es uns wirtschaftlich ja noch relativ gut. Ich möchte aber nicht wissen, was passiert, wenn zur aktuellen Unzufriedenheit und dem Gefühl von einigen, im Stich gelassen zu werden, auch noch Massenarbeitslosigkeit käme. Hier müssen wir auch mit dem Begriff von „Nachhaltigkeit“ aufpassen: Nachhaltigkeit setzt viel Vernunft voraus. Das Tragische ist aber, dass der Mensch maximal zur Hälfte vernünftig ist, zur anderen emotional unvernünftig. Wenn wir nur die Vernunft betonen und Lösungen, die in zehn oder 20 Jahren wirken, kann das dazu führen, dass dies vielen in emotional kippligen Situationen als Betrug erscheint. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Daher braucht es noch eine Ebene jenseits der Vernunft, um vernünftige Entscheidungen zu vermitteln.

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